Tag 52 Bonus: Kolumbien im Portrait

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Der folgende Text ist kein Reisebericht (siehe Tag 52: Internationale Gastfreundschaft), sondern ein kurzer Überblick der kolumbianischen Geschichte, von der Unabhängigkeit bis zum heutigen Stand.

Fangen wir mit dem Namen an. Kolumbien leitet sich von Kolumbus ab – der ironischerweise nie einen Fuß in das Land setzte.

Nach 300-jähriger Dominanz der Spanier erlangte Kolumbien 1819, nach einem neunjährigen Befreiungskrieg, die Unabhängigkeit. Die Lage war günstig dafür: Europa war mit Napoleon beschäftigt und Spanien geschwächt.

Der Führer der Unabhängigkeitskriege war Simón Bolívar. Bolívar war Kreole, wie die Nachkommen spanischer Kolonialisten genannt werden, und wuchs in einer wohlhabenden Familie auf.

Simón Bolívar
Simón Bolívar, Gemälde von José Toro Moreno (1922), aus dem Palacio Legislativo, La Paz (Bolivien)

In Europa beeindruckten ihn Napoleon, Alexander von Humboldt (den er zweimal traf) und die Philosophen Rousseau, Locke und Montesquieu. Durchaus fortschrittlich war er in seiner Ablehnung der Sklaverei. Doch eben bei diesem Thema konnte er sich nicht gegen die Großgrundbesitzer durchsetzen. Dem Gedanken der Gewaltenteilung (Montesquieu) folgte Bolívar nur bedingt, und setzte stattdessen auf etwas, das er „moralische Gewalt“ nennt. Die moralische Gewalt sollte aus einem auf Lebenszeit berufenen Senat bestehen.

Eine sehr problematische Kombination. Bolívar argumentiert, dass er den Launen des Volkes damit ein stabiles Organ entgegensetzen möchte. Allerdings ist klar, dass wenn dieser Senat niemandem Rechenschaft ablegen muss, ein solches Amt sehr schnell zu einem Selbstbedienungsladen mutiert.

Bolívar gilt darüber hinaus als einer der Begründer des Panamerikanismus, mit dem Ziel supranationale Institutionen in Südamerika zu etablieren. Zu Lebzeiten umstritten, wurde Bolívar nach seinem Tod immer mehr zum Heldenmythos und Befreier hochstilisiert.

Großkolumbien
Großkolumbien 1821-1823

Bolívar wurde 1821 der erste Präsident von Kolumbien. Zu diesem Zeitpunkt gehörten auch noch Venezuela und Ecuador zum Staatengebiet, das als Großkolumbien bekannt war. Diese Amalgamation hielt allerdings nur zehn Jahre, bevor sie zur großen Enttäuschung Bolívars im Streit zerbrach und in ihre Einzelteile zerfiel. Kurz darauf starb Bolívar (1830) – Ursache ungeklärt.

Insgesamt lässt sich die politische Philosophie Bolívars als eine Mischung demokratischer und autoritärer Regierungsformen beschreiben. So setzt er auf Volksvertreter, doch gleichzeitig sollten Ämter wie Präsident oder Senator lebenslang gelten und sogar erblich sein. Selbst gab er sich beim Aushandeln der Verfassungen in Peru und Bolivien diktatorische Vollmachten. Dieses schizophrene politische Erbe ist noch heute in Kolumbien (und den meisten anderen lateinamerikanischen Ländern) sichtbar. Scheindemokratien, starke Männer, und eine kleine Kaste einflussreicher Familien prägen die politische Landschaft. Das „Volk“ ist oft nur Zuschauer…

Doch wie geht es nach Bolívar mit Kolumbien weiter?

Schon bald schwelte in Kolumbien ein Konflikt zwischen liberalen politischen Kräften, die sich aus dem wohlhabenden Bürgertum der Städte zusammensetzten, und konservativen politischen Kräften, deren Elite meist aus Großgrundbesitzern bestand.

Uneinigkeit herrschte darüber, wie der kolumbianische Staat organisiert werden sollte. Liberale Kräfte forderten einen Bundesstaat nach Vorbild der USA, während konservative Kräfte einen Zentralstaat ausriefen.

