Ich bin auf dem Weg nach Manzanares el Real, einer Kleinstadt, die in der Sierra nördlich von Madrid liegt. Hier hat Hugo einige Jahre gelebt. „Traumhaft schön“, sagte Hugo zu der Landschaft dort. Doch daran denke ich gerade nicht im Geringsten.
Jede Kuhle und jede Erhebung im Boden fühlt sich wie ein Faustschlag in den Magen an. Es ist 16:00 Uhr. Das Thermometer, hätte ich eines dabei, würde mit Sicherheit über 40° Lufttemperatur anzeigen. Jede Kurbelumdrehung wird zur Qual.
Ich stehe vor der Entscheidung: eine Pause im Schatten machen, oder die letzten 20 km noch durchziehen, um am Zeltplatz in den Swimmingpool zu springen. Ehrlich gesagt fällt es mir schwer überhaupt zu denken und eine Entscheidung zu treffen.
Ich bin körperlich noch lange nicht bei 100 %, und ich fühle mich echt ganz schön gerädert. Das spricht für eine Pause. Aber einfach in der Hitze vor mich hinzuschwitzen, das ist auch nicht so attraktiv. Pest oder Cholera, was ist mir lieber?
Bei der Hitze und meinen Magenproblemen – ich kann zwar essen, aber ich habe das Gefühl, es wird nicht verdaut – geht vollkommen unter, dass ich an dem größten Renaissancebau Europas vorbeigefahren bin. El Escorial: Eine riesige Klosteranlage mit Blick in die Ebene und auf die Hauptstadt Madrid. Eine Bekennung der spanischen Könige zum Katholizismus.
Ich werde die letzten 20 km noch versuchen. Der Pool reizt mich mehr als die Schattensauna, und dafür nehme ich jetzt noch zwei Stunden Quälerei in Kauf. Zum Glück komme ich schon bald an einem Fluss vorbei, in den ich mich stürze, um mich abzukühlen. Die Abkühlung reicht für die nächsten 10 km, dann springe ich in einen veralgten Stausee (es waren keine Blaualgen). Das ist jetzt aber auch egal.
Schließlich komme ich in Manzanares an, doch dort stelle ich fest, dass alle Herbergen und Zeltplätze vollkommen ausgebucht sind. Akkus werde ich heute nicht aufladen können (Mir ging der Strom langsam aus, das war ein weiterer Grund mal einen Zeltplatz aufzusuchen). Aber gut, wenn ich sparsam damit umgehe, und meine Zeit am Handy auf das Wesentliche reduziere, halten die Batterien noch drei Tage durch. In diesen drei Tagen wird sich bestimmt ein Zeltplatz finden lassen. Der Strombedarf und -versorgung bei einer Reise ist immer eine interessante Angelegenheit. In Zukunft, wenn ich weiter einen Reiseblog schreibe (und gegebenenfalls in abgelegenere Gegenden gehe), werde ich mir wahrscheinlich größere Akkus kaufen müssen, oder den Strom von meinem Dynamo anzapfen.
Nach einer zweistündigen Odyssee nach einem Schlafplatz, finde ich eine wahre Traumstelle. Eine kleine Bergkirche, umzäunt (hier gibt es nämlich Wölfe), und mit einem ebenen Boden, auf dem ich meine Isomatte ausbreiten kann. Im Hintergrund ragen die kräftigen Granitfelsen empor, zeitlos und mächtig. Doch auch hier gelten die Worte Luthers: „Eine allzu große Macht stürzt durch ihre eigene Masse“.
Langsam, aber sicher werden auch diese Felsen eingeebnet. Luthers Satz lässt sich jedoch auch ausgezeichnet auf die Kirche beziehen. Wenn ich mir die kleine Bergkapelle anschaue, die einfachen Holzbänke darin und der schlichte Alter, dann komme ich nicht umhin zu denken, dass es mit der Kirche anfing schief zu laufen, als die Kirchen immer prunkvoller, opulenter und größer wurden.
Ab diesem Zeitpunkt entzweit sich der Pfad einer Religion für das einfache Volk und der machtpolitischen Institution, die die Kirche geworden war. Die Bergkirche ist das polare Gegenteil von El Escorial, und mir ist sie eindeutig sympathischer.
Ich stelle mir vor: Mit den anderen Dorfbewohnern bei einer stürmischen Winternacht in der kleinen Kapelle zu sitzen, über einem die Sterne, um einen herum das Heulen der Wölfe; der Wind, der am Mauerwerk rüttelt und die Schneeflocken, die sich an der dicken Holztür langsam auftürmen. Einen Moment größerer Verbundenheit kann ich mir kaum vorstellen.
Ich glaube, hier werde ich sehr gut schlafen.
Es sind noch einige Hundespaziergänger unterwegs, aber ich werde jetzt an der Kapelle meine Isomatte ausbreiten und mein Nachtlager aufbauen. Gute Nacht!