Tag 64: Zurück in die Wildnis

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Ich kann sagen, dass mein Zelt der Herberge haushoch überlegen ist. Husten, Schnarchen und Pilger die nicht früh, sondern sogar MITTEN IN DER NACHT aufstehen… Sowas habe ich in meinen eigenen vier Wänden nicht. Trotzdem habe ich ganz gut geschlafen, nur eben etwas zu kurz.

In Ponferrada kaufe ich im guten deutschen Lidl ein und werfe einen Blick auf die Burg der Tempelritter. Der Orden der Tempelritter bestand nur 200 Jahre, zwischen 1100 und 1300, doch hat er seinen Weg in die Fantasie und Geschichten der Menschen hineingefunden.

Die Tempelritter verbanden erstmals mönchhafte und ritterliche Tugenden. Die Ritter des Ordens sollten die Pilger ins Heilige Land aber auch auf anderen Wegen, wie dem Jakobsweg beschützen.

Nach seiner Auflösung gingen die meisten Besitztümer des Ordens an die Johanniter über, doch die Legenden sind geblieben.

Noch deutlich älter als die Tempelritter ist allerdings der Berg, auf den ich hinter Ponferrada hinauffahre. Er besteht aus mehreren 100 Millionen Jahre alten Schieferschichten. Bis auf 1500 m geht für mich die Straße hoch, dann hört sie auf.

Ich fahre wieder abgelegenere Wege. Eine solche Ruhe wie hier gab es auf dem Pilgerwegen nicht.

Ich bin in völliger Leere auf Schotterwegen unterwegs. Rings um mich herum ist nur die Heide. Die Stille ist eine großartige Abwechslung zum Rummel des Pilgerwegs. Ich höre nichts außer die Steine, die unter meinen Reifen knirschen.

Doch oben auf dem Berg, ohne schattenspendende Bäume, wird es ganz schön brutzelig. Gegen 15:30 Uhr mache ich also ein Picknick im Schatten. Ich genieße es, nicht der prallen Sonne ausgesetzt zu sein.

Schon öfters habe ich mir nun die Frage gestellt, was eigentlich die ideale Kleidung ist bei so warmen, sonnigen Bedingungen. Die Wüstennomaden sind normalerweise so angezogen, dass ihre Kleidung fast die gesamte Haut bedeckt. Die Kleidung ist zunächst einmal der beste Sonnenschutz.

Andererseits gibt es genauso Völker, die nur sehr spärlich bekleidet sind – obwohl sie in sonnigen, warmen Gegenden leben. Bei einem hellen Hauttyp scheint es aber sinnvoller, möglichst viel Hautfläche durch Kleidung zu bedecken.

Von der medizinischen Gesellschaft der Dermatologen wird empfohlen an erster Stelle das Verhalten der Sonnenintensität anzupassen (mittags im Schatten bleiben). An zweiter Stelle steht, geeignete Klamotten zu tragen, die möglichst viel Haut bedecken. Erst an dritter Stelle – als zusätzliche Maßnahme aufgelistet – wird der Schutz durch Sonnencreme erwähnt.

Die Ironie hat es, dass ich es genau andersherum mache. Sonnencreme, aber dafür kurze Klamotten und Fahrradfahren in der prallen Sonne. Aber ein Fahrrad ist leider kein Kamel, und mit Berberroben auf dem Sattel zu sitzen, stelle ich mir auch etwas schwierig vor… Vielleicht gibt es da eine Marktlücke?

Immerhin habe ich die wärmsten Stunden des Tages im Schatten verbracht. Um 19 Uhr fahre ich weiter, an einer spektakulären roten Felsformation vorbei. Erst später, als ich Bilder davon in meine spanische WhatsApp-Gruppe schicke, erfahre ich, dass es sich dabei um „Las Médulas“ handelt.

Die Felsen sind kein Produkt der Natur, sondern eines von römischer Ingenieurskunst. An dieser Stelle befand sich die größte Mine des römischen Reiches, wo über einen Zeitraum von 250 Jahren geschätzte 1600 Tonnen Gold abgebaut wurden, neben anderen wertvollen Metallen. Zehntausende Arbeiter untertunnelten die Felsen in monatelanger Knochenarbeit.

Dann wurde ein Fluss, der auf einer Länge von über 100 km umgeleitet worden war, durch das Tunnelsystem gespült, um die Felsen zum Einsturz zu bringen. Aus dem Schutt konnte man schließlich die wertvollen Mineralien gewinnen.

Das Ergebnis ist eine Landschaft, die an Utah in den USA erinnert und seit 1997 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört.

Doch wie gesagt, das erfahre ich alles erst später. Ich fahre währenddessen noch zwei Stunden weiter, bis ich an einem netten Flüsschen halt mache. In dem angrenzenden Dorf suche ich eine Wiese für mein Zelt, und treffe dort eine Familie, die gerade vom Baden im Fluss kommt. „Das will ich gleich auch machen“, sage ich. „Gute Idee“, sagt der Familienvater.

Es stellt sich heraus, dass er selbst auch gerne reist. Früher mit dem Fahrrad, heute mit dem Motorrad. Er kommt aus Belgien, deshalb reden wir Französisch. Der Mann fragt mich, ob ich Lust hätte, am nächsten Morgen zusammen einen Kaffee zu trinken. Da sage ich doch nicht nein! Wir verabreden uns um 9 am nächsten Morgen, dann verabschieden wir uns und ich springe in den Fluss. Herrlich! Ich sitze noch lange, bis die Sonne untergegangen ist, auf den Felsen und schaue dem Treiben des Wassers zu.

Erst gegen 23 Uhr baue ich das Zelt auf – aber das kann ich mittlerweile blind. Mit dem Rauschen des Flusses im Hintergrund verspricht die Nacht angenehm zu werden. Bis morgen!

Ein friedlicher Fluss mit der idealen Temperatur zum Abkühlen am warmen Abend.

 

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