Tag 39: Natur und eine Beschuldigung des Diebstahls

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8:35

Zwei Tauben gurren um die Wette. Die Taube ist ein erstaunlich lauter Vogel. Auch beim Losfliegen hören sie sich an, wie ein kleines Feuerwerk. Ich frage mich immer, welchen Vorteil bringt dieser Lärm? Es ist ja eine Einladung an Raubtiere: „Hier bin ich! Dein nächstes Abendessen wartet schon…“

Möglicherweise ist der Lärm nach dem „Handicap“-Prinzip aus der Biologie zu verstehen. Dessen Logik folgend, kann es sich eine starke Taube leisten, viel Lärm zu machen. Sie haben die Kraft, Feinden zu entkommen. Je größer der Lärm – und damit das Handicap, also der Nachteil – den sich die Taube leisten kann, umso mehr signalisiert sie möglichen Partnern, dass sie stark und vital ist.

Bei Hirschen gilt genau dieses Prinzip für das Geweih, ebenso wie bei vielen Vögeln wie Pfau, Hahn und diverse Paradiesvögel. Hirsche etwa leiden an großer Nährstoffknappheit während sich das Geweih ausbildet. Ihr Knochenmaterial nimmt ab – ein der Osteoporose ähnlicher Prozess. Je größer das Geweih, umso mehr Mineralstoffe muss der Körper des Hirsches zur Verfügung stellen. Nur die größten und stärksten Tiere bilden den prächtigsten Kopfschmuck aus. Diesen dürfen sie als „Belohnung“ dann auch noch mit sich herumschleppen. Ein echtes Handicap in mehrfacher Hinsicht – alles nur, um Stärke zu signalisieren.

„Ich bin so gesund, dass ich mir das leisten kann!“

Manchmal frage ich mich, ob wir Menschen nicht ähnlich sind…

„Ich bin so reich, dass ich mir den 3. Privatjet auch noch leisten kann…“ Auch im Kleineren binden wir uns viele Handicaps auf, einfach „weil wir es können“. Ein Blick in den unübersichtlichen Kleiderschrank genügt.

Als Antwort darauf, entstehen Bewegungen wie der Frugalismus (ein extrem sparsamer Lebensstil) oder der radikale Minimalismus. Eine Japanerin, ich habe ihren Namen vergessen, schrieb zu Letzterem sogar einen Millionenbestseller darüber. Ein Bedarf ist da, ganz klar.

13:30

Die Pyrenäen sind eine sagenhafte Fahrrad-Region. Allerdings sind die steinigen mit Felsklötzen übersäten Wege alles andere als fahrradfreundlich. Meine Taschen rumpeln und ächzen anklagend bei jedem Felsbrocken, den ich übersehe. „Bitte keinen Platten!“, denke ich die ganze Zeit. Wie durch ein Wunder bleibe ich tatsächlich pannenfrei.

Plötzlich sehe ich ein Schild für einen Wanderweg. Ich brauche eine Abwechslung vom Fahrradfahren, also entscheide ich mich eine Runde „Trailrunning“ zu gehen. Ich renne einen steinigen Trampelpfad hinauf zu einer Burgruine. Teilweise muss ich laufen und die Hände mit dazu nehmen, weil es so steil ist. Vor Schweiß triefend, komme ich oben an. Einmal durchatmen, den Ausblick genießen und dann geht es über einen anderen Weg zurück zum Fahrrad.

17:40

Endlich ein Laden. Mein Wasser wird knapp und aus den Flüssen hier will ich garantiert nichts trinken! Sie sind kanalisiert, aufgestaut und das Wasser stinkt. Außerdem habe ich für morgen noch kein Frühstück und meine Müsliriegel sind fast alle. Schnell eile ich also in das Geschäft hinein.

18:00

Bin ich ein Ladendieb? Nein, natürlich nicht! Doch die dicke Ladendetektivin hält mich für genau das. Ich bin wie die letzten fünf Wochen immer mit meinem Rucksack in den Laden. Wie sonst soll ich meine Einkäufe auch tragen?

Eben habe ich schon in dem Laden Obst, Müsli und Joghurt gekauft. Da fällt mir ein, dass ich vergessen habe Wasser zu kaufen. Ich eile also noch einmal schnell in den Laden und nehme zwei Wasserflaschen aus dem Regal.

Plötzlich steht da eine Frau in Uniform, klein und dick. Sie zeigt mit einem fetten Finger auf meinen Rucksack. „Darf ich da mal reinschauen?“  Ihr Tonfall duldet keine widerrede, sie hätte auch gleich meinen Rucksack packen können.

In dem Rucksack ist noch eine Orange des vorherigen Einkaufs.

„Was ist denn das? Hast du dafür einen Einkaufszettel?“, redet sie mich barsch an. Dann schimpft sie los.

„Hier geht man nicht mit einem Rucksack rein, verstehst du! Dafür gibt es Schließfächer!“

„Hast du den Einkaufszettel oder nicht? Sonst muss ich einen Diebstahl melden!“

Ich öffne schnell das Fach mit dem Portemonnaie, und hoffe inbrünstig, dass der Einkaufszettel noch drinsteckt. Manchmal werfe ich sie nämlich weg. Platz ist Mangelware in meinem Rucksack!

Puh! Da hat man Herzrasen. Zum Glück ist der Zettel noch im Portemonnaie! Ich zeige ihn triumphierend der Ladendetektiven. Sie scheint fast ein bisschen enttäuscht zu sein, dass ich nicht wirklich ein Ladendieb bin. Sie gibt sich geschlagen, „Ja, gut, du hast die Rechnung. Aber beim nächsten Mal kommt der Rucksack ins Schließfach!“

Noch einmal gehe ich sicher nicht in diesen Laden. Dennoch wünsche ich ihr beim Hinausgehen in freundlicher Stimme einen schönen Abend.

18:40

Ich habe einen öffentlichen Platz gefunden, wo ich mein Zelt aufstellen kann. Allerdings ist noch recht viel los, weshalb ich erst genüsslich mein Abendessen esse. Immer wieder fahren Autos auf den Parkplatz neben mir und bleiben stehen. Fast nie steigen die Insassen aus. Die bleiben einfach eine halbe oder dreiviertel Stunde im Auto sitzen, und fahren dann wieder weg. Seltsam…

Hundespaziergänger kommen auch immer wieder vorbei, aber solange kein Hund an meine Vorräte möchte, bin ich auch damit einverstanden. Hoffentlich bleibt unwillkommener Besuch fern. Immerhin habe ich zwei Honiggläser im Zelt, die in solchem Fall als Wurfgeschosse dienen könnten. So bin ich beruhigt und werde gut schlafen. Gute Nacht!

Ein erster Blick auf die spanische Mittelmeerküste.

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