Tag 68: Wilde Orangenbäume und einen ersten Plattfuß am Rad

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4:00

Ja, die kleinen Insekten in meinem Zelt saugen Blut. Überall juckt es, und als ich mit meiner Taschenlampe an die Zeltdecke leuchte, sehe ich, dass die kleinen Mistviecher ordentlich aufgebläht sind mit meinem frischen roten Blut. Ich mache mich auf die Jagd. Keines wird mir entwischen. Eine Viertelstunde schlage, quetsche, zerdrücke und verschmiere ich die Insekten. Dann sind sie weg, nur einige unansehnliche Blutflecken an der Zeltinnenwand bleiben. Doch das stört mich jetzt nicht mehr: ich will weiterschlafen!

9:00

Ich habe im Olivenhain gefrühstückt. Das Wetter ist gemischt, Sonne und Wolken.

Als ich losfahre pflücke ich noch sechs Orangen von einem wild wachsenden Orangenbaum. Ich weiß noch nicht so genau was ich mit diesen ganzen Orangen alles anfangen soll. Sie zu essen wäre naheliegend und man findet ja auch nicht so oft frische Orangen außerhalb vom Supermarkt oder Plantagen.

10:45

Die alte Eisenbahnlinie wird immer ruppiger. Es liegen immer mehr große, spitze Steine herum. Nach über zwei Monaten und dreieinhalbtausend Kilometer kommt das was sowieso schon kommen musste: ein platter Reifen. Der saftige Knall, mit dem der Stein von unter meinem Reifen weggeschossen ist, ließ schon nichts Gutes vermuten. Die Luft ist in Sekundenschnelle entwischt, ein Stein hat meinen Reifen an der Seite einmal aufgeschlitzt. Und tatsächlich, wenige Meter danach steht mein Fahrrad auf dem Kopf und ich suche nach Flickzeug.

Ich fühle mich an die Reparatur in Vitoria unter dem Dach erinnert. Die Felsen wirken wie Heizstrahler und die Sonne leistet ihr Übriges. Dennoch: die Reparatur glückt und ich freue mich, die Werkzeuge für mehr als nur mein ruhiges Gewissen mitgeschleppt zu haben. Sicherheitshalber flicke ich noch meinen Reifen von außen, damit der große Schnitt nicht weiter aufreißt.

17:00

Es ist schwierig zu kommunizieren, wenn man kein portugiesisch spricht. Aber durch Spanisch und Französisch spreche ich tatsächlich mehr Portugiesisch als viele Portugiesen Englisch sprechen – oder Spanisch! Wobei, dass ich portugiesisch sprechen würde, ist eine großartige Übertreibung. Ich versuche spanische Wörter ein bisschen so zu ändern, dass sie sich portugiesisch anhören.

Manchmal klappt es dann sogar mit der Verständigung. Manche Sätze kann ich auch einigermaßen gut verstehen, so dass eine sehr simple Unterhaltung (augmentiert durch Gebärdensprache und viel herumprobieren) möglich ist.

Um 14 Uhr war ich in einer Bäckerei und habe dort Kuchen gegessen und Kakao getrunken. Ich bin jedes Mal baff, wie günstig es ist! Nur ein Euro für Kaffee und Kuchen, für ein Körnerbrötchen sind 25 Cent fällig – etwa ein Drittel dessen, was ein vergleichbares Brötchen in Deutschland kosten würde.

Obwohl es Dienstag ist, ist das Café voll mit Männern, die im arbeitsfähigen Alter sind. Aber ich bin auch auf einem Dorf in einer der ärmsten Regionen Portugals. Hinzu kommt, dass die Arbeit in der Landwirtschaft, wo viele der hier anwesenden sicherlich ihr Brot erwerben, häufig saisonal ist. Teilweise erinnern mich die Gesichter, die mich anschauen an Bilder aus Osteuropa oder Indien. Sonnengegerbte Haut, Zahnlücken und drahtige, dürre Körper nach einem Leben harter Arbeit.

Die Wirtin ist eine energiegeladene Frau, scherzt mit den Männern und läuft emsig von Tisch zu Tisch. Sie sagt, sie wird für mich beten und ist total fasziniert, dass ich so eine große Reise in meinem zarten Alter von 21 unternehme. Einer der anwesenden spricht zum Glück ein paar Brocken Englisch und Spanisch sodass wir es schaffen uns zu verständigen. Mit jedem Satz, den ich nicht verstehe, wächst meine Motivation mir zumindest einen grundlegenden portugiesischen Wortschatz zu erarbeiten!

19:30

Um 19:30 Uhr spaziere ich in eine Straßenkneipe hinein. Dort sitzen schon einige ältere Herren, trinken Bier und reden. Es gibt genau eine Abendspeise zur Auswahl: frittierter Kabeljau und Brot. Gut, Fisch habe ich schon lange nicht mehr gegessen, also bestelle ich eine Portion.

In dem Restaurant hängt eine Luftaufnahme vom angrenzenden Dorf. Darauf sehe ich viele Grünflächen und denke, dass ich vielleicht Glück habe dort einen Platz für das Zelt zu finden. Also fahre ich in den Ort, und klingle auf gut Glück bei einem Haus am Ortsrand. Für das ältere Ehepaar, das dort lebt, ist es überhaupt kein Problem, dass ich auf ihrer Wiese zelte. So schnell lässt sich ein Schlafplatz organisieren!

Sogar einen öffentlichen Wasserhahn gibt es. So konnte ich endlich den Dreck von drei Tagen Straßenstaub von meinen Beinen abgekratzten. Was für ein Luxus, jetzt in den Schlafsack zu schlüpfen, ganz ohne das Gefühl die halbe Straße mitzunehmen.

Der einzige Vorteil dreckig zu sein ist, dass man nicht so viel Sonnencreme benötigt. Vielleicht haben sich genau deshalb viele Leute früher nur einmal im Monat gewaschen: die Dreckkruste auf der Haut war ein natürlicher Sonnenschutz bei der Arbeit im Freien. Das ist eigentlich kein unbekannter Gedanke. Bestimmte Tiere, wie Schweine, suhlen sich auch im Schlamm, um sich vor der Sonne und Hitze zu schützen. Diesen reiben sie dann an Bäumen wieder ab, wobei auch sämtliches Ungeziefer von der Haut gekratzt wird. So wie ich es heute auch gemacht habe, aber man sagt ja: Schweine sind reinliche Tiere… Mit diesem Gedanken, den ich irgendwie lustig finde, schlafe ich ein.

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