Tag 17: Au revoir la Suisse, bonjour la France

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8:15

Ich wurde von einem Vogelkonzert geweckt. Dazu Krähen, die sich in ihrer Lautstärke überboten. Keine Wildschweine mehr! Obwohl das Zelt auf einem Hang steht, habe ich sehr gut geschlafen. Die Sonne scheint, ich höre im Wald einen Specht am Werken. Ich werde jetzt mein Zelt abbauen, bevor die ersten Sonntagsspaziergänger hier aufkreuzen. Hoffentlich sitzen noch alle frommen Bergbauern in der Kirche;) Gestern habe ich noch auf Vorrat eingekauft, denn sonntags ist auch in der Schweiz alles dicht. Also: Packen und losradeln! Frühstück esse ich dann unterwegs, nach 10-20 Kilometern.

13:00

Die Zeit vergeht wie im Flug. Von meinem Übernachtungsplatz in etwa 900 m Höhe geht es fast nur bergab bis zum Genfersee. Das Wetter ist traumhaft: strahlend blauer Himmel und der Blick auf das Mont Blanc Massiv. Da macht jeder Kilometer doppelt Spaß. Nach 48 km stehe ich am Hauptbahnhof in Genf. Die Stadt erinnert mich ein bisschen an Italien, nur mit weniger Verzierungen. Die Schweizer Präzision kommt eben auch durch. Dass in Genf Geld verdient wird und auch Geld residiert, sieht man schnell an den Autos, die auf den Straßen unterwegs sind.

Porsche, Ferrari, Lamborghini und sogar einen McLaren P1 sehe ich in nur einer Stunde. Eigentlich bin ich aber nicht wegen der Autos in Genf. In der Stadt ist viel los, es tummeln sich alle möglichen Nationalitäten. Ich sehe Sikhs aus Indien, höre so ziemlich jede westeuropäische Sprache und dazu unzählige Sprachen die ich gar nicht zuordnen kann.

Im Park direkt am Genfersee herrscht ein reges Treiben. Ein Obdachloser hat sich an einen Brunnen hingesetzt, trinkt Wein aus einem Becher und hört dabei laute Musik. Alte Cowboyschnulzen. Er wippt mit dem Kopf und schaut sehnsüchtig in die Ferne, als wäre er auch ein einsamer Reiter in der Prärie. Vielleicht ist er das auch, hier in der Stadt der Reichen und Schönen.

Ich setze mich in der Nähe entspannt auf eine Bank, höre den Liedern von Johnny Cash zu, lasse mich von der Sonne bescheinen und esse eine Banane und Schokolade.

Die Energie der Schokolade werde ich brauchen. Der sanft ansteigende Radweg, der mich aus Genf hinausführt, lässt kaum erahnen, dass ich gleich die längste bergauf Strecke, die ich jemals am Stück bewältigen musste, vor mir habe. 1000 Höhenmeter geht es am Stück bergauf.

Durchschnittssteigung: 7%.

Zusatzgewicht: 20 kg Gepäck und ein nicht ganz leichtes Fahrrad.

Ich freue mich allerdings über die Abwechslung, die die Berge bieten und nehme die Strecke mit Elan in Angriff. Bei dem traumhaften Wetter haben sich natürlich auch viele andere ähnliche Gedanken gemacht. Nur fahren die meisten den Pass nicht mit dem Fahrrad hoch, sondern mit ihren getunten Sportautos oder Motorrädern. Einige fahren so schnell um die engen Serpentinen, dass sie sogar driften. Wenn dich plötzlich ein Porsche mit 150 haarscharf überholt, setzt der Puls schon mal kurz aus. Aber nach dem dritten Mal gewöhnt man sich an den Schrecken von hinten. Beeinflussen kann man es sowieso nicht, nur immer schön rechts halten.

