Tag 57: Sonnenbrand und eine Kneipentour

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Zian muss um 8:30 Uhr zur Arbeit, also stehen wir 7:15 Uhr auf und frühstücken. Zian hat einen Thermomix und macht damit einen köstlichen Saft aus Birnen, Orangen und Äpfeln. Wir machen zusammen noch ein Foto, dann geht es wieder los!

Es weht ein kräftiger Rückenwind und die Temperatur ist recht frisch. Eine herrliche Abwechslung zu den 30 Grad und mehr der letzten Tage. Dennoch wird es im Laufe des Tages deutlich wärmer und die 30 wird, obwohl ich es zu dem Zeitpunkt noch nicht ahne, geknackt werden.

Auf dem Weg fährt an mir ein Oldtimer vorbei, in dem ein Mann mit Cowboyhut und Bart sitzt. Komisch wirkt die ganze Szene dadurch, dass der Mann so dick ist, dass er bei jeder Bodenwelle aus seinem Cabrio zu schwappen scheint.

Nach etwa 60km komme ich an einem großen Stausee vorbei. Hier hat mir Zian einen schönen Ort zum Schwimmen empfohlen. Diesen finde ich auch recht schnell und springe ins kühle Wasser. Nach dem Schwimmen mache ich Picknick und lasse mich sonnen.

Bis zu diesem Zeitpunkt, etwa 15 Uhr, hatte ich keine Sonnencreme aufgetragen. Jetzt merke ich, dass trotz der Wolken die Sonne doch ziemlich intensiv ist. Schnell creme mein Gesicht ein, doch bei den Armen bin ich zu faul und denke mir: „Es sind sowieso nur noch 20 km bis Vitoria, jetzt kann sowieso nichts mehr gewonnen werden.“

Gewonnen vielleicht nicht, aber verloren schon noch. Am Abend stelle ich fest, dass ich an den Armen einen Sonnenbrand habe.

In Vitoria treffe ich mich mit Dorleta, die Schwester einer Bekannten. Dorletas schwungvolle Art erinnert mich gleich an Amerika, und tatsächlich hat sie dort fast 30 Jahre gelebt. Vor drei Jahren ist sie allerdings aus Seattle in die Gegend ihrer Kindheit zurückgekehrt. Nach so langer Zeit war das nicht einfach.

„Ich vermisse Amerika, jeden Tag“, erzählt mir Dorleta später. „Als ich dort war, habe ich immer wieder über Dinge gemeckert. Doch jetzt sehe ich, dass in Spanien auch nicht alles was glänzt, Gold ist. Ich glaube ich habe erst in der Ferne gemerkt, wie sehr mir Amerika gefallen hat.“

„Das kann ich gut nachvollziehen. Ich finde immer, dass man erst durch Abstand Perspektive gewinnt.“

„Ja, und ich merke hier, dass ich auch gar keine richtige Spanierin mehr bin, nach so langer Zeit in der Ferne. Ich rede nach 30 Jahren anders, bin von meiner ganzen Art einfach nicht so wie die Leute, die immer hier waren.“

Dorleta ist nachdenklich, und sagt dann: „Aber auch in Amerika war ich irgendwo fremd, dort haben die Leute genauso gehört, dass ich nicht von dort bin. Keine Sprache spreche ich perfekt, irgendwie bin ich immer unangepasst. Was bin ich also, wenn ich weder Spanierin noch Amerikanerin bin?“

Das ist eine gute Frage. Auch ich habe mich nie wirklich eindeutig zuordnen können. Irgendwie anders, ein bisschen wie ein Betrachter von außen, habe ich mich immer gefühlt, wie Dorleta. Für mich ist Heimat letztlich immer dort, wo meine Familie ist.

Mich interessiert aber auch konkreter was Dorleta am meisten vermisst.

