Tag 105: Wettrennen im Aldi, eine Passstraße und nächtlicher Besuch

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Es ist 8:55 Uhr und ich zähle heute zu den Menschen, die vor dem Aldi stehen und einfach nur warten, dass die Türen aufgemacht werden. In dem Moment, wo sich die Türen magisch öffnen, ist es, als würde ein Staudamm brechen. Die Flutwelle der Früheinkaufenden schwemmt in den Aldi. Es ist das höchste Gefühl des Glückes, im Sog der Welle durch den Supermarkt zu rauschen und sich die wirklich SEHR knappen Lebensmittel unter den Nagel zu reißen!

Ellbogen raus! Los gehts! (Ganz so schlimm ist es vielleicht doch nicht, aber es sind schon einige Leute gewesen, die gewartet haben.)

Wieder eingedeckt mit Lebensmitteln fahre ich hoch in die Sierra, immer dem Valle del Jerte folgend. Nach 47 km mache ich an einem schönen Badesee eine Pause, um abzukühlen und meine vor Salz brettsteifen Klamotten zu waschen.

Auf dem Rücken schwimmend, kann ich zuschauen, wie zwei Milane wilde Purzelbäume schlagen, Spiralen drehen und sogar auf dem Rücken fliegen. Für die Balzzeit müsste es doch eigentlich zu spät sein, oder?

Kühe sind auch überall am See unterwegs – teilweise stehen sie sogar bis zu den Kniegelenken im Wasser. Von den Bergen schallt das laute „muh muh“ zurück, das sich die Kühe von einer Seite des Sees zur anderen zuwerfen.

Das Valle del Jerte erinnert mich ein wenig an das Douro-Tal, nur dass anstelle von Wein Kirschbäume wachsen. Ich schlage mir den Magen voll. Wie köstlich!

Der Valle del Jerte. Die Hänge sind mit Kirschbäumen bewachsen. Zur Kirschblüte erstrahlt jedes Jahr das Tal in weißem Gewand.

 

15:00

85 Kilometer sind erstrampelt: Zeit für die Mittagspause. Ich mache wieder drei Stunden Siesta im Schatten, dann reicht es mir und ich nehme die Puerta de Honduras in Angriff. Auf etwas über 1400 m geht es hoch, die ganze Zeit einer wenig befahrenen einspurigen Straße folgend. Anfangs brutzelt die Sonne noch ganz schön, doch je höher ich komme, desto kühler wird es. Nur die Flatulenz stört: Mit meinem Furzen hätte ich der Zeppelin Hindenburg füllen können…

Die folgende Abfahrt ist genauso grandios wie der Aufstieg.

21:30

Am Rande einer alten Bahntrasse werde ich mein Nachtlager aufschlagen. Ich breite mein Zelt als Unterlage auf dem Boden aus, und lege darauf Isomatte und Schlafsack. Es ist bis 22:30 Uhr noch recht hell, doch ich schlafe trotzdem ein.

Plötzlich schrecke ich aber hoch. Neben mir hat etwas laut geschnauft! Sehr laut! Meine Augen passen sich der Dunkelheit an. Es schnauft noch einmal, ganz nahe.

Wildschweine? Mein Herz klopft wie ein Presslufthammer in meiner Brust. Ruhe bewahren, schärfe ich mir ein. Schemenhaft nimmt die Situation Konturen an.

Neben mir steht kein Wildschwein. Nein – dort ist eine Kuh. Eine große Kuh. Mit Hörnern und einem langen Sabberfaden, der aus dem Maul hängt.

„Schnauf!“

Ich weiß nicht, ob Kühe Wildzelter in ihrem Revier gerne haben. Weil mir nichts Besseres einfällt, fange ich an mit der Kuh zu reden.

„Ganz ruhig, ich tue dir nichts. Ich wollte hier nur ein paar Stunden schlafen. Alles gut, alles gut…“, und so weiter.

Bereits tagsüber hatte ich tierischen Besuch. Das ist mir auch deutlich lieber als nachts.

 

Die Kuh blinzelt mich an. Schließlich wendet sie sich desinteressiert ab, frisst etwas Gras in der Nähe, und spaziert gemächlich mitten auf der Bahntrasse (die Schienen waren schon entfernt, also vom Zug ging keine Gefahr aus) in die Richtung zurück, aus der sie wahrscheinlich gekommen war.

Ich versuche wieder einzuschlafen, doch das ist nicht so einfach. Ich weiß ja nicht was wäre, wenn die Kuh nachts zurückkehrt, mich übersieht und mir auf den Kopf tritt. Dann gute Nacht – auf ewig!

Ich kenne Geschichten aus Indien und Afrika, wo Elefanten Menschen plattgetrampelt haben, ohne davon überhaupt Kenntnis zu nehmen. Was unsere Körpergröße betrifft, so sind wir doch nur in der oberen Mittelschicht der Säugetiere anzusiedeln. Und wenn ich so auf dem Boden liege… ob mich da die Kuh überhaupt wahrnimmt?

Ohne unsere Häuser, Kleidung oder Werkzeuge sind wir wirklich lächerlich ausgerüstet, um mit der Natur umzugehen. Den Tag haben wir längst gezähmt, die Nacht ebenso – Vorausgesetzt, dass wir Licht haben.

Aber die Nacht draußen im Wald, die nimmt uns die meisten Vorteile, die wir haben. Und es stellt sich heraus, im Vergleich zu den anderen Tieren schneiden wir verdammt schlecht ab. Ich wurde von einer Kuh(!) überrumpelt.

Irgendwann schaffe ich es, mich so weit zu beruhigen, dass ich wieder wegdöse. Doch plötzlich flackert etwas.

Sternschnuppen? Weit gefehlt. Eine Taschenlampe.

Auch das noch! Wer macht denn zu dieser Uhrzeit so weit von jedem Ort noch im Wald rum? Ich hole mein Taschenmesser aus dem Rucksack und lege es in meinen Schlafsack.

Schritte knirschen auf Schotter. Schon steht der Mann vor mir. Sein Licht blendet mich, und ich kann sein Gesicht nicht wirklich erkennen.

Aber ich verstehe, was er sagt: „Hast du eine Kuh gesehen?“

Ja, das habe ich.

Erleichtert atme ich aus. Es ist nur der Bauer, der um Mitternacht durch den Wald streift, auf der Suche nach der verlorenen Kuh. Es gibt also mindestens einen Menschen auf dem Planeten, der noch eine elendere Nacht hatte als ich.

Danach ist wirklich Ruhe. Ich schlafe ein und wache erst auf, als der Wecker um 5:30 Uhr wieder klingelt. Auf ein Neues!

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This Post Has One Comment

  1. Fredrik

    Hello!

    I will read about your travels. Very inspiring!

    Best regards,

    Fredrik Österhult

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