Tag 37: Carcassonne und die Touristen

  • 4 mins read
  • Published

8:45

Es ist windig. Um mich herum rauscht es wie am Meer. Ich habe sehr gut geschlafen, der Boden ist schön eben hier. Ich werde noch an Ort und Stelle mein übliches Frühstück essen, Müsli mit Joghurt. Der Ort, an dem mein Zelt steht, ist geschützt und abgelegen. Hier mache ich mir keine Sorgen über unerwünschten Besuch.

11:30 – Carcassonne

Carcassonne ist eine ziemlich überschaubare Stadt. Der Ort ist umgeben von hohen Mauern aus Stein. Die Gebäude sehen aus, wie man es von einer mittelalterlichen Stadt erwartet. Klein, dicht aneinander gebaut, Fachwerk.

Es ist Samstag und dementsprechend sind auch viele Touristen unterwegs. Mein Fahrrad muss ich schieben. Wie immer an Touristenhighlights hat sich die Wirtschaft komplett an den Besuchern orientiert. Überall werden Ritterausrüstungen und Süßes zum Essen angeboten. Wirklich authentisch wirkt es dadurch nicht mehr.

Einerseits schafft der Tourismus Arbeit und das Geld, das die Besucher ausgeben, hilft die Substanz solcher alten Orte zu erhalten.

Andererseits verändert der Tourismus auch den Charakter von einem Ort – und oft auch von den Menschen, die dort wohnen.

Schnell wird man als Reisender zu einem Geldbeutel mit Beinen und Armen degradiert. Überall geht es nur noch um das Geschäft. Das aufrichtige Interesse an der Person nimmt ab. Dabei ist das Schöne am Reisen das zufällige Gespräch, ein freundliches Hallo! ohne einen weiteren Hintergedanken, als gut gelaunt einen schönen Tag zu wünschen.

Das sind die Momente, von denen man zehrt, wenn es mal nicht so läuft! Zusammen ergeben sie auch den Nachgeschmack, den ein Ort hinterlässt.

Bei mir hinterlassen die ursprünglicheren Ortschaften einen angenehmeren Nachgeschmack, eine freundlichere Resonanz. Dafür muss man auch nicht so spektakuläre Stadtmauern haben wie Carcassonne.

13:30

Ich mache eine Pause. Unter meinem Pulli wurde es ziemlich warm. Deshalb habe ich ihn ausgezogen und genieße jetzt den kühlenden Wind auf meiner Haut.

Ich befinde mich im Vorland der Pyrenäen, zwischen Carcassonne und Perpignan. Hier gibt es nichts außer endlose Weinberge und Schotterpisten. Obwohl es keine großen Berge hochgeht, sind die Anstiege richtige Nadelstiche. Immer wieder geht es auf losem Untergrund mit 15 oder 20% Steigung nach oben. Im Sitzen ist das mit dem Gepäck unmöglich zu fahren, deshalb muss ich immer wieder in den Wiegetritt. Auf Dauer ziemlich anstrengend, deshalb genieße ich jetzt auch meine Pause.

Zum Glück leide ich nicht an Hunger. Ich war heute schon in zwei Bäckereien, wo ich mir jeweils etwas zum Naschen gekauft habe. Die Bäckereidichte in Frankreich ist enorm. Fast alles sind noch Betriebe, die vor Ort in Handarbeit fertigen. Zum Teil sind 3 Generationen involviert – wie in St.-Felix. Dort standen Großvater und Vater in der Backstube, während eine Tochter und die Mutter den Verkauf leiteten.

Dass eine solche Handwerksbäckerei Baguettes nicht für 29 Cent verkaufen kann, wie neulich eine große Supermarktkette anpries, ist klar (Das löste eine große Empörungswelle aus. Stichwort: Baguettekrieg).

Trotzdem sind die Baguettes in den Boulangeries erstaunlich preiswert, und kosten in der Regel zwischen 80 Cent und 1,20€. Es schmeckt auch einfach. Meistens bewahrheitet sich beim Essen eben, dass wer am Geld spart auch am Geschmack spart.

19:30

Es ist Samstag, das Wetter ist toll und jeder ist draußen. Heute war es einfach, jemanden zu finden, bei dem ich mein Zelt im Garten aufstellen kann. Ein sportlicher, braungebrannter Mann hat mir seinen Rasen zur Verfügung gestellt. Der Garten ist groß: Jetzt habe ich die Qual der Wahl, wo ich mein Zelt aufbaue.

Gerade bin ich die Gorges de Galamus hinuntergefahren. Auf der Straße war fast kein Verkehr, und die Schlucht war beeindruckend. Die Felsen reflektierten die goldene Abendsonne und – im Gegensatz zu fast jeder anderen Strecke heute – war die Straße gut geteert und ohne Schlaglöcher oder Rollsplitt.

Mein Abendessen habe ich schon auf einer sonnigen Bank vor der Gorge gegessen. Baguette mit vier Honigsorten und Schafskäse. Jetzt muss ich mich nur noch ins Zelt legen und schlafen. Das nenne ich Leben!

Author

Leave a Reply