Tag 75: Stadtleben, ein echtes Bett und böse Geister

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Ich bin in einer Stadt. Immer wieder heulen Sirenen auf. Das Rauschen von Flugzeugen und Verkehr bildet die Hintergrundkulisse. Trotzdem habe ich heute Morgen auch Vögel zwitschern gehört und Gesprächsfetzen von den Unterhaltungen auf der Straße sechs Stockwerke unter mir werden ebenso zu mir hinaufgetragen.

In der Stadt, diesem verbauten, versiegelten Lebensraum, pulsiert dennoch das Leben. Ich liege auf dem Rücken und lausche, die Augen geschlossen. Die Matratze, auf der ich liege, ist schön hart, so wie es mir gefällt. Jetzt öffne ich die Augen und schaue auf die weiße Zimmerdecke, die zu einer formlosen Masse verschwimmt.

Mein Blick gleitet an den Ecken des Zimmers entlang, bis er beim großen Bücherregal stehen bleibt. Ich mache einen Sehtest, bei dem ich versuche, die Titel zu entziffern. An der frischen Luft, in natürlichem Tageslicht, welches bis zu 10.000-mal intensiver als die dämmrigen Lichtverhältnisse in unseren Zimmern ist, wird die Sicht schärfer und das Auge anpassungsfähiger.

In dem Regal stehen Bücher in portugiesischer, deutscher und englischer Sprache über die unterschiedlichsten Themen. Von Psychologie über Biografien bis hin zu Märchenbüchern ist alles dabei. Das ist ein wahrer Schatz für mich. Meine Augen bleiben an einer Biografie über Hannah Arendt hängen, die ich sogleich aus dem Regal nehme und anfange zu lesen.

Gegen zehn frühstücke ich mit Rita und Mário und mache dann einen kleinen Spaziergang mit Rita, durch den Park von Calouste Gulbenkian bis zu Mários Praxis. Gulbenkian war ein armenischer Ölmäzen, der viele Jahre in Lissabon lebte. Er gründete eine Stiftung, die nach seinem Tod Projekte in Lissabon und Portugal unterstützen sollte. Auch Mário hat über die Stiftung von Gulbenkian ein Stipendium erhalten und konnte so Medizin studieren.

Auch wenn viel über Superreiche geschimpft wird, durch wohltätige Stiftungen und Philanthropie können diese Personen vielen Menschen Chancen ermöglichen, die sie sonst nicht hätten. Statt Geld von vornherein zu verteufeln, sollte man sich immer merken: Geld ist weder bös’ noch gut, es liegt an dem der‘s brauchen tut.

Zu Mittag gibt es eine köstliche Suppe. Mit Mário unterhalte ich mich über alternative Bewusstseinszustände. Mário möchte untersuchen, ob man mithilfe von einem starken Magneten die so genannte Zirbeldrüse im Gehirn so beeinflussen kann, sodass ganz neue kognitive Fähigkeiten entstehen. Ist unter Einfluss eines starken Magnetfeldes so etwas wie Voraussicht möglich? Können Menschen eine Ahnung von der Zukunft bekommen? Kann eine Person dadurch besser vorhersehen oder erkennen, was jemand anderes tun wird?

Es gibt viele Beispiele, wo Menschen paranormale Zustände erreichen, erzählt Mário. Meditation, rhythmische Musik, wie sie in traditionellen Gesellschaften in Afrika etwa praktiziert wird (ein Takt mit fünf Schlägen die Sekunde trifft die Sendefrequenz des Gehirns am besten), Hypnose aber auch bestimmte Drogen können bewusstseinserweiternde Zustände auslösen.

Viele Fragen sind auf dem Gebiet der erweiterten Bewusstseinszustände noch offen, und es gibt Phänomene, mit denen die derzeitigen Modelle noch nicht gut zurechtkommen. Hier verläuft eine Grenzlinie zwischen Wissenschaft und Sage. Mário stimmt mir zu, als ich meine, „Wissenschaft fängt dort an spannend zu werden, wo sie aufhört“. Letztlich gibt es viele solcher Grenzlinien, und in den letzten Jahrhunderten wurde es möglich immer mehr Phänomene rational zu erklären und Ursache – Wirkungsketten zu verstehen. Es gibt Gebiete, die früher fest in der Hand von Philosophen und Theologen waren, die heute eigene Gebiete der Naturwissenschaften sind.

Man denke nur daran, dass es für Jahrtausende die vorherrschende Meinung war, dass Krankheiten Ausdruck göttlichen Missfallens waren. Rita erzählt mir, dass der Brauch, beim Gähnen die Hand vor den Mund zu halten, dem Aberglaube entstammt, dass böse Geister in den offenen Mund eindringen könnten. Schnarcher hatten es früher echt schwer…

Was sind denn wohl die Dinge, von denen wir heute fest überzeugt sind, wo zukünftige Generation nur noch den Kopf schütteln und ungläubig rufen „Was die damals geglaubt haben!“ Geduld und viel Forschung werden es eines Tages zeigen.

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