Tag 147: Ein paar Worte zur Dankbarkeit

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Heute bin ich mit dem Mountainbike auf den Feldberg gefahren.  Nach einigen Kilometern sehe ich plötzlich einen kleinen rosa Rucksack, der mutterseelenallein auf meinem Weg liegt. Ich nehme den Rucksack in die Hand, fahre weiter. Vielleicht treffe ich noch den Besitzer.

Schon bald komme ich an einem Reithof vorbei. Dort sehe ich eine junge Frau, die gerade ihr Auto einräumt und verzweifelt nach etwas zu suchen scheint.

Ich halte den Rucksack in die Höhe und frage, „Gehört der ihnen?“

„Ja, den habe ich gesucht! Gott sei Dank!“, ruft die Frau. Die Erleichterung in ihrer Stimme ist unüberhörbar. „Vielen, vielen Dank! Meine Tochter ist vollkommen aufgelöst: In dem Rucksack ist ihr Handy. Was ein Glück, dass du den Rucksack gefunden hast. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bedanken soll!“

Ich freue mich, dass ich der Frau und ihrer Tochter eine Freude machen konnte. Ihre Dankbarkeit stimmt mich glücklich.

Mit Blick auf meine Radreise empfinde ich auch eine tiefe Dankbarkeit. Jetzt scheint es richtig, einige Gedanken zum Wert der Wertschätzung und Dankbarkeit zusammenzutragen. Nur noch wenige Etappen bleiben, bis der Kreis meiner Reise geschlossen ist.

In den vergangenen fünf Monaten haben mir unzählige Menschen ihre Großzügigkeit, Freundlichkeit und Menschlichkeit bewiesen. Ich habe immer versucht, meine Wertschätzung und Dankbarkeit zu zeigen, wenn mir jemand etwas Gutes getan hat. Dabei sah ich, wie sich die Menschen freuten – und diese Freude erreichte auch mich.

Dankbarkeit und Wertschätzung brauchen nicht viel. Kleine Gesten können große Wirkungen entfalten.

Ich erinnere mich an den Direktor meines ehemaligen Gymnasiums in Würzburg: Herr Brückner.

Jeden Morgen um kurz vor acht ist Herr Brückner eine Runde durch die langen Gänge der Schule gelaufen. Es wimmelte vor Schülern, die auf dem Weg zu ihrer ersten Unterrichtsstunde waren. Wie üblich, standen die Schüler meist in Trauben vor dem Klassenzimmer.

Immer wenn Herr Brückner an einer solchen Schülergruppe vorbeikam, wünschte er einen guten Morgen und lächelte. Es war nur eine kleine Geste und zwei Worte. Trotzdem sind sie mir im Gedächtnis geblieben.

Warum? Weil Herr Brückner eine Verbindung zwischen sich und seinen Schülern schaffte, und mit seinem freundlichen „Guten Morgen!“ die Schüler würdigte.

Leider sind diese einfachen Gesten der Wertschätzung, Anerkennung und Dankbarkeit oft vergessen. In Familien, der Schule oder der Arbeit. Doch hier sollte man nicht sparen.

Seit 2013 wird im Arbeitsschutzgesetz geringe Wertschätzung am Arbeitsplatz als Risikofaktor für die psychische Gesundheit aufgeführt. Und Studien belegen, was eigentlich klar ist: die Zufriedenheit von Arbeitnehmern steigt, wenn sie sich respektvoll behandelt fühlen.

Es ist so einfach, „Danke“ zu sagen. Doch so manch einer scheint zu denken, ein so kleines Wort hätte kein Gewicht. Nichts könnte ferner von der Wahrheit liegen.

Es ist wichtig, die Leistungen anderer zu würdigen. Ein ausgelassenes „Danke“ kann verletzen. Allgemein gesagt: Wer etwas investiert, möchte auch etwas zurückbekommen. Es ist das Gesetz der Reziprozität.

Mir fällt in diesem Zusammenhang ein Erlebnis ein, das schon einige Jahre zurückliegt. Wir besuchten meine Großeltern. Wie immer hatten wir eine wunderschöne Zeit. Oma hat köstliches Essen auf den Tisch gezaubert.

Zaubern kann man natürlich nur in Fantasiebüchern, und so war unser Besuch natürlich auch mit viel Mühe und Arbeit verbunden.

Als der Tag kam, wo wir zurück nach Hause fuhren, umarmte ich meine Großmutter und sagte auf Wiedersehen. Vielleicht sagte ich noch, dass ich eine tolle Zeit hatte – aber das kleine Wort „Danke“ sagte ich nicht.

Mir war in dem Moment nicht bewusst, was das Unterschlagen eines einfachen Dankeschöns bewirken kann. Es war keine bewusste Entscheidung, aber doch eine mit Konsequenzen.

Einige Tage später telefonierten wir wieder mit den Großeltern. Ich hatte sie verletzt und verunsichert. Meine Großeltern überlegten: “War irgendetwas vielleicht nicht in Ordnung gewesen?” Es stimmte sie traurig, dass ein klares Zeichen von Dankbarkeit und Würdigung ihrer Mühen fehlte.

Zum Glück konnte ich während des Telefonats meine Großeltern beruhigen. Trotzdem fühlte ich mich richtig mies. Doch aus dieser Erfahrung lernte ich eine wichtige Lektion über den Wert der Wertschätzung.

Seitdem achte ich darauf, auch die kleinen Worte der Anerkennung und der Dankbarkeit nicht auszulassen. Wir können nunmal nicht die Gedanken der anderen lesen, und so müssen wir mit Worten zurückspiegeln, was wir empfinden.

Der mittlerweile 102-jährige Benjamin Ferencz findet in seinem Buch „Sag immer deine Wahrheit“ die richtigen Worte, um meine Gedanken abzurunden. Er schreibt: „Wenn uns jemand hilft, sollten wir uns, wenn möglich, revanchieren – diese Verpflichtung verjährt nicht, und es muss auch gar nicht in Form von Geld sein. Dankbarkeit erfüllt uns auf eine ganz besondere Weise.“

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