Tag 46: Streckenplanung und Wirtschaft

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Heute war ein Planungstag. Ich habe die Strecke bis nach Lissabon entworfen. Zwei Stunden hat das gedauert, bedeutend weniger als die 25 Tage die ich mit dem Fahrrad an den 1850 Kilometern arbeiten werde.

Trotzdem ist es keine leichte Arbeit am Handy eine Strecke zu planen. Der Bildschirm ist so klein, dass man überhaupt keinen Überblick hat, wo genau sich der Streckenabschnitt befindet, an dem man arbeitet. Das Fenster zur Welt ist zu beengt: am liebsten hätte ich einen größeren Bildschirm, um die Route zu entwerfen. Mit dem Handy fehlt mir ein wenig das Gespür, welche möglichen Strecken sich noch im Norden oder Süden anbieten würden. Das ist schade, denn vielleicht verpasse ich jetzt die eine oder andere Traumpiste.

Doch dann stelle ich mir wieder die Frage, ob verpassen hier wirklich der richtige Begriff ist. Verpassen suggeriert eine gewisse Einmaligkeit, eine „once in a lifetime opportunity“. Das trifft auf die Straßen hier nicht zu: Die werden auch in 20 oder 30 Jahren noch hier sein. Möglicherweise ändert sich da sogar die Vegetation im Zuge der Erderwärmung schneller als das Straßenbild.

Wenn es also um das Verpassen geht, kann man in meinem Fall nicht von Landschaft oder Straßen sprechen. Die kann ich immer wieder besuchen.

Es geht beim Verpassen mehr um ephemere, flüchtige Stimmungen und Erlebnisse. Um vergängliche Dinge. Der Sonnenuntergang auf einem Berg, der Regenbogen nach dem Gewittersturm, die spontane Begegnung mit anderen Menschen. Alle erhalten einen besonderen Wert durch ihre nicht-Replizierbarkeit, ihre Einzigartigkeit, und den Kontext, in dem man sie erlebt. Ein Regenbogen aus einem Auto betrachtet ist weniger eindrücklich als einer der nach acht Stunden radeln durch einen Regensturm erscheint.

Das Gute ist: Solche Erlebnisse sind unabhängig von dem genauen Weg, den man nimmt. Man kann sie nicht vorhersagen, und deshalb kann man sich auch keine Sorgen machen, sie zu „verpassen“. Verpassen tut man Dinge wie einen Zug oder einen Kurs. Dinge, die sich regelmäßig wiederholen, oder solche, die an Ort und Stelle bleiben. Ein Monument zum Beispiel – oder eine Eingangstür.

Warum also überhaupt die Sorge? Ich bin doch kein Trophäenjäger. Eher bin ich Glücksritter. Ich jage nicht nach dem Besonderen, um es abzuschießen und an eine Wand zu hängen. Ich begebe mich einfach in eine Situation, wo die Chance größer ist, Schönes zu erfahren. Ich erfreue mich am Zufall und sage mir dann „was hast du heute für ein Glück!“. Und dieses Glück ist streckenunabhängig. Verpassen kann ich es nicht, nur übersehen – und das geschieht viel zu schnell. Francoise Sagan bringt es treffend auf die Formel:

„Man weiß selten, was Glück ist, aber man weiß meistens, was Glück war.“

Vielleicht gilt diese Aussage auch für die wirtschaftliche Lage der letzten Jahre. Im Moment mit dem Nachbeben der Pandemie und dem laufenden Krieg in der Ukraine scheint sich ein perfekter Sturm in der Wirtschaft aufzubauen. Es ist ein Revue passieren der 1970er Jahre, wo das Wachstum stagnierte und die Inflation florierte. Stagflation nennen das die Ökonomen: eine brandgefährliche Situation, wo Preise steigen, und Gehälter gleich bleiben. Eine schleichende Verarmung.

„Ich habe es heute schon wieder im Supermarkt bemerkt“, erzählt meine Tante Petra am Esstisch. „Die Preise steigen immer weiter.“

„Eine gefährliche Lage“, meint Jordi. „Das ist Wasser auf den Mühlen der Populisten.“

Die Gehälter sind nämlich nicht gestiegen, was bedeutet, dass das Leben für viele teurer geworden ist. Und wenn es den Leuten wirtschaftlich schlechter geht, sind viele besonders empfänglich für Schlangenölverkäufer.

Und die Zinsen steigen.

„Bestimmt auch bald in der EU“, vermutet Jordi. „Da wird es für viele Leute, die sich für Immobilien verschuldet haben, sehr teuer. Ganz abgesehen von denen, die sich noch welche kaufen wollen.“

Wie kommt man aus der Situation wieder raus? Erstmal werden die Preise weiter steigen, vor allem, wenn in der nächsten Gehaltsrunde die Löhne nachvollziehbarerweise an das neue Preisniveau angeglichen werden.

Niedrigere Energiepreise sind die beste Option, die Lage zu entschärfen. Doch das wird dauern und bis zum ausreichenden Ausbau der erneuerbaren Energien einen gewaltigen Zielkonflikt zwischen Wohlstand und Umweltverträglichkeit beinhalten. Klar ist, und das reflektieren auch die politischen Entscheidungen, dass hier der Wohlstand zunächst Vorrang hat. Dennoch ist es die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Ich hoffe, dass die derzeit kritische Situation zu einem viel schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien führt. Damit wäre aus der derzeitigen Lage zumindest langfristig etwas gewonnen im Sinne der Umwelt und der Versorgungssicherheit.

Abgesehen davon gibt es auch ein Problem, dass sich hier und jetzt recht elegant löst. Die Staatsschulden werden im Gleichschritt mit der Inflation abgebaut. So geht Christian Lindner vielleicht sogar noch in die Geschichte ein als der Finanzminister, der die Schuldenquote am stärksten reduzierte…

So! Ich habe jetzt genug über Wirtschaft und Politik nachgedacht und wende mich den wirklich wichtigen Dingen im Leben zu: der Strand ruft!

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