Um 6:00 Uhr bin ich aufgestanden, um 6:30 Uhr losgefahren. Ich strample mich bis auf 1700 m in die Sierra hoch, auf Schotterwegen und im Schatten großer Pinien.
Ich treffe unterwegs haufenweise Mountainbiker, die allesamt begeistert sind, dass ich mit einem vollbeladenen Fahrrad (und dazu noch ohne Motor!) ihre Strecken hochfahre. Nur über meine Klamotten müssen Sie lachen: ein Hemd und eine weite Sporthose sind nicht das übliche für sportliche Mountainbiker. Da ist schon eher Lycra (die enganliegende Radsportkleidung) angesagt!
Aber was soll’s, ohne konventionelle Kleidung falle ich wenigstens auf, und wir haben eine lustige Gesprächseröffnung. Es muss ja immer irgendein Aufhänger geben, um ins Gespräch zu kommen. Deshalb ist es gut, etwas ungewöhnlich zu sein – so kommt man nämlich öfter ins Gespräch.
Auf der anderen Seite der Sierra fahre ich den Wanderweg „Camino de Santiago“ runter. Anhand der Mountainbikespuren im Staub sehe ich, dass er auch mit dem Fahrrad befahrbar ist. Der Trampelpfad ist vergleichbar mit dem Limes im Taunus, das heißt mit großen Geröllbrocken, kleinen Stufen und achterbahnähnlichen Abschnitten gesät. Es ist ein Adrenalinparadies!
Unten im Tal spuckt mich der Berg wieder aus, direkt vor den Toren des Königspalastes. Als ich dort den Garten besichtigen will, widerfährt mir etwas Lustiges.
Der Mann, der das Tor hütet, sagt mir eisern: „Fahrräder sind nicht erlaubt.“ Abstellen darf ich es auch nirgendswo. Und auch wenn ich mein Fahrrad schiebe, darf ich nicht in den Park.
Kinderwagen, Roller und Rollstühle sind hingegen erlaubt. Wo ist da die Logik? Naja, ich kann auf den Park verzichten und fahre nach Segovia, eine traumhaft schöne Römerstadt. Dort esse ich in einer Bäckerei einige Stückchen und später noch eine herrliche Empanada.
Mehrmals werde ich von neugierigen Leuten angesprochen, die mich fragen, woher ich komme. Das passiert mir in letzter Zeit öfter, und ich habe eine Theorie, warum das so ist. Durch die trockenen, staubigen Wege sieht mein Fahrrad plötzlich sehr benutzt aus. Der optische Eindruck lässt eine lange Radtour vermuten, und das macht die Leute natürlich neugierig.
Der erste Eindruck zählt, und langsam sehe ich mit meinem eingestaubten Zweirad wirklich aus wie ein Langstreckenradler. Die Frisur und der hässliche Ziegenbart passen genau ins Konzept!
Nach Segovia fahre ich noch etwa 20 km, wovon 6 km in die falsche Richtung waren – faktisch komme ich also nur noch 14 km weiter. Mein Bauch und Darm protestieren wieder gewaltig, und mir ist einfach nur kotzübel.
In einem kleinen Dorf frage ich, ob man dort irgendwo in einem Zimmer unterkommen kann. Fehlanzeige: die Herberge ist geschlossen und die einzige andere Möglichkeit wäre, ein ganzes Haus für 110€ pro Nacht zu mieten. So verzweifelt bin ich nun auch wieder nicht.
Stattdessen lege ich mich auf meine Isomatte vor die Kirche, rufe meinen Bruder Pascal an und jammere ihn voll, wie schlecht es mir geht. Danach geht es mir tatsächlich ein klitzekleines bisschen besser. Unter dem Vordach der Kirche verbringe ich eine (einigermaßen) gute Nacht. Am nächsten Morgen bin ich wieder früh unterwegs – aus Gründen, die hier nicht näher erläutert werden.