Tag 129: Eine Quiche und ein bayrischer Himmel

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14:00 Uhr

Bis jetzt ist es einer dieser Tage, der einfach nur so ins Land zieht. Weder die Landschaft noch die Strecken sind besonders spektakulär. Schön: ja, beeindruckend: nein.

Hübsch trifft es vielleicht am besten; mit rollenden Hügeln, Tannenwäldern und einem bayerischen Himmel habe ich wenig zu beklagen. Dennoch, mit ganz anderen Landschaftsbildern im Hinterkopf, kann ich hier nur müde lächeln. Meine Maßstäbe haben sich mit der Erfahrung verschoben.

Der Höhepunkt war bis hierhin ein 3 km langer Abschnitt auf dem ich im Slalom zwischen großen Felsbrocken gefahren bin. Ein Fluss, durch den ich mein Fahrrad schieben musste, war auch dabei.

Auf einer bald folgenden steilen Abfahrt bin ich fast gestürzt, doch ich konnte noch rechtzeitig vom Fahrrad abspringen und landete auf den Füßen. Bis auf ein paar extra Schrammen an den Taschen ist am Fahrrad auch nichts gewesen.

Der dominante Gedanke in meinem Kopf ist nicht so sehr die Umgebung, sondern: „Wo ist die nächste Bäckerei?“ Ich bin bereits 60 Kilometer gefahren, doch bin ich bisher weder an einer Bäckerei noch an einem Geschäft vorbeigekommen. Es ist hier wirklich sehr ländlich!

Dabei muss ich unbedingt meine Vorräte aufstocken, denn morgen ist Sonntag.

2 Stunden später…

Es hat alles geklappt: Ich bin mit Baguette, Ziegenkäse und roter Beete ausgestattet. Das Abendessen ist gerettet!

Etwas belustigt war ich, als man mich im Supermarkt aufforderte, meinen Helm abzunehmen. „Für die Kameras”, sagt man mir. „Okay“, antworte ich.

Ich finde die Forderung seltsam. Mit diesen Federn und dem Helm auf dem Kopf könnte man mich viel leichter identifizieren. Aber egal. Auf eine Diskussion will ich mich nicht einlassen. Was zum Beispiel mit einem Kopftuch wäre, das frage ich gar nicht mehr.

Ich habe um 18:00 Uhr eigentlich noch keinen großen Hunger, doch eine berühmte Radfahrer Weisheit lautet: man soll essen, bevor man Hunger hat. Als ich im Schaufenster einer Bäckerei ein Tablett Quiches sehe, schlage ich zu.

Damit habe ich alles richtig gemacht! Diese Quiche war göttlich! Sie war ohne jeden Zweifel die beste, die ich bisher in Frankreich gegessen habe. Der Teig war knusprig, und die Füllung aus Kartoffeln, unterschiedlichen Käsesorten, Schinken und Ei war ein Gedicht.

Jetzt bin ich bereit für den Anstieg auf den nächsten Berg. Oben auf dem Berg möchte ich mir dann einen schönen Schlafplatz suchen.

Vorher muss ich nur noch das Wasser auffüllen, denn die Temperatur ist im Laufe des Tages auf über 30° geklettert.

Gerade, als ich die Flasche an den Wasserhahn halte, fährt ein Motorradfahrer in einem waghalsigen Wheelie durch die Innenstadt. Der Geruch von Benzin hängt noch in der Luft, als ich losfahre.

Meine Federn waren aber beeindruckender als der Wheelie: sie brachten eine Frau sogar dazu, laut auszurufen: „Wow! Regarde ces plumes! – Schaut euch diese Federn an!“

Die leckere Quiche.

Die Quiche und die begeisterte Frau zaubern ein Lächeln auf mein Gesicht und so wird der Anstieg auf den 1015 m hohen Mont Saint-Rigaud eine pure Freude. Im Abendlicht sehe ich alles im honiggoldenen Licht und am Wegesrand wachsen die leckersten Brombeeren und Himbeeren, die ich jemals gegessen habe.

Jetzt, wo die Sonnenstrahlen die düstere Nadelbaumkathedrale erleuchten, erlebe ich einen flüchtigen Moment der vollkommenen Selbstlosigkeit. Ich fühle mich, als würde sich in mir eine Tür öffnen und alles in meiner Umgebung ist plötzlich mit mir verbunden. Die Trennung zwischen dem „Ich“ und dem „Dort“ verschwindet, und mein Bewusstsein reduziert sich auf das goldene Abendlicht, den aromatischen Duft der Tannen und das melodische Zwitschern der Vögel.

Auf den letzten Metern zum Gipfel muss ich nochmal das Fahrrad schieben. Hier, auf der sonnenabgewandten Seite, laufe ich durch eine finstere Nadelbaumschlucht. Auf den aller letzten Metern hole ich mir noch einen Platten. Und das, obwohl ich gar nicht auf dem Fahrrad saß.

Es stellt sich heraus, dass der Schlauch am Mantel gescheuert hat, und zwar an der Stelle, wo ich mir in Portugal beim ersten Plattfuß den Mantel beschädigt hatte. Die Reparatur kann bis morgen warten.

Zuerst schaue ich mir mit Romain und Olivier den Sonnenuntergang an. Die beiden kommen aus Lyon und machen eine kleine Wochenendwanderung. Sie werden, so wie ich, heute Nacht auf dem Gipfel zelten.

Langsam, aber sicher versteckt sich die Abendsonne hinter dem Horizont, und die Nacht sammelt ihre Glut ein. Bald tauchen die ersten Sterne auf.

Wir schlagen alle drei auf dem Gipfel unsere Zelte auf und wünschen eine gute Nacht. Wenig später lausche ich, wie eine Gruppe den Aussichtsturm besteigt, um die Sterne anzuschauen. Lange bleibt die Gruppe nicht. Es kehrt Ruhe ein.

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