Tag 41: Barcelona und Reflexionen über Angst

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8:30

Die Nacht war friedlich, mein Schlaf tief.

Es ist schön ohne Angst und Sorgen zu schlafen.

Keine Angst haben zu müssen ist ein großer Wert.

Es ist der Wert von Frieden und Wohlstand.

Der Wert, sich seine Ängste aussuchen zu können.

Ich stelle mir gerade vor, wie es ist in einem Kriegsgebiet zu wohnen. Die schreckliche Angst, um sich und seine Angehörigen, jedes Mal wo die Sirenen heulen, wo man einen Kampfjet hört. Die Angst vor dem Unsichtbaren – einer Drohne oder Schlimmerem.  Die diffuse Angst, nicht zu wissen, wann der Vulkan ausbricht, wo der Blitz einschlägt.

In dieser Situation muss man sich fühlen wie ich gestern für kurze Zeit in meinem Zelt: Man sieht Schatten um sich herumirren, doch man weiß nicht wer sie sind und kann sie auch nicht beeinflussen. Man ist den Schatten ausgeliefert. In seiner Angst schreibt man den Schatten alle möglichen Absichten zu. Das über Monate und Jahre zu ertragen ist eine schreckliche Vorstellung.

Angst ist perniziös. Angst stört die Erholung – man ist andauernd gestresst und angespannt. Eine Kaskade an negativen biologischen Prozessen setzt sich in Gang. Die Hormonbalance verändert sich, Zellen nehmen Schaden und regenerieren sich auch langsamer.

Ebenso verändert Angst, wie man Entscheidungen trifft. Wenn alle Sorgen heute gelten, sind keine mehr für morgen übrig. Man wird myopisch, denkt nur noch an das Kurzfristige. Jemand der Angst um seine Existenz hat, denkt nachvollziehbar nicht über den Verfall der Biodiversität. Da muss erstmal Essen auf den Tisch. „Woher?“ ist eine Frage, die man erst nachher stellt, selbst wenn die Konsequenzen gravierend sind. Die unmittelbare Konsequenz des Verhungerns ist gravierender.

Wer Angst hat, ist wie der Hase vor den Autoscheinwerfern. Er rennt nach rechts und links, schlägt Haken, statt einfach geradeaus zu rennen. Dabei wäre mit etwas Weitsicht genau das die Lösung, am meisten Strecke zwischen sich und die Gefahr zu bringen.

Das Argument ist simpel: Um die großen Probleme zu lösen, muss erstmal Frieden und Wohlstand vorhanden sein. Schon wenn beides gegeben ist, ist es schwierig genug etwas zu tun, was erst in weiter Zukunft Früchte trägt. Sind Frieden und Wohlstand nicht gegeben ist dies beinahe unmöglich.

12:30

Ich habe einen Wanderweg gesehen, der mich anspricht. Ich befinde mich 1100 m über Meeresspiegel, und der Weg erklimmt weitere 600 Meter auf einer Strecke von 5 km. Dann stehe man auf einem der höchsten Gipfel des Nationalparks, mit 1700m.

Gut, dann mal los! Den größten Teil der Strecke kann ich tatsächlich joggen, nur dort wo es wirklich steil und steinig ist, wandere ich. Oben auf dem Gipfel habe ich ein traumhaftes Panorama in alle Richtungen. Schade, dass es wolkig ist und man die Pyrenäen nicht sehen kann.

Ein Foto habe ich nicht gemacht, denn ich bin ohne Handy den Weg hoch gejoggt. Man muss nicht jeden Moment in einem Foto festhalten. Manchmal wird der Moment dadurch reichhaltiger, dass man voll dabei ist und nicht nur mit Blick für Fotomotive unterwegs ist. Man kann ihn dann allerdings nicht mehr so gut mit anderen Leuten teilen.

Sportlich gesehen, habe ich das Gefühl, dass es Synergieeffekte gibt zwischen dem Radfahren am Berg und dem Joggen. Jedenfalls fühlen sich die Beine ziemlich gut an, nur der Abstieg geht ordentlich auf die Oberschenkel (obwohl die eigentlich durch das Radfahren am besten trainiert sein sollten). Vermutlich gibt es Überlappungen zwischen den Muskelgruppen, die beansprucht werden. Vielleicht ist aber auch der entscheidende Faktor, dass das Herz-Kreislaufsystem mittlerweile ordentlich an Belastungen angepasst ist.

16:30

Vom höchsten Punkt der Strecke geht es 20 km bergab. Ein Traum! Die Kurven sind so geschnitten, dass man fast nie Abbremsen muss. Jetzt fehlen mir noch etwa 25 km bis zu meinem Ziel: Das nördlich von Barcelona gelegene El Masnou, wo ich meine Tante Petra, ihren Mann Jordi und meinen Cousin Max besuchen werde.

22:00

Eben habe ich mit Jordi noch einen Film über die Fahrradkultur in Girona angeschaut. Jetzt gehe ich schlafen. In meinem Magen rumort es schon wieder – scheint immer so zu sein, wenn ich in ein neues Land einreise…Schon wieder das Wasser? Oder war es die drei Tage alte Karotte aus dem Rucksack? Möglicherweise habe ich auch einfach sportlich übertrieben. Hauptsache ich kann die Nacht gut schlafen.

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