Tag 27: Essen und Gedanken über das Denken

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Bâtie Rolland –> Saint-Paul-Trois-Châteaux

Fangen wir dieses Mal am Ende an: Saint-Paul-Trois-Châteaux ist ein hübsches Dorf. Besonders hübsch erscheint es einem, wenn man Hunger hat. Überall sind kleine Bäckereien, Metzgereien und Käsereien – die nicht irgendwelchen großen Ketten angehören, sondern selbst und in Handarbeit ihre Produkte herstellen.

Besonders gut an den Bäckereien gefällt mir in der Gegend, dass sie auch kleine Quiches anbieten. Für 2,50 € gibt es eine Quiche Lorraine oder eine Quiche mit Zwiebeln auf die Hand! Wenn das Radfahrer-Paradies nicht so aussieht, weiß ich auch nicht weiter.

Meine Quiche
Großen Eindruck hat der Rest der Strecke heute nicht hinterlassen. Als ich mich mittags auf den Weg machte, regnete es. Unter grauem Himmel sieht die Provence plötzlich auch ganz normal aus. Regen ist ein großer Gleichmacher.

Von meinem Startpunkt La Bâtie Rolland sind die 10 km nach Montélimar schnell geschafft. Dort habe ich mir bei Decathlon ein neues Kettenöl besorgt. Mit einer Verkäuferin kam ich in ein nettes Gespräch, und sie erzählte mir von den herrlichen Strecken in der Ardèche. Es ist schön, wenn Leute Zeit haben und sich auf eine Unterhaltung einlassen.

Nach dem Decathlon-Besuch ging es an der Rhône entlang nach Süden. In den Flussauen zwitscherten die Vögel. Die Luft war warm und feucht. Die letzten 10 km der Strecke führten mich auf stark befahrenen Landstraßen entlang, bis an den Ort, wo ich die Nacht verbringe.

Ich habe wieder eine Übernachtungsmöglichkeit bei einem älteren Ehepaar über „Warm Showers“ organisiert. Ich habe Glück, dass es klappt, denn die beiden dachten, dass ich erst morgen ankomme. Meine Nachricht hatte ich gestern abgesendet und hatte ungeschickterweise keinen Tag und Datum genannt, sondern nur das Wort “demain”, also morgen.

Die Altstadt von Saint-Paul-Trois-Châteaux

Da Genevieve und Francois die Nachricht aber erst heute lasen und nicht gesehen hatten, dass ich sie schon gestern abgeschickt hatte, dachten sie halt, ich komme erst morgen. Entsprechend waren sie ein bisschen überrumpelt, dass ich schon heute auftauche, haben es aber mit großer Gelassenheit so angenommen. An dieser Spontanität merkt man oft, ob die Leute richtige Radfahrer sind.

Genevieve und Francois leben in einem großen Haus, das bequem eingerichtet ist. Im zweiten Stock habe ich eine Einliegerwohnung nur für mich. Das ist besser als ein Hotel.

Da Genevieve und Francois abends auf eine Feier gehen, haben wir nur ein Stündchen geplaudert. Die beiden haben schon viele große Touren unternommen, und beherbergen schon lange selbst andere Radfahrer. Sie schwärmen von den Begegnungen. Im Sommer sind es oft Familien mit Kindern oder Hobby-Radfahrer. Im Winter fragen eher weniger Leute an. Wenn, dann aber richtige Weltenbummler. Einige Male hatten sie schon Radfahrer zu Gast, die seit über 10 Jahren die Welt bereisten. Einer war sogar schon zum sechsten Mal dabei, die Welt zu umrunden. Ein Deutscher, sagen sie, und lachen.

Sie selbst sind mit dem Fahrrad durch Rumänien und Bulgarien gefahren, zum Nordkap hoch – und sie haben eine Tour gemacht von den französischen Alpen bis nach Malaga.

Dabei hielten sich Genevieve und Francois immer an die Küste, und konnten mir jetzt das bestätigen, was in diversen Radfahrerforen online geschrieben steht. Ab Alicante ist es an der Küste der Horror. Starker Verkehr und ständige Angst um das eigene Leben, wenn LKW überholen. Temperaturen von 40 Grad machen die Radfahrerhölle komplett!

Viel besser sei es, sagen mir die beiden, einmal mitten durch Spanien durchzufahren. In der südlichen Hälfte sollte man die Filetstücke mit dem Auto und dem Zug anfahren, und dann dort ausgewählte Touren machen. Dann umgehe man auch die Gemüseanbaugebiete, wo sich über dutzende Kilometer links und rechts der Straße ein Gewächshaus an das Nächste reiht. In dieser Gegend sind nämlich auch die kleinen Landstraßen im Inland nicht passierbar: Die großen Gemüsetransporter rauschen hier Tag und Nacht durch.

Das ist das tolle, wenn man andere Radfahrer kennenlernt: man erhält immer wertvolle Tipps! Das nützliche und relevante Wissen der Welt ist in den Köpfen von Menschen gespeichert. Wir haben die vorteilhafte Eigenschaft, dass wir die Informationen, die wir nicht brauchen, auch wieder schnell vergessen. Deshalb kann man im Gespräch mit anderen Leuten oft sehr viel schneller auf die relevanten Aspekte kommen als bei einer Recherche im Internet.

Das Internet vergisst nicht: auch nicht die unnötigen oder gar falschen Informationen. Hier Überschaubarkeit herzustellen, Relevantes von Irrelevantem zu trennen, das erfordert erst einmal viel Energie und Zeit.

Wir leiden unter einer digitalen Informationsflut. Die Klarheit ertrinkt unter einem Wasserfall unnötiger Infos. Früher hielt man die Menschen dumm, indem man ihnen Informationen nicht verfügbar machte. Heute hält man Menschen dumm, indem man ihnen zu viele Informationen zur Verfügung stellt.

Informationen werden erst wertvoll, wenn man sie einordnen kann in seinem bisherigen Wissenskosmos. So kann nämlich überprüft werden, ob das Neue auch stimmig und damit glaubhaft ist.

Die Glaubwürdigkeit von Neuigkeiten zu beurteilen erfordert allerdings Zeit. Wer ständig mit neuen Informationen bombardiert wird, dem fehlt diese Zeit.

Zu viel Wissen führt in diesem Fall paradoxerweise zu Verwirrung. Wie ein vollgesogener Schwamm kein Wasser mehr aufnehmen kann, kann auch das gesättigte Hirn kein neues Wissen anlegen.

Sollte dies der Fall sein, rate ich zu einer längeren Radtour. Was Fasten für den Körper ist, sind Radreisen für das Hirn. Wenn man nur sehr wenige Informationen bekommt, wird es viel leichter sie in einen Zusammenhang einzubetten.

Der Zusammenhang zwischen Müdigkeit, einem vollen Magen, und viel Bewegung ist auch klar: Deshalb lege ich mich jetzt schlafen. Gute Nacht!

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