Ich schlafe ausgezeichnet und stehe gegen 8:00 Uhr auf. Mich begrüßt ein leuchtend blauer Himmel. Meine Strecke führt mich heute nach Arnsberg, vorbei an Lahn und Ederquelle.
Nach 30 Kilometern komme ich an einer sogenannten „5 Sterne Bäckerei“ vorbei. Was genau eine fünf Sterne Bäckerei ausmacht, habe ich keine Ahnung. Aber ich kaufe mir eine Stück Mango-Sahne-Torte. Die Verkäuferin schaut mich an und legt mir ein riesiges Stück auf den Teller – ich will mich nicht beklagen!
Eine Frau mittleren Alters, die am Nebentisch mit ihrer Mutter frühstückt, spricht mich auf die Federn am Helm an. Ich erzähle ein bisschen von der Reise. Leider habe sie seit einem Unfall ein künstliches Kniegelenk, und könne kein Fahrrad mehr fahren, sagt die Frau. „Aber so eine Tour finde ich großartig!“
Sie kauft mir sogar noch eine Nussschnitte und gibt mir das übrig gebliebene Brötchen vom Frühstückstisch.
Ihre Mutter will unbedingt, dass ich noch die übriggebliebene Butter mitnehme. „Die schmilzt doch, Mama“, sagt die Frau. Doch die Mutter ist stur und nimmt noch zwei oder drei weitere Anläufe. „Die schmilzt doch nicht so schnell”, wiederholt sie mehrfach.
Ob das Rabenfedern an meinem Helm seien, fragt mich die alte Frau kurz darauf. „Mama, der Radfahrer hat doch gerade gesagt, dass das Geierfedern sind“, erinnert sie die Tochter. Irgendwann lässt das Gedächtnis leider nach.
Ich bedanke mich für den zusätzlichen Proviant und fahre weiter. An einem der vielen Fachwerkhäuser steht in einen Träger eingeritzt: „Sich regen bringt Segen“. Der Satz könnte nicht zutreffender sein!
Ich fahre ein Stück vom Sauerland Radring und komme durch den sogenannten Fledermaustunnel. Ursprünglich fuhr hier die Eisenbahn, die Erz von den Minen transportierte.
Im Tunnel ist es immer zwischen 6 und 8°C kalt, bei hoher Luftfeuchtigkeit. Das lieben Fledermäuse und deshalb überwintern hier sogar vier unterschiedliche Arten.
Im Tunnel tropft Wasser hinab und die feuchten Steine in der Tunnelwand schimmern grünlich im Licht der Deckenbeleuchtung.
Im Tunnel fahre ich an einer Frau vorbei, die mit einem kleinen Kind spaziert. Am Tunnelausgang fülle in einem Bach meine Wasserflaschen auf und lese ein Schild über die Fledermäuse, die hier wohnen. Dabei holen mich die Frau und der kleine Junge wieder ein.
„Schau mal Theo, das sind ja Federn“, sagt die Frau, die wahrscheinlich Theos Oma ist. „Wir haben an was ganz anderes gedacht“, sagt sie dann zu mir. „Was denn?“, frage ich neugierig.
„Wir dachten, da sei vielleicht eine Kamera an einem Stab befestigt, die alles filmt.“
„Wo kommst du her?“, will die Frau wissen. Ich erkläre, welche Runde ich gefahren bin. Theo schaut mich ganz erstaunt an.
„Und wie weit bist du insgesamt gefahren?“
„9000 km in fünf Monaten.“
„Ich habe gestern die 9000 km auf meinem Fahrrad voll gemacht“, sagt die Frau. „Aber nicht in fünf Monaten, sondern in fünf Jahren. Aber man sieht, man kann schon große Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen, wenn man sich ranhält.“
Ich halte mich ran und fahre weiter. Bald fahre ich schon den letzten Berg vor meinem Übernachtungsort nahe Arnsberg hoch.
„Endlich mal ein ehrlicher Radfahrer“, sagt eine Frau zu mir, die mich den Berg hochschnaufen sieht. Ich fühle mich geehrt. Tatsächlich habe ich heute fast nur E-biker gesehen.
Nicht viel später stehe ich vor dem Haus von meiner aller ersten Gastgeberin, Katja. Durch die dichte Gartenhecke höre ich heitere Gesprächsfetzen: Es sind Gäste da. Ich öffne das Tor und schon schießen mir zwei Hunde entgegen wie Raketen. Katjas Rhodesian Ridgeback Mathilda und noch ein zweiter Hund.
Zu einer Käseplatte und verschiedenen Brotaufstrichen unterhalten wir uns. Bei den zwei verfressenen Hunden lebt der Käse gefährlich.
Wir sitzen gemütlich im Garten auf Liegestühlen. In der Mitte steht ein Tisch mit dem Essen. Mathilda springt abwechselnd bei dem einen, mal dem anderen auf den Schoß. Mir versucht sie die ganze Zeit, das salzige Gesicht abzulecken.
Katja erzählt, wie wir uns getroffen haben, damals vor 5 Monaten. Heute hat sie extra einen Fototermin platzen lassen, damit sie zu Hause sein kann, wenn sich der Kreis der Tour schließt.
Danach erzähle ich von meiner Reise. Die Gäste haben viele Fragen.
Ob ich unangenehme Erfahrungen gemacht habe? Ob es für mich schwierig war, alleine zu reisen? Wie ich auf die Idee kam, diese Reise zu machen? Ob ich Probleme mit Tieren oder Ungeziefer hatte? Wie ich die Reise finanziert habe? Bei was für Leuten ich übernachtete? Und noch viel mehr.
Später dreht sich das Gespräch um Themen, die gerade viele Menschen bewegen. Hohe Hauspreise (Jeder hat dazu eine Geschichte), die Zentralbanken auf der ganzen Welt, die massiv Geld drucken („das knallt in 2 Jahren…“ ist die einhellige Meinung) und ob man eine weitere Corona Impfung machen sollte (die Runde ist gespalten).
In diesem Zusammenhang geht es auch um Ängste und Risikowahrnehmung, die bekanntlich alles andere als objektiv sind. So werden Risiken, die unsere ständigen Begleiter sind (z.B. Verkehr!) einfach ausgeblendet. Andere sind hingegen vollkommen übertrieben in den meisten Köpfen.
Die Runde ist auf jeden Fall diskutierfreudig! Gegen 22:00 Uhr machen sich die Besucher auf den Heimweg und ich hüpfe noch einmal unter eine kalte Dusche.
Jetzt, um 23:00 Uhr, liege ich im Zelt. Der moosige Rasen ist herrlich weich und lädt zu einem tiefen Schlaf ein. Mir fallen schon fast die Augen zu. Gute Nacht und bis morgen!