Tag 5 bis 13: Eine Deutschlandtour mit Wintereinbruch

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Tag 5

Vielleicht kann man sich fragen, warum ich die Ruhetage in Usingen nicht zur Reisezeit zähle, wie ich sonst alle späteren Ruhetage zählen werde. Das wäre eigentlich logisch, doch hat es einen einfachen Grund. Zum Reisen gehört für mich die Fremde, das Neue. Usingen, eine Woche bei Oma und Opa, das ist für mich keine Woche in der Fremde, sondern ein Stückchen Heimat und Geborgenheit. Die Fahrt nach Usingen ist wie ein Vorwort für die kommende Reise nach Lissabon gewesen, die am heutigen Tag beginnt.

Es ist verrückt. Ich kann gar nicht begreifen, dass ich bis nach Portugal und zurück radele. 3 Monate. Also breche ich die große Tour in kleine Schritte. Schritte, die mir machbar erscheinen, bei denen ich nicht durch die schiere Größe des Unterfangens erschlagen werde. Vor meiner Abfahrt wurde ich in Usingen noch einmal richtig verwöhnt: Leberknödelsuppe und Maultaschen!

Langsam erwacht der Frühling. Die Knospen an den Bäumen öffnen sich, zarte grüne Blätter erscheinen. Bei Bad Vilbel fahre ich durch ein riesiges Bärlauchmeer, das einen intensiven Knoblauchduft verströmt. Das Leben erblüht. Abends liege ich im Zelt, auf einer Hügelkuppe im Spessart. Ich höre das Echo der Kirchenglocken, die 21:00 Uhr schlagen. Dann Stille. Nur das Rauschen eines Flugzeugs, das seine Strecke weit oben durch die Nacht bahnt. Wohin, frage ich mich.

Tag 6

8:45

Seit dem Morgengrauen regnet es ohne größere Unterbrechungen. Ich nutze eine kleine Lücke in den Wolken als Toilettenpause, und esse eine Banane mit Joghurt. Das große Frühstück mit Müsli möchte ich später essen. Aber wenn es noch viel länger so weiter regnet, bleibe ich vielleicht noch im Zelt. Im Zelt ist es wenigstens schön warm. Das Plätschern des Regens ist angenehm einlullend. Es ist kein besonders heftiger Regen, aber es ist Regen von der Sorte, bei der ich innerhalb kürzester Zeit komplett durchnässt wäre. Heute werde ich erfahren, ob meine Regenklamotten halten, was sie versprechen.

9:30

Na, das passt ja grandios. In dem Moment, in dem ich im Zelt alles zusammengepackt habe, fängt es an zu schütten! Hoffentlich handelt es sich dabei um ein letztes großes Aufbäumen des Wetters bevor der Regen aufhört. Aber das erweist sich als Wunschdenken. Bei Regen und tiefhängenden Wolken fahre ich nach Würzburg. Immerhin ist auf den Straßen kaum Verkehr und ich fühle mich wie der einzige Mensch auf Erden. Am Abend treffe ich durchnässt aber trotzdem gut gelaunt bei meinem Freund Felix ein. Kurz darauf fahren wir in die Würzburger Innenstadt und spielen eine Runde Billiard.

Tag 7

Von Würzburg radele ich nach Rothenburg ob der Tauber. Es ist eine kleinere Etappe von etwa 80 Kilometern. Die meiste Zeit fahre ich am Main und auf der Gaubahn, einer alten, stillgelegten Bahntrasse. Auf der Gaubahn senkt sich eine Nebelschicht auf mich nieder und es wird schlagartig kälter. Die Dörfer versinken gespenstisch im Nebel.

In Rothenburg übernachte ich bei den Großeltern von Felix. Felix‘ Opa war Bürgermeister von Rothenburg, und ist eine wandelnde Enzyklopädie zur Geschichte der Stadt. „Weißt du, warum es so viele Japaner nach Rotenburg verschlägt“, fragt mich Felix‘ Opa. Ich weiß es nicht. Er klärt auf: „Der Chef des Flughafens in Tokio war ein großer Rothenburg Fan, und hat überall am Flughafen kostenlose Werbeplakate aufgehangen. Einmal im Jahr ist er mit seiner ganzen Führungsmannschaft zu Besuch gekommen.“ Gemeinsam trinken wir Bier aus einer örtlichen Brauerei. „Das Bier“, erzählt mir Felix‘ Opa, „hat auch Walter Scheel, der ehemalige deutsche Bundespräsident, gerne getrunken.“

Tag 8

Am nächsten Morgen schaue ich aus dem Fenster und werde von einer weißen Schneedecke geblendet. 5 – 10 Zentimeter sind es bestimmt. Gegen 10:30 Uhr mache ich mich trotzdem auf den Weg. Felix‘ Oma gibt mir ordentlich Proviant mit und der Opa sorgt dafür, dass meine Kette gut geölt ist. Das ist Gastfreundschaft. Schon kurz nach meiner Abfahrt befinde ich mich mitten in dichtem Schneetreiben. Einige Straßenarbeiter schauen mich belustigt an und fragen sich bestimmt, was in mich gefahren ist. Wenig später, als ich in den Wald einbiege, versinken meine Reifen schließlich im Schnee und ich muss schieben.