Auf halbem Wege treffe ich ein Ehepaar, einen Amerikaner und eine Französin. Die beiden haben sich an der Universität in Amerika kennengelernt, leben aber schon lange in Genf. Die Eltern des Mannes sind aus Boston zu Besuch und interessieren sich sehr für meine Rundreise! Sie schwärmen davon, wie es wäre wieder jung zu sein, und fragen mich, ob ich meine Erlebnisse auch aufschreibe. Wenn ich ein Buch hinausbringe, sagen sie, würden sie es sofort kaufen! Sie würden bei Barnes and Noble Ausschau danach halten. Zum Abschied wünscht mir die Gruppe alles Gute und eine sichere Fahrt. Auch sie hatten die Hobby-Rennfahrer, die ihr Können am Berg ausprobierten, bemerkt.

400 Höhenmeter strampelte ich noch hinauf, an einem Schild für einen tibetanisches Kloster vorbei, und dann stand ich auf dem Gipfel. 1300 M.ü.M, zu meiner linken Seite der Blick auf das gewaltige Mont Blanc Massiv, zu meiner Rechten in die Genfer Tiefebene, die begrenzt ist zum Westen durch den Jurakamm. In der Mitte liegt, wie ein funkelnder Smaragd, der Genfersee.

Vom Aussichtspunkt aus begann eine rasante Talfahrt, die ich kurz unterbrach, um in einem Gasthaus nach Wasser zu fragen. Meine Vorräte waren dem langen Aufstieg zum Opfer gefallen und ich war mir nicht sicher, ob ich genügend Trinkwasser für den nächsten Morgen hatte.

Zu diesem Zeitpunkt ging ich noch davon aus, dass ich wieder wild zelten würde. Doch wie es so oft der Fall ist auf einer Radtour, ergab sich etwas ganz anderes. Die Strecke, die ich ursprünglich fahren wollte war gesperrt, also nahm ich eine Alternative.

In einem kleinen französischen Bauerndorf mit herrlichem Blick auf den Montblanc fragte ich dann eine alte Bäuerin, ob man hier in der Gegend irgendwo sein Zelt gut aufschlagen kann. Es war 7 Uhr abends, und ich wollte langsam einen Ruheplatz finden.

Die Landwirtin meinte: ja, sie wüsste da ein paar Stellen, aber es werde doch ziemlich kalt diese Nacht. Damit hatte sie zweifelsohne Recht, denn ein klarer Himmel und 900 m Höhenlage ergeben schließlich ein gutes Rezept für eiskalte Nächte.

Wir sprachen auf Französisch, ich entschuldigte mich für mein Ausdrucksvermögen, doch die Landwirtin war sehr glücklich, mit mir in ihrer Landessprache sprechen zu können. Sie fragte mich wo ich herkomme, und wo ich noch hinfahren möchte. Als ich ihr erzählte, dass ich bis nach Portugal fahre, staunte sie.

Während wir sprachen, kam der alten Frau eine Idee und sie sagte, dass sie schnell ihren Sohn anrufen werde. Vielleicht ergebe sich da was mit ihrer Scheune. Ihr Sohn hatte die Scheune ausgeräumt, nachdem die Familie die Landwirtschaft aufgegeben hatte. Nun stand sie leer, und die Landwirtin wollte ihren Sohn fragen, ob etwas dagegenspreche, dass ich in der Scheune übernachten konnte.

Sie eilte schnell ins Haus und kam wenige Minuten später zurück mit der freudigen Nachricht: „Es klappt!“. Im gleichen Atemzug lud sie mich zum Frühstück am nächsten Morgen um 8 Uhr ein. Eine herzerwärmende Erfahrung, ganz abgesehen vom handfesten Vorteil nicht in unter null Grad draußen schlafen zu müssen.

Dieser Tag bewies also wieder einmal, wie freundlich Menschen sein können und, dass diese Freundschaft keine Landesgrenzen kennen muss. Morgen werde ich dann weiter nach Annecy fahren, wo ich alte Freunde meiner Großeltern besuche.

In dem Moment, wo ich diese Zeilen in meinem Zelt in der Scheune zu Papier bringe, bricht im Dorf das Geheule von Hunden aus, die sich gegenseitig in ein gute Nacht Gejaule steigern. Dazwischen meldet sich kurz ein Kauz. Ich merke, ich habe eine gute musikalische Begleitung in den Schlaf. Gute Nacht!

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