Kurzurlaub in Usingen: Neue Bücher bieten neue Impulse

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Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist das Lesen. Auf meiner Radreise hatte ich dafür meistens zu wenig Zeit.

Bücher sind außerdem schwer, und damit nicht unbedingt das Geeignetste, mit dem man seine Taschen vollpacken kann!

Jetzt hole ich aber nach, worauf ich in den letzten Monaten verzichtet habe. Gerade lese ich „Der Geschichtenerzähler“ vom Literaturnobelpreisträger Isaac B Singer.

Der Geschichtenerzähler ist ein Kinderbuch. Es mag verwunderlich klingen, dass ich als nun 22-Jähriger noch in Kinderbüchern herumstöbere. Doch in Kinderbüchern werden bestimmte Lebensweisheiten oft mit einer Klarheit ausgesprochen, wie sie selten in Büchern für Erwachsene zu finden sind.

Ich brauche nicht immer eine komplexe Erzählung mit virtuoser Sprache. Es ist eine Kunst, in einfachen Worten die Welt zu beschreiben.

Natürlich ist die Handlung in einem Kinderbuch nicht so komplex. Das sollte sie aber auch nicht sein, denn Komplexität kostet Klarheit.

Wer Klarheit möchte, sollte vielleicht einmal die verstaubten Kinderbücher rauskramen und sich in der Welt der Geschichten versinken lassen.

Apropos Geschichten. Singer lässt gleich in der ersten Kurzgeschichte einen seiner Protagonisten einen bemerkenswerten Gedanken formulieren:

„Die Gegenwart ist nur ein Augenblick und die Vergangenheit eine lange Geschichte. Wer keine Geschichten erzählt und keine Geschichten hört, lebt nur für diesen Augenblick, und das ist nicht genug.“

Warum finde ich diesen Gedankengang bemerkenswert? Weil es kaum einen häufigeren Spruch gibt als: „Lebe im Hier und Jetzt. Nur der Moment zählt. Ergreife den Augenblick.“

Doch wer immer nur auf den Augenblick bedacht ist, verliert schnell aus den Augen, welche größere Geschichte er eigentlich erzählen möchte. Eine Ansammlung von Augenblicken ergibt noch lange kein Narrativ, ebenso wie eine Ansammlung von Sätzen nicht gleich einen verständlichen Text machen.

Das Leben für den Augenblick birgt Risiken: Die Jagd nach dem schnellen Glück, der sofortigen Belohnung. Man wird schnell zum Treibenden, ohne Richtungsgefühl. Verloren und Orientierungslos, eine Eisscholle auf dem Polarmeer.

Wir brauchen Geschichten, um dem Augenblick erst eine Bedeutung zu verleihen, um ihn zu verstehen und ihn zu verinnerlichen. Was nirgendwo anknüpft, stürzt ab in den Schlund des Vergessens.

Geschichten ermöglichen es, die Vergangenheit in die Gegenwart zu transportieren. Und ebenso kann eine Vision der Zukunft erlebt werden. Wer keine Geschichten erzählt und keine Geschichten hört, hat also Scheuklappen auf.

Auf meiner Reise habe ich viele Geschichten gehört und selbst viele Geschichten erzählt. Nie habe ich mehr gelernt.

Das Leben nur für den Augenblick? So schön er oft war, es wäre mir nicht genug.

Abenddämmerung

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