Tag 58: Sauna bei der Fahrradpflege

  • 6 mins read
  • Published

Frühstück gibt es auf dem Balkon, denn die Wohnung liegt im fünften Stock und hat einen tollen Blick über die Stadt. Nestor zeigt mir eine neue Variante des Frühstücksbrotes: auf das Brot kommt Olivenöl und Honig, eine Kombination, die ich bisher noch nie ausprobiert hatte.

„Das schmeckt richtig gut!“, sage ich enthusiastisch.

„Ja, es kombiniert das Beste aus zwei Welten, den süßen Honig und das reichhaltige Olivenöl. Perfekt für Sportler“, sagt Nestor.

Plötzlich ertönt von unten laute Musik.

„Das ist doch Musik von San Fermin (ein jährliches Fest mit dem bekannten Stierlauf von Pamplona)“, wundert sich Nestor. Wir schauen, woher die Musik kommt. Unten auf der Straße laufen drei alte Herren. Einer trägt eine Trommel, der andere hat eine Art Blaspfeife und der dritte singt. Ein bisschen wie Dudelsack und Marschmusik in der Kombination. Es klingt etwas schräg, aber irgendwie doch lustig.

Überall sieht man aus den umliegenden Wohnungen die neugierigen Gesichter hinabblicken. Was für ein Spektakel. Die alten Herren können zwar kaum noch laufen, aber mit der Musik verbreiten sie gute Laune und scheinen dabei Spaß zu haben!

Nach dem Frühstück klappere ich mit Nestor Fahrradläden ab. Der erste Laden ist geschlossen. Der zweite ist offen, kann uns sogar eine Kette verkaufen, aber eben keine Kassette. Beim dritten Laden haben wir endlich Glück. Alle guten Dinge sind drei!

Im Fachgeschäft von Cannondale bekomme ich eine neue Kassette und Kette. Ich plaudere kurz mit den Ladenbesitzern, die selbst viele Touren gemacht haben (Aber immer etwas kürzere – schließlich muss der Laden auch geführt werden).

Auf dem Weg zurück nach Hause treffen wir einen Freund von Nestor. Obwohl die Zeit wirklich knapp ist, bleibt immer Zeit zum Plaudern. Soziales steht an erster Stelle, auch wenn vielleicht die Pünktlichkeit leidet. Der Freund, mit dem wir reden, ist durchtrainiert. Er hat bei den spanischen BMX-Meisterschaften mitgemacht und ist ein richtiger Mountainbike-Flüsterer, erzählt mir Nestor.

Wieder in der Wohnung angekommen, machen wir uns an die Reparatur. Es ist eine Höllenarbeit, unter dem Dach bei 40 Grad. Der Schweiß läuft uns in Bächen hinunter. Hinzu kommt, dass die Kassette klemmt. Um Nestors Werkzeug zu benutzen, müssen wir die Radnabe auseinanderbauen. Natürlich fallen dann alle Innenlagerkugeln hinaus.

Endlich, nach unzähligen Versuchen löst sich die Kassette mit einem lauten Knall. Wir jubeln erleichtert. Mittlerweile ist es schon halb eins, uns bleibt also noch genau eine halbe Stunde alle Komponenten neu zu montieren und die Sachen zu packen. Aber wir sind Profis und packen das!

20 Minuten später ist alles geschafft.

In der Küche stellt uns Dorleta ein kühles Wasser hin.

„Que lucha! – Was für ein Kampf!“, ruft Nestor. „Aber echt“, pflichte ich bei.

„Mein Sohn in den USA repariert auch gern Sachen, aber vor allem Autos“, erzählt Dorleta.

„Mit 14 hat er sein erstes kleines Unternehmen aufgemacht, wo er Autos repariert hat. Das lief so gut, dass er seine Freunde einstellen musste.“

„Nicht schlecht“, sage ich. „Das ist ja wie Richard Branson.“

„Wer ist Richard Branson?“, fragt Dorleta.

„Oh, das ist ein recht exzentrischer Milliardär aus England, der auch mit 14 sein erstes Unternehmen gegründet hat. Ihm gehörte z.B. Virgin Records und er ist auch im Rennen um den Weltraumtourismus dabei mit Virgin Galactic.“

„Mein Sohn ist ein großer Fan von Elon Musk“, erzählt Dorleta. „Er hat alle Bücher über ihn gelesen, hat deshalb schon neben der Schule Wirtschaft studiert und mit 18 abgeschlossen.“

„Wow, da kannst du aber stolz sein als Mutter!“

„Bin ich auch“, gibt Dorleta gerne zu.

„Irgendwann hat er mit dem Geld, das er aus dem Reparieren von Autos gemacht hat, ein Tiny House gekauft. Mittlerweile hat er zwei Stück, die er wieder an andere vermietet. Weißt du, er will nicht so arbeiten wie ich, von 9 to 5. Er will Freizeit haben, das Leben genießen“.

„Da macht er es ja genau richtig, indem er sich ein passives Einkommen aufbaut“, sage ich.

Andererseits könnte ich mir auch gar nicht vorstellen, nur zuzuschauen wie das Geld ins Konto fließt. Irgendetwas müsste ich schon machen. Ich denke tatsächlich, dass das Beste ist, wenn man eine Arbeit findet, die man liebt und die man so gerne tut, dass man es nicht als Plackerei empfindet.

Dorleta zeigt mir einige Bilder von ihrem Sohn. Auf Bali, in den USA mit seinen Freunden, und von seinen Tiny Houses.

„Er bastelt total gerne“, erzählt sie mir. „Deshalb macht er die ganze Inneneinrichtung von den Tiny Houses. Das bereitet ihm total viel Freude.“

„Man sieht es“, sage ich. „Die sehen richtig schick aus!“

„Finde ich auch, das hat er wirklich gut gemacht“

„So dann wollen wir mal los“, sagt Nestor, der sich noch kurz frisch gemacht hat nach der schweißtreibenden Arbeit.

Meine Taschen sind auch gepackt, das Fahrrad ist jetzt wieder fahrtüchtig und ich bin gut erholt nach einer tollen Zeit mit meinen wundervollen Gastgebern.

Bei 37 Grad strample ich los, doch ich mache schon nach zwei Stunden eine Siesta, da es mir wirklich zu warm wird auf den Anstiegen in der prallen Sonne.

Siesta – da gehört das Essen mit dazu.

Gegen 18 Uhr fahre ich wieder los und um 20 Uhr überquere ich die Grenze nach La Rioja, eine der besten Weingegenden Spaniens. Auf einer kleinen Wiese, wo sogar Sitzbänke sind, baue ich gegen 22 Uhr abends mein Zelt auf.

Innen muffelt es ganz schön, und zwar nach vergammelten Schnecken. Ja, das ist nicht einfach so dahingesagt, sondern bei meinem letzten Übernachtungsplatz habe ich einige Schnecken mit eingepackt (es waren hunderte auf dem Zelt, und einige habe ich übersehen!).

Bei der extremen Hitze haben die natürlich schön zwei oder drei Tage in meinem Zeltsack gegart, so dass ich jetzt in einem wirklich miesen Gestank versuchen muss zu schlafen. Aber ich bin müde genug, und finde doch trotz Gammel-Schnecke recht leicht den Weg ins Reich der Träume.

Man merkt, dass man in einer Weingegend unterwegs ist, sobald man die Grenze nach La Rioja überquert.

Author

Leave a Reply