„Diese Einstellung, dass ist alles machbar ist, gibt es hier nicht so“, sagt Dorleta. „Es gibt so viele Regeln und Regulierungen. Und die Wildnis. So eine Wildnis wie dort im Nordwesten der USA und Kanada ist hier nirgends. Es gab Bären und Pumas in den Wäldern, und die Größe der Naturflächen war einfach atemberaubend. Dort konnte man die Zivilisation vergessen. Ich weiß das – ich bin im Olympic National Park praktisch aufgewachsen.“

„Ach was, das ist wirklich eine traumhafte Gegend!“

„Warst du mal dort?“, fragt mich Dorleta.

„Ja, 2018 war das. Aber ohne Fahrrad, dafür mit meinem Vater und jüngstem Bruder. Wir haben dort eine Wanderung gemacht und waren in der Juan-de-Fuca-Straße segeln.“

„Boah, mega! Da waren wir auch oft unterwegs. Wir hatten einen neun Fuß Fischerbötchen, mit dem wir gerne rausgefahren sind. Ich erinnere mich, einmal sind wir mitten in einen Sturm geraten. Ich dachte, wir müssten sterben. Unser kleines Boot war neuen Fuß lang und die Wellen türmten sich sechs Fuß hoch! Und dann war alles noch neblig, wir haben nichts mehr gesehen. Aber wir haben es geschafft.“

„Heftig, da draußen will man auch nicht ins Wasser fallen!“

„Ja ich habe gehört, dass nach 15 Minuten schon die Unterkühlung einsetzt bei den dortigen Wassertemperaturen. Der Pazifik hat dort um die zehn Grad. Wir hatten richtig Schwein! Aber es hat sich gelohnt, wir sind mit 20 Lachsen zurückgefahren. Am Hafen hatte ich dann wieder Angst, weil wir viel mehr gefischt hatten, als eigentlich erlaubt ist. Aber wieder ist alles gut gegangen! Frischer, wilder Lachs ist eines der herrlichsten Lebensmittel, die ich kenne. Überboten wird er vielleicht nur durch die Krebse, die man dort auch fangen kann.“

Ich erzähle Dorleta von den frisch gefangenen Krebsen, die uns dort ein Anwohner gegeben hat.

„Göttlich! Ja, das ist wirklich ein Leben mit und von der Natur, was man im Pacific-Northwest führen kann.“

In dem Moment klingelt es an der Wohnungstür. Nestor, Dorletas Freund, ist von der Arbeit zurück. Zusammen gehen wir abends gegen 21 Uhr auf eine Tour der Stadt.

Wir tingeln durch die alten Gassen von Vitoria und genießen das pulsierende Leben. Wenn uns eine Bar anlächelt, setzen wir uns hinein, essen ein Häppchen und trinken ein Bier. Das ist das spanische Leben! Geselligkeit und Essen (oder trinken!).

„Also in der Öffentlichkeit trinken war in Amerika nicht angesagt, dort machen das nur die Obdachlosen. Alkohol gab es nur zu Hause“, erzählt Dorleta, als wir wieder zu den Fahrrädern laufen.

Andere Länder andere Sitten! Ich denke, da bevorzuge ich die liberale Haltung in Europa.

Als ich beim Losfahren richtig in die Pedale trete, knallt meine Kette und überspringt einen Gang.

Nestor, der selbst Fahrrad fährt, weiß sofort was Sache ist. „Oje, die Kette müssen wir aber auswechseln“, ruft er.

„Ich habe leider keine Ersatzkomponenten und auch nicht das Werkzeug“, gebe ich zu bedenken.

„Kein Problem“, meint Nestor. „Ich habe das Werkzeug, und die Komponenten besorgen wir morgen früh!“

Stark. Nestor ist ein klasse Typ.

Ich bedanke mich bei ihm.

Gegen 0:30 Uhr treffen wir wieder in der Wohnung ein. Was für ein toller Abend mit zwei tollen Menschen. Ich putze Zähne, dehne mich und falle wie ein gefällter Baum ins Bett.

Vitoria am Abend

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