Tag 35: Veränderung der ländlichen Regionen und die Weiterfahrt

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Beim Frühstückstisch geht es heute wieder um Politik. Es ist nun amtlich, dass Le Pen im Dorf die Mehrheit der Stimmen bekommen hat. „Warum beschweren sich die Leute auf dem Land überhaupt?“, fragt Véronique. „Sie können doch umziehen, wenn es hier so schlecht ist! Das Leben hier ist doch gut. Man hat keinen Stau, keinen Lärm, keine Abgase. Alle Dinge, die in der Stadt die Lebensqualität beeinträchtigen, gibt es hier nicht. Man lebt inmitten schönster Natur. Ich verstehe die Unzufriedenheit einfach nicht. Manchmal glaube ich, man hat so lange von der abgehängten Landbevölkerung geredet, dass viele dieses Narrativ jetzt wirklich glauben.“

„Vielleicht kommt die Unzufriedenheit daher, dass es hier kaum Arbeit gibt. Die ist in den Städten, deshalb gibt es ja die Landflucht“, schlage ich vor.

„Das mag vielleicht in der Vergangenheit so gewesen zu sein, aber mit der Telearbeit oder Home-Office kann man ja von überall arbeiten“, erwidert Véronique. „Deshalb sind während der Coronakrise so viele Leute auf’s Land gezogen. Es gab eine lange Phase der Urbanisierung, doch seit Corona kehrt es sich um in eine Ruralisierung.“

„Aber Telearbeit ist nur bei akademischen Berufen sinnvoll. Und die, die Le Pen wählen sind ja tendenziell weniger gebildet. Also würde diese Gruppe wahrscheinlich nicht wirklich profitieren. Vielleicht fühlt sie sich ja sogar bedroht, durch die ganzen Städter, die sich Landhäuser gekauft haben. Die Hauspreise sind bestimmt gestiegen, oder?“

„Ja, die Preissteigerung ist enorm bei Immobilien“, antwortet Véronique. „Ich denke, die Situation in Deutschland ist ähnlich, oder?“

„Ja, das scheint länderübergreifend so zu sein“, sage ich.

„Das ist schon problematisch. Wenn die Preise und Mieten auf dem Land sich an den Geldbeutel der Städter anpassen, wird es deutlich teurer. Das wäre schon ein Grund für Unzufriedenheit“, bedenkt Véronique jetzt.

„Kann man eigentlich an den Nummernschildern erkennen, wo jemand herkommt? Dann würde man ja sehen, ob hier plötzlich nur noch Leute aus den Städten unterwegs sind.“

„Nein, Sarkozy hat das geändert. Seitdem kann man nur sehen, in welcher Region das Auto gekauft wurde.“

„Warum hat er es denn verändert?“, frage ich.

„Ach, alle Gründe weiß ich nicht. Aber es war eine Möglichkeit, eine neue Steuer einzuführen, bei der Autoregistrierung.“

„Klar, das ist natürlich ein Grund“, sage ich.

„Mit einem Auto aus Paris würde ich aber hier nicht herfahren“, warnt Véronique. „Da riskiert man ausgehupt zu werden. In manchen Orten wird dir sogar das Auto zerkratzt oder Scheiben eingeschlagen. Pariser sind hier von manchen Leuten nicht gern gesehen.“

„Das ist heftig. Das kann ich mir in Deutschland mit einem Berliner Kennzeichen nicht vorstellen.“

„Das Verhältnis zur Hauptstadt ist in Frankreich wirklich angespannt. Doch das ist nichts Neues. An andere Stelle hingegen, verändert sich jedoch das Land dramatisch. Der Klimawandel macht sich bemerkt, es wird immer trockener.“

„Die Landwirtschaft kämpft“, erzählt mir Thierry, als wir bei Tee und Schokolade draußen sitzen und die Sonne genießen. „In den letzten Jahren kommen immer neue Krankheitserreger, Schädlinge, Resistenzen und Dürren. Die sonst robusten Platanen, die die Straßen säumen, sterben ab. Mittlerweile werden sogar Weinreben und Olivenbäume bewässert. Der Pestizideeinsatz ist enorm und führt zu immer neuen, noch resistenteren Schädlingen.“

„Früher habe ich auch auf einem kleinen Grundstück Wein angebaut“, erzählt Thierry weiter, „Doch es wurde mir zu aufwändig. Von Jahr zu Jahr wurde es schwieriger, eine gute und gesunde Ernte zu erzielen.“

„Im Sommer ist es so trocken, da bringen Lastwagen zusätzliches Wasser. Die örtlichen Brunnen führen nicht mehr ausreichend Wasser“, erzählt Thierry.

Das ist verrückt. Und so weit im Süden bin ich noch gar nicht. Wie sieht es wohl in Spanien aus? Wie haben es denn die Römer gemacht, bevor es Pestizide und andere Mittel gab?

Bald begebe ich mich wieder auf die Reise. Ich esse noch bei Thierry und Véronique zu Mittag. Danach möchte ich weiterfahren. Es waren drei tolle Tage in St.-Felix – die perfekte Abwechslung zum Fahrradfahren. Wir haben viel gemeinsam unternommen, und Thierry und Véronique waren unglaublich interessante und liebenswerte Gastgeber.  

Beim Mittagessen erzählen mir die beiden von einer Reise nach Afghanistan im Jahr 1978. „Das war 6 Monate, bevor Russland einmarschierte“, meint Thierry. „Wir waren einen Monat dort“, übernimmt Véronique. „Mit dem Auto sind wir quer durch das ganze Land gefahren.“

„Es gab dort die tollsten Orte“, schwärmt Thierry, „mit Häusern, die aus fantastisch geschnitztem Kastanienholz gebaut waren.“

„Die Buddhas haben wir auch gesehen“, sagt Véronique. „Die haben ja die Taliban später gesprengt. So ein Irrsinn. Wegen ihrer kleinen Ideologie, ein 2000 Jahre altes Weltkulturerbe zu zerstören.“

„Wir hatten das große Glück, dass in unserer Gruppe ein Krankenpfleger dabei war, der seit zwei Jahren in Kabul arbeitete. Das war Gold wert, denn er kannte die Sitten des Landes und konnte uns viele Dinge zeigen, die sonst Touristen verborgen bleiben.“

Solche Geschichten wecken immer meine Reiselust, es kribbelt dann richtig. Gleich gehe ich wieder auf die Piste. Ich suche meine sieben Sachen zusammen und mache mir ein Picknick zum Mitnehmen.

Gegen drei Uhr mittags habe ich St.-Felix verlassen, und bin am Lac du Salagou vorbei nach Süden gefahren. Dort war einiges los: Viele Mountainbiker und Wohnmobile, vor allem aus den Niederlanden. Das Wetter hätte nicht besser sein können und eine herrliche Straße führte vom See in den dahinter liegenden Nationalpark.

Ich sah die ersten Kakteen auf meiner Strecke – da ist Vorsicht geboten! Bis jetzt hatte ich noch keinen Platten und das soll auch so bleiben. Es geht einen kleinen Pass hinauf, dann fahre ich bergab bis zum Fluss Orb.

Auf einer alten Bahntrasse vergehen die nächsten 30 km im Flug. Auf einem begrüntem Wohnmobilparkplatz stelle ich schließlich mein Zelt auf.

Ich bin hier nicht der einzige: Drei Familien feiern zusammen einen Geburtstag. Sie haben mich zum Geburtstagsessen mit eingeladen – sehr freundlich! Als es dunkel wird, holt jemand eine Gitarre. Es wird gespielt und gesungen unter den Sternen. Besser kann der Tag nicht zu Ende gehen.

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