Kolumbien 1886
Kolumbien 1886

Zunächst schienen die liberalen Kräfte die Überhand zu gewinnen, und erließen eine Verfassung über die Vereinigten Staaten von Kolumbien. Doch 1886 setzen sich konservative Kräfte durch, eine Verfassung für die “Republik Kolumbien” wurde erklärt. Seitdem ist Kolumbien zentralistisch organisiert.

Der Konflikt der beiden Staatsphilosophien entlädt sich in blutigen Auseinandersetzungen, etwa der 1000 Tage Krieg zwischen 1899 und 1902.

Ein Fest mit Soldaten der konservativen Regierung 1899 zu beginn des Tausendtagekrieges. Sie gewannen diesen 1902 und haben das heutige Staatsmodell der Republik Kolumbien entworfen.

Dieser hinterließ Kolumbien so geschwächt, dass die USA unter Theodore Roosevelt Panama zur Unabhängigkeit verhelfen konnten. Davor war Panama ein Teil Kolumbiens, wenn auch mit einer stark separatistischen Oberschicht. Durch die Unterstützung der Sezession Panamas konnten die USA dem geostrategischen militärischen Ziel, eine schnelle Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik zu bauen (1914, Panamakanal), einen großen Schritt näher kommen.

1886 bis 1930 regierten die Konservativen, und die Wirtschaft und Oberschicht des Landes profitierten von einem Kaffee Boom. Ein Ende nahmen die wirtschaftlichen „Golden Days“ durch die Weltwirtschaftskrise 1930. Ebenso scheiterte 1930 die konservative Regierung.

Bis 1948 regierte dann eine liberale Regierung, die das Land zunehmend industrialisierte und eine Bodenreform durchsetzte.

Zwar gilt Kolumbien offiziell als zweitälteste amerikanische Demokratie nach den USA, doch ist diese weitestgehend eine Scheindemokratie. Ämter werden hin und her geschachert, Vetternwirtschaft und Korruption gedeihen. Das geht so weit, dass die zwei großen Parteien sich einige Zeit lang einfach alle vier Jahre abwechseln, an der Macht zu sein. Ebenso machten sie zusammen die führenden bürokratischen Posten unter sich aus. Die Opposition hat keine Beteiligung am politischen Prozess, fühlt sich entmündigt und übergangen.

Ab 1948 herrscht mehr oder weniger ununterbrochen gewaltsamer Konflikt zwischen links- und rechtsgerichteten Milizen, Kartellen, und der Zentralregierung. Dabei sind die Motive durchaus unterschiedlich. Es geht um politische Macht und die Verteilung von Reichtum, Chaos zum eigenen Zwecke und unter idealistischeren Kämpfern wohl auch um das gewaltsame Herbeiführen einer inklusiveren Demokratie.

Paramilitärische Verbände unter Führung/Finanzierung von Großgrundbesitzern entstanden. Guerilla Organisationen werden von linksgerichteten Kräften ins Leben gerufen. Statt auf Staatsorgane zu setzen, gründet jede Fraktion seine eigenen Verteidigungsgruppen – die schnell zu Angriffstruppen mutieren. Innerhalb von Kolumbien entstehen mehr oder minder selbstständige Teilrepubliken, kontrolliert durch Milizen oder Kartelle (Am berüchtigsten wohl das Medellín-Kartell von Pablo Escobar).

Auch die FARC (kurz für „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) entsteht im linksgerichteten bäuerlichen Milieu, das eine breitere demokratische Beteiligung fordert. Bald wird die FARC allerdings zum militärischen Arm der kommunistischen Partei Kolumbiens. Finanziert durch Drogenhandel, Rohstoffe und Erpressung sowie Schmuggel. Sie kämpft gegen Polizei und die Regierung, Anschläge, tausende Morde und spurlos Verschwundene sind die verheerende Bilanz. Darüber hinaus ist Kolumbien das Land, mit der höchsten Zahl an Binnenvertriebenen.

2016 wird Frieden geschlossen, die FARC ist stark geschwächt und wird demilitarisiert. Doch der Frieden ist ein Flickenteppich, die Gewalt geht weiter.

 

Bilderquellen:

– Karte Großkolumbien 1821-23: 

          https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gran_Colombia_18202.jpg

          Comunidad Wikipedia, CC BY 3.0, keine Veränderungen 

         <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0>, via Wikimedia Commons

– Banquet der Soldaten 1899:

          https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Banquete2.jpg

          pagina oficial de colombia, CC BY-SA 3.0, keine Veränderungen   

          <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

 

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