Tag 55: Von den Bergen in die Agrarwüste

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Die Nacht war warm und ruhig. Ich habe sehr gut geschlafen. Auch die Schwalben waren still, sobald die Sonne untergegangen war. Das Leben in der Natur richtet sich eben nach dem Rhythmus der Sonne, wie auch mein Leben. Deshalb mache ich gerade, zur größten Hitze um 16:30 Uhr, eine Pause.

Früh um sieben Uhr, als die Sonne gerade über den bewaldeten Berg im Osten hervorlugte, begannen die Schwalben wieder zu fliegen. Wenige Minuten später tauchte auch schon ein Rotmilan auf, der – so hat es mir der Mann gestern erzählt – gerne Jagd auf die Vögel hier macht.

Ich bleibe noch bis etwa acht Uhr liegen und beobachte die Vögel. Interessanterweise fliegen die Mehlschwalben zwar oft ihr Nest an, machen aber in etwa drei Viertel der Fälle kurz vor dem Eingang eine Kehrtwende und fliegen wieder fort. Warum das so ist, konnte ich nicht herausfinden. Vielleicht ist es eine Taktik, Fressfeinde fernzuhalten.

Nun bin ich etwa 60km gefahren, auf herausragenden Schotterwegen und abgelegenen Straßen. Von 1100m bin ich nun in die Tiefebene hinabgefahren, die auf etwa 600m Höhe liegt. Die Hitze ist schwer wie Blei. Jetzt zu fahren wäre wirklich eine Tortur. Ich werde, wie gestern, wieder in den Abendstunden die restlichen 40km machen. Ich habe zwar auf „Warm Showers“ einen möglichen Gastgeber angeschrieben, habe hier aber noch keine Rückmeldung bekommen. Die Optionen sind rar gesät abseits der großen Städte.

Um 8:30 Uhr fange ich an, inmitten der Agrarwüste, in der ich mich befinde, einen geeigneten Ort zum Zelten zu suchen. Der Mann, der hinter mir in dem Mini fährt, scheint bemerkt zu haben, dass ich etwas suche. Er fährt an mich heran und kurbelt das Fenster hinunter.

„Suchst du etwas?“, fragt er mich.

„Ja, ich suche einen Ort zum Zelten.“

„Woher kommst du?“

„Aus Deutschland.“

„Ach, dann können wir ja Deutsch reden. Ich komme aus Dänemark, lebe aber seit 1978 hier in Spanien.“

„Das ist lange, was hat Sie denn hierhergeführt?“

„Die Arbeit. Ich habe 30 Jahre lang mit Touristen gearbeitet. Auf Ibiza, auf Mallorca, den Kanaren, Costa del Sol und schließlich Teneriffa. Vier verschiedene Hotels habe ich geleitet. Aber nach 30 Jahren war Schluss. Da habe ich mir gesagt, nie wieder Touristen. Zusammen mit meiner Frau, die ist Spanierin, habe ich mir dann hier ein kleines Häuschen gekauft für den Ruhestand. Aber ja, zu deinem Zeltplatz. Ich habe hier ein kleines Grundstück, wo ich Zwiebeln und Sellerie anbaue. Wenn du willst, kannst du da dein Zelt aufstellen. Der Boden ist nicht besonders gut und es gibt viele Insekten, aber für eine Nacht wird es wohl gehen, wenn du möchtest.”

Ich habe keinen Nerv noch weiter nach einem besseren Platz zu suchen. Jetzt will ich einfach für heute Schluss machen und mein Abendessen genießen. Also nutzte ich das Angebot und sage: „Danke! Ich denke, ich werde mein Zelt hier aufschlagen.“

Es ist zwar etwas Lärm im Hintergrund wegen der Landwirtschaftsmaschinen, aber schlafen werde ich.

„Die werden extra aus Holland hergebracht“, sagt der Däne.

Was für ein Aufwand. Überall stehen auch die Bewässerungsanlagen. Ich frage mich, warum man so einem kargen Boden überhaupt versucht etwas abzugewinnen. Versuchen wir hier nicht, ein totes Pferd durchs Ziel zu reiten? Immer mehr Wasser und Pestizide können ja kaum die Lösung sein. Außerdem gilt auch hier: Kraft und Gegenkraft. Ein Teufelskreis entsteht. Das Unkraut und die Schädlinge passen sich an und werden resistenter gegenüber den verwendeten Giftmitteln.

Dass das zutrifft, bemerke ich am Abend. In dem Moment, wo die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, steigen Schwärme von Mücken und Beißfliegen auf. Die Bestien stürzen sich auf mich und innerhalb von fünf Minuten wurde ich mehr als ein Dutzend Mal gestochen und gebissen. Im Eiltempo baue ich das Zelt auf und verschanze mich gegen die Blutsauger.

Drei Beißfliegen verfolgen mich bis ins Zelt. Außerdem finde ich eine Zecke und zwei fette Spinnen. Damit ist aber endlich Schluss. Ich kann meine Wunden lecken und hoffe auf eine ruhige Nacht.

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