Tag 136: Belfast und der Ballon d’Alsace

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Die Nacht war tatsächlich ruhig. Bis auf gelegentliches Wetterleuchten war von Blitz und Donner keine Spur. Trotzdem habe ich unruhig geschlafen. Ich habe viel geträumt, was vielleicht mit meinem unruhigen Darm in Verbindung zu bringen ist.

Die Verbindungen zwischen dem, was im Darm passiert und der Gemütslage ist verblüffend (Leseempfehlung „Darm mit Charm”): Man spricht nicht ohne Grund vom „Darmhirn”. Ob wir im Traum auch körperliche Zustände mental verarbeiten? Bestimmt.

Die zweite Nachthälfte war glücklicherweise wesentlich entspannter.

Ich esse ein stärkendes Frühstück: Brot mit Marmelade und Honig. Dazu gibt es noch drei Schokoladenkekse. Auf geisterhaft leeren Straßen fahre ich nach Belfast. Nicht Belfast in Irland, sondern der französische Zwillingsbruder.

Während der ersten Tageshälfte versteckt noch eine Wolkenschicht die Sonne. Ab 14:00 Uhr ist der Himmel dann blau und beinahe wolkenlos. Die drei Wattebällchen, die noch standhaft der Sonne trotzen, sind nicht mehr als Dekoration.

5 Kilometer nördlich von Belfast liegt ein Badesee. Dort möchte ich schwimmen gehen und die Mittagszeit verbringen. Die ersten 60 km liegen bereits hinter mir und ich finde eine kleine Schwimmpause an dieser Stelle genau richtig.

Ich bin keine 30 Sekunden am Badesee, da werde ich schon zum Kaffee eingeladen. Luise und Audin sind mit ihren Enkeltöchtern am Badesee. Die beiden sind große Spiele-Fans, und haben zwei altbekannte Kandidaten im Gepäck: „Vier Gewinnt“ und das Domino-verwandte „Tridom“.

„Ich kann vom Spielen nicht genug bekommen“, schwärmt Audin. „Wir beide sind Mitglied im Spieleclub. Luise hier ist die unangefochtene Königin von Scrabble.“

Luise lächelt etwas verlegen. „Das ist der weibliche Instinkt für die Sprache…“

„Wir probieren aber auch gerne neue Spiele aus“, erklärt sie.

„Schade, dass bei der Jugend alles digital ist“, meint Audin. „Mit Brettspielen können die gar nicht mehr viel anfangen.“

Ich halte entgegen: „Ich habe mit anderen Studenten gerne Brett- oder Kartenspiele gespielt. Es gibt halt nur zusätzlich die digitalen Spiele, oder Hybridformen zwischen Brettspiel und zugehöriger App. Und manche von diesen Spielen sind gar nicht mal so schlecht, erfordern sogar viel Köpfchen und Strategie.“

Das Schöne am Spielen ist, dass man dabei lernt, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen. Man kann etwas ausprobieren ohne, dass es bitterer Ernst ist. Ein gutes Spiel kann die gesamte Bandbreite der menschlichen Emotion hervorrufen. Nebenbei lernt man auch noch Leute kennen, wie ich hier!

Mit Louise und Audin verfliegt die Zeit. Wir essen Wassermelone, trinken Kaffee und spielen Vier Gewinnt. Nachher springe ich noch ins Wasser.

Gegen 16:30 Uhr fahre ich schließlich weiter. Ich möchte noch auf den Col d’Alsace fahren. Das ist ein Anstieg von 700 Höhenmetern auf 1200 m.

Ich dachte immer, dass die Vogesen höher sind als der Schwarzwald. Tatsächlich ist es genau umgekehrt: der höchste Berg der Vogesen, der Grand Ballon, hat 1425 m. Der Feldberg im Schwarzwald hat hingegen 1493 m.

Hätte mich jemand gefragt, ich hätte gesagt der höchste Berg der Vogesen ist 1700 m hoch. Woher kommt so falsches Wissen in den Kopf?

Ich glaube nicht, dass mir jemand diese falsche Zahl genannt hat. Ich war felsenfest von diesem Wissen überzeugt. Als ich auf der Fahrt nach Süden die schneebedeckten Vogesen sah, war ich mir sicher, dass sie deutlich höher waren als der Schwarzwald.

Ich habe die Welt anders wahrgenommen, weil ich eine falsche Information für wahr gehalten habe. Wie viele andere sicher geglaubte Fakten sind genauso irrtümlich in meinem Kopf und verzerren meine Wahrnehmung?

Was ich sicher weiß, ist dass ich bei der Auffahrt zum Col d’Alsace richtige Blähungen und Bauchschmerzen habe. Im Darm ist zu viel Luft. Wenn ich tief einatme, um genügend Sauerstoff zu bekommen, quetsche ich den Magen gegen den Darm. Die Konsequenz: ich bekomme stechendes Sodbrennen. Ich versuche den Magen zu massieren, aber es führt kein Weg an einer Pause vorbei.

Ich nutze die Zeit, um diesen Text zu schreiben. Ein Motorradfahrer nach dem anderen schießt röhrend die Spitzkehren hinauf. Ganz schön viel Verkehr für die Uhrzeit. Hoffentlich sind morgen die Straßen ruhiger.

Ich hoffe, dass sich der Bauch genügend beruhigt hat, dass ich nicht gleich wieder Probleme bekomme. Ich frage mich, was dieses Mal die Ursache meiner Probleme ist.

Ich habe nichts Außergewöhnliches gegessen. Ich habe nicht einmal außergewöhnlich viel gegessen. Wahrscheinlich ist mein Magen-Darmsystem einfach noch nicht ganz austariert nach den Verstimmungen der letzten Tage.

Ansonsten geht es mir aber grundsätzlich gut, und das ist ja was zählt. Ich kann den Tag, wie so viele andere zuvor, genießen.

Am liebsten würde ich gleich hier übernachten. Dann könnte ich morgen früh zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel sein. Wenn es nur ginge. Aber ich muss weiter, denn hier kann ich mein Zelt nicht aufstellen. Der Boden ist uneben und steinig.

Deshalb quäle ich mich die letzten Kilometer noch hinauf. Als kleiner Trost werde ich noch vom Sonnenuntergang belohnt. Hier oben werde ich jetzt auf der Wiese neben einem Wohnmobilparkplatz schlafen. Gute Nacht!

Ich habe ein schönes Plätzchen für die Nacht gefunden.

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