Um 14:00 Uhr bin ich in Künzelsau. Ich bin komplett durchnässt und setze mich in eine Bäckerei, um meine Klamotten etwas trocknen zu lassen. Das Café ist gut besucht und ich höre den Gesprächen der Gäste zu. Neben mir sitzen einige Schweizer. Gegenüber unterhalten sich zwei Frauen über das unmögliche Schulsystem in Deutschland. Es schneit schon den ganzen Tag, so dass ich mich darüber freue, dass es heute einige Steigungen gibt, bei denen mir warm wird. Ich trinke einen heißen Kakao und esse dabei 2 Stücke quark-mandarinen Kuchen. Ordentlich vollgefuttert, bemerke ich wie ich langsam wegdöse. Die Wärme und der Kuchen sind eine heimtückische Kombination. Draußen schneit es nach wie vor. Und es sind noch immer 45 Kilometer bis Neckarsulm. Da lässt sich nichts machen. Ich wechsle meine Handschuhe, streife Plastiktüten darüber und mache mich wieder auf den Weg.

Ich komme gründlich durchfroren und durchnässt in Neckarsulm an. Hier übernachte ich bei Markus, Papas Cousin. Wir essen gemeinsam eine köstliche Spaghetti Bolognese, die für einen kalten, nassen und verschneiten Tag blendend entschädigt.

Tag 9

Am nächsten Morgen gibt es ein ebenso leckeres Frühstück. Ich lerne, dass Laugenbrötchen mit süßer Hagebuttenmarmelade eine wahre Köstlichkeit sind. Radfahr-technisch läuft an diesem Tag allerdings nichts wie geplant. Ich habe keine warme Übernachtung gefunden, also zelte ich auf einer Obstplantage. Die Jugendherberge in Karlsruhe, ausgerechnet der Ort, wo Carl Drais 1817 das Fahrrad erfand, hatte kein freies Bett mehr für einen müden Radfahrer. Von drei Gastgebern, die ich über Warm Showers angeschrieben habe, war einer krank, der andere umgezogen und der dritte hat sich nicht gemeldet. Regen, Schnee und um die 0 Grad. Das war ein ungemütlicher Tag. Jetzt liege ich im Zelt, und versuche meine nassen Klamotten mit meiner Körperwärme zu trocknen. Eben habe ich noch vier neue Anfragen bei Warm Showers verschickt – für morgen. Mal schauen, ob sich dieses Mal jemand findet.

Tag 10

Die Nacht war gut, viel Vogelgezwitscher. Heute Morgen zeigte sich als Abwechslung die Sonne, passend zum Sonntag. Gestern musste ich noch alle Besorgungen für heute erledigen. Fast hätte ich das Wasser vergessen. Naja, Cafés und Restaurants haben zum Glück geöffnet.

Es haben sich gleich 3 Leute auf meine Anfrage gemeldet. Die 80 Kilometer nach Offenburg im Schwarzwald vergehen wie im Flug. Ein Rückenwind schiebt mich an, und ich gönne mir sogar ein Eis zur Stärkung. Die Rheinebene ist insgesamt ziemlich langweilig, doch der Blick auf den verschneiten Schwarzwald lenkt ab. Mein Gastgeber für die Nacht heißt Martin, ein Deutschlehrer für Flüchtlinge, der selbst gerne Naturabenteuer erlebt.

Tag 11

Die ersten 15 Kilometer des Tages begleitet mich Martin. Dann bin ich wieder solo unterwegs. Ich fahre nach Freiburg, eine Stadt, die mich ein bisschen an Würzburg erinnert. Auf dem Weg dorthin führt mich mein Navi mitten über eine Weide in einen dichten Wald. Auf der anderen Seite muss ich mein Fahrrad eine steile Almwiese hinunterschieben, um wieder auf eine fahrbare Straße zu kommen. Ich rege mich über mein Navi auf. Wo soll hier denn ein Weg sein? Hinter Freiburg schlage ich mein Zelt auf einer Anhöhe neben einer Landstraße auf. Es ist windig, und immer wieder prasseln Graupelschauer auf das Zelt nieder. Trotz des harten Steinbodens ist es relativ bequem und ich sinke schnell in einen tiefen Schlaf.

Tag 12

Nach 12 Stunden im Zelt ist es wieder Zeit fürs Fahrrad. Direkt neben meinem Zelt ist eine Quelle, aus der ein stetiger Strom von eiskaltem Bergwasser sprudelt. Heute möchte ich bis auf 1200 Meter fahren. Ob das geht?

2 Stunden später habe ich meine Antwort. Es geht nicht. Nachdem ich mein Fahrrad mehr als ein Kilometer durch tiefen, nassen Schnee geschoben habe, sehe ich ein, dass mich der Schwarzwald besiegt hat. Ich stapfe zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Dabei fluche ich verärgert und jammere über meine nassen Füße. Seltsamerweise fühle ich mich dadurch besser.

Ich fahre eine Serpentinenstraße hinab ins Rheintal, wo es sicher 8 Grad wärmer ist und ich mit Tempo in Richtung Bad Säckingen fahren kann. Dort werde ich mich mit Erik und Agnes treffen, Freunde von meiner Großtante Irmgard. Erik und Agnes sind wunderbare Gastgeber, und wir unterhalten uns lange über das Bergwandern und die vielen Radreisen die Erik und Agnes schon unternommen haben. Am Abend zaubert Agnes ein herrliches Abendessen auf den Tisch aus Kürbissuppe, Risotto und butterweichem Kabeljau. Was will ich mehr?

Tag 13

Ruhetag

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