Tag 122: Blitz, Donner und Obstkompott

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In der Ferne wummert laute Disco-Musik. Nach dem vierten oder fünften Tag, wo ich Pyrenäenpässe fahre, schlafe ich aber trotzdem ein. Ruhig und friedlich schlummre ich in meiner Traumwelt, doch dann schrecke ich hoch.

Die Wildschweine im Wald brüllen in Todesangst. Wie ein schrecklicher menschlicher Schrei, hallt das Geräusch aus dem Wald neben meinem Zelt. Ringsherum flackern die Blitze und in meinem Zelt leuchtet es gespenstisch auf.

Es musste kommen: das erste Gewitter meiner Tour. Erwartet habe ich es trotzdem nicht. Der Puls und Adrenalinspiegel schießen wie ein Geysir in die Höhe.

Der Abstand zum Donnerschlag wird immer geringer. Plötzlich sind alle Tiere still. Nicht einmal eine Grille höre ich noch.

Dann geht es richtig los. Eimerweise Regen prasseln auf mein Zelt. Die Blitze werden heller, häufiger; die Donner lauter, unmittelbarer.

Ich ziehe mir schnell meine Schuhe an, falte meine Isomatte in der Mitte durch und gehe in die Hocke, mit den Füßen ganz nah beieinander. Mein Zelt steht auf einem Feld. Das Feld liegt auf einem Hügel. Es ist ein realistisches Risiko, dass der Blitz bei mir einschlägt. Ich habe mehr Angst als zu jedem anderen Zeitpunkt der Tour.

Mir geht eine Schlagzeile durch den Kopf.  „Bikepacker von Blitz erschlagen. 21-Jähriger erliegt schweren Verletzungen nach Blitzschlag“

Wäre es Herzversagen? Oder schreckliche Verbrennungen? Ich will es mir nicht ausmalen. Die Gedanken sind trotzdem da.

Ein Blitz, den ich förmlich spüren kann, macht die Nacht zum Tag. Ohne Abstand folgt ein gewaltiger Donner. Nicht getroffen, Glück gehabt.

Würde ich überhaupt merken, dass mich der Blitz getroffen hat? Was ist, wenn der Blitz das Zelt trifft, und sich durch die Hitze meine Haare entzünden? Könnte ich schnell genug den Reißverschluss finden, um mich im nassen Gras selbst zu löschen?

Es ist der Höhepunkt des Gewitters, und ich kann nur in der Hocke verharren. Ein Glück, dass ich meine Dehnübungen mache. Sonst wären die Waden schon längst verkrampft.

Interessanterweise legt sich mit zunehmender Dauer des Gewitters die Angst. Ich akzeptiere die Gefahr.

Mit jedem Blitz, der nicht einschlägt, werde ich ruhiger. Ich atme ganz langsam ein und aus. Je mehr das Gewitter tobt, umso stiller wird es in mir drin. Das Gewitter ist jetzt meine Welt. Nichts, was ich noch tun könnte, würde irgendetwas verbessern.

Stattdessen zähle ich den Abstand zwischen Blitz und Donner. Langsam, aber stetig vergrößert er sich, von 3 Sekunden auf 12 auf 23 – und schließlich ist das Gewitter verzogen.

Die Grillen fangen wieder an zu zirpen. Der Regen plätschert nur noch ganz leise. Es ist 1:30 Uhr nachts, und in der Ferne ertönt wieder die Partymusik.

Ich ziehe meine Schuhe aus und strecke meine eingeschlafenen Beine in die Länge. Einige Zeit später zieht noch ein weiteres Gewitter in der Ferne vorbei. Bei mir ist aber alles still. Den Rest der Nacht schlafe ich friedlich.

Auf diesem hübschen Hügel stand mein Zelt.

15:30

Ich mache in einem hübschen, aber verschlafenen, Dorf eine Pause im Schatten. Mein Zelt breite ich in der Sonne aus, um es trocknen zu lassen. Alles ist ruhig und friedlich, zwei Tauben gurren. Es ist das komplette Kontrastprogramm zur Nacht.

Die Straßen sind angenehm zu fahren, mir begegnet höchstens jede Viertelstunde ein Auto. Mich erinnert die Gegend ein bisschen ans Münsterland zwischen Haltern und Lüdinghausen: rollende Hügel und viele Felder.

Jetzt, nach anderthalb Stunden, müsste das Zelt auch wieder richtig trocken sein. Deshalb schwinge ich mich gleich wieder auf den guten Drahtesel und radele in Richtung Auch.

20:00

Nach 90 km entscheide ich mich, einen Schlafplatz zu suchen. Ich setze mich auf eine Bank am Hang, und esse mein Abendessen. Ein schwarzer Hund bellt mich an, hält aber seinen Abstand.

Kurze Zeit später kommt ein älteres Ehepaar vorbei, und der Mann meint: „Es geht doch bestimmt besser, dein Brot an einem Tisch zu schmieren. Komm doch zu uns!“

Die beiden heißen Jacques und Eva. Sie sind kein Ehepaar, wie ich es im ersten Augenblick vermutete, sondern Mutter und Sohn. Jacques wohnt in einem Nachbardorf und hilft seiner 90-jährigen Mutter regelmäßig mit dem Haushalt.

Von den beiden bekomme ich sogar noch einen Obstkompott als Nachtisch: Was für ein Genuss! Zum Frühstück werde ich auch gleich eingeladen, am nächsten Morgen um acht. Ist das nicht ein netter Zufall? Bis morgen!

Übernachtet habe ich bei einer alten Mühle. Die Besitzerin starb vor einigen Jahren. Seitdem ist die Mühle unbewohnt, aber nicht ungepflegt.

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