Tag 79: Sintra, Humboldt und Napoleon

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Heute fahren wir nach Sintra. Es wird heiß! Um 11 Uhr zeigt das Thermometer schon 32 Grad an. Der Himmel ist ein tiefes Blau. Mit einem Cyanometer könnte ich die Intensität der Farbe genau bestimmen.

Alexander von Humboldt hatte ein solches Gerät auf seiner Südamerika Expedition 1799-1804 dabei. Ich bin mir sicher, er hätte an einem Tag wie diesem Spaß gehabt, das Himmelsblau genau zu bestimmen.

In Sintra ist Portugals Version von Schloss Neuschwanstein, und deshalb heißt es erstmal stehen statt gehen, um das Schloss zu betreten. Schon die Suche nach einem Parkplatz war schwierig genug.

12:00 Uhr ist die heiße Anfangsphase der Besucher. Früher war das nicht so, meint Rita. Aber mit Geduld und Gelassenheit kommen wir schließlich auch dazu, das Schloss von innen zu sehen.

Doch gerade in dem Moment, wo wir die Eingangspforte übertreten, möchte jemand unsere Tickets kontrollieren. Natürlich stellt sich heraus, dass wir ein extra Ticket für das Schloss brauchen, welches wir nicht haben. Mario muss also schnell noch zusätzliche Tickets besorgen, dann können wir die Gemächer der portugiesischen Königsfamilie besichtigen. Die Gruppe nach uns hat es übrigens noch schlimmer erwischt. Sie haben alle Tickets zweimal gekauft und ärgern sich jetzt über das verlorene Geld.

Sintra war der Sitz portugiesischen Königsfamilie im Sommer. Insbesondere von Ferdinand II., der 1816 bis 1885 lebte, sowie seinen Frauen Maria und Elise, sind viele Zeugnisse erhalten. Alle waren künstlerisch sehr begabt, und Ferdinand sammelte außerdem alle möglichen Objekte mit Militärgeschichte.

(Für Interessierte: Ferdinand II. stammte aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha, von der auch das englische und belgische Königshaus abstammt. Während des ersten Weltkriegs änderte die Königsfamilie den deutschen Nachnamen wegen der deutsch-feindlichen Stimmung zum heute gültigen, Englisch-anmutenden „Windsor“.)

In der Zeit des ersten Weltkriegs verschwanden übrigens auch viele große deutsche Intellektuelle aus den Bibliotheken in England und den Vereinigten Staaten. So erging es auch Humboldt, der bis 1914 zu den meist gelesenen und respektierten Intellektuellen in den Vereinigten Staaten gehörte. Die Stimmung gegenüber Deutschen war so vergiftet, dass sogar Bücher deutscher Autoren in amerikanischen Städten auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Humboldts Traum einer Wissenschaft, die global vernetzt ist, unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen, fand ein Ende in Rauch und Asche.

Bis heute hat sich an dieser Situation wenig verändert: Ein komplett freier Wissensaustausch wird seit jeher aufgrund von politischen, militärischen und ideologischen Interessen unterbunden. Wissen ist Macht und wer Macht hat, behütet sie, wie der Drache Smaug seinen Goldschatz im Buch „Der Hobbit“.

Der Umgang mit Macht ist übrigens auch der wahre Test für ein autoritäres Regime und für die Führer jeder Revolution.

An die Macht zu kommen ist verhältnismäßig leicht. An der Macht zu bleiben, schon schwieriger. Die Macht friedlich an einen Nachfolger zu übergeben, scheitert fast immer. Ebenso wird für China der Machttransfer zum Lackmustest des Regierungsmodells werden. Doch nicht nur Diktaturen scheitern am Machttransfer, auch Familienunternehmen kommen oft in die Bredouille.

Bei der Regelung der Machtübergabe mithilfe von freien, allgemeinen und gleichen Wahlen hat unsere Demokratie nach wie vor die Nase vorne. Das macht es so gefährlich, wenn Menschen wie Trump Zweifel an der Integrität von diesem Prozess sähen. Verliert der Prozess der Machtübergabe weiter an Legitimität, laufen wir Gefahr einen der wichtigsten Anker für die langfristige Stabilität in einer Demokratie zu verlieren und stünden nicht viel besser da als so manche Diktatur.

Zurück nach Sintra. Die Zeit Ferdinands II. war für die portugiesischen Königsfamilie noch eine Gute. Nur 23 Jahre nach seinem Tod, wurde sein Enkelsohn, der designierte Thronnachfolger, in Lissabon ermordet. Der Rest der Königsfamilie flüchtete ins Exil nach England und in Portugal entstand die sogenannte „Erste Portugiesische Republik“. Eine Phase großer politischer Turbulenz begann: innerhalb von 16 Jahren gab es 9 Präsidenten.

Aus der ersten Republik hinaus entwickelte sich schließlich die Herrschaft von Salazar, über die an anderer Stelle