Tag 24: Schluchten und Felsen

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23:05

Ich liege im Zelt im Garten. Der Garten gehört Dorian und Tilly, einem englischen Pärchen, das seit 20 Jahren in der Gegend lebt. Heute bin ich von dem Lac de Paladru über die Gorges du Nans nach Presles gefahren. Auf der Suche nach einem Schlafplatz, habe ich das englische Pärchen spontan angequatscht.

Zunächst wurde ich nur von einem älteren Hund begrüßt, der mich wild anbellte, sonst aber nichts tat. Jones, der Hund, der mich ankläffte, hat struppiges braunes Fell und ist fast blind.

Am liebsten hat es Jones, wenn er den ganzen Tag gestreichelt wird. Immer wenn er irgendwo gekrault werden wollte, stupste er mich mit der Schnauze an.

Jones ist zufrieden, nachdem er den Eindringling in seinen Garten untersucht hat.

 

Aber erstmal zu meinem Tag.

Ich bin 80 km gefahren mit 1600 Höhenmetern. Insgesamt war ich sieben Stunden unterwegs. Ich bin unter strahlend blauem Himmel und einer leichten Brise gefahren. Zunächst war es relativ frisch, in T-Shirt und kurze Hose war es schon fast zu kalt. Es war einer dieser Tage, wo die Temperatur genau an der Grenze ist, sodass einem entweder zu kalt oder zu warm ist, je nachdem für welche Klamotten man sich entscheidet.

Die Landschaft im Nationalpark Vercors ist schwindelerregend schön, doch die Straßen sind nichts für schwache Nerven. Oft sind sie direkt in den Fels eingemeißelt. Massive Schluchten, senkrecht abfallende Felswände und karge Gipfel – das ist das Landschaftsbild, das heute die zweite Hälfte meine Tour geprägt hat.

Jetzt in meinem Zelt ist mir warm und wohlig. Ich habe eine warme Karotten-Erbsensuppe im Bauch, die mir Dorian extra noch zubereitet hat. Mit Tilly habe ich währenddessen am Lagerfeuer gequatscht. Sie erzählte mir, wie sie damals in die Gegend kam, um eine Hütte für einen Freund zu bewirtschaften.

Tilly ist in London aufgewachsen und sprach schon Französisch, als sie nach Frankreich kam, da sie auf eine französischsprachige Schule gegangen war. Doch Dorian, der ursprünglich Waliser ist, sprach kein Wort. Mittlerweile sind sie natürlich beide fließend, doch der starke englische Akzent bei ihrem Mann ist geblieben, ein Relikt der Herkunft.

Dorian ist hager, hat graue Haare und einen Bart. Beim Lachen enthüllt er gelbe Zähne, wahrscheinlich vom Rauchen und Tee trinken. Er wird um Mitte 50 bis 60 sein, schätze ich. Seine Frau ist jünger, vielleicht 45, mit schulterlangen braunem Haar und braunen Augen.

Obwohl die beiden viele Länder bereisten und in diesen auch gelebt haben, hat diese Gegend sie gefesselt. Irgendwann kauften sie sich ein großen, heruntergekommenen Bauernhof, den sie renovierten und in dem sie jetzt leben.

Der Bauernhof

 

In den Sommermonaten betreiben sie ein kleines Restaurant. In den Wintermonaten verdienen die beiden ihr Geld, indem sie Essen für Kindergärten und Schulen kochen. Zusätzlich gibt Tilly Englisch-Kurse an der Universität in Grenoble. Ihr Mann klettert sonst noch gerne – dafür sind die umliegenden Schluchten ein wahres Paradies.

Ich frage Tilly am Lagerfeuer, ob es denn schwierig sei sich hier zu integrieren und Menschen kennenzulernen. Es sei ja schließlich ein Dorf, und in Dörfern kennt man sich ja noch aus dem Kindergarten. Da sei es sicher nicht leicht als Ausländer Fuß zu fassen, oder?

nnte man meinen, sagt Tilly, doch wir haben das ganz anders erlebt. Eben dadurch, dass es ein Dorf ist, ist alles sehr überschaubar und man trifft schnell alle Leute. Außerdem, da ich ja bereits Französisch sprach, waren die Türen offen. Ihr Mann als Waliser ist hier auch gern gesehen, er gilt im Dorf als der Gallier!

Ohnehin, sagt Tilly, würden die Leute auf dem Land die Pariser viel weniger mögen als sie, obwohl das ja eigentlich ihre Landsleute sind. Doch die Großstädter sind verrufen als versnobt und abgehoben. Leute, die keine Ahnung haben, wie das Leben auf dem Land ist.

Die Animosität der Landbevölkerung in Frankreich gegenüber den Städtern, insbesondere den Parisern, ist deutlich stärker ausgeprägt als in Deutschland. Das liegt womöglich an dem stark zentralistisch organisierten politischen System in Frankreich, weshalb die ländlichen Bevölkerungsanteile den Eindruck haben, von Paris bevormundet zu werden (da die politischen Entscheidungsorgane dort residieren).

Für morgen hat Tilly vorgeschlagen, dass ich einen weiteren Gorge anschaue, der spektakulär sein soll – die Gorges de la Bourne. Vielleicht wird Tilly mich sogar mit ihrer Tochter auf den ersten Kilometern begleiten. Das dürfte mit ihren E-Bikes ja kein Problem mehr sein, meint sie augenzwinkernd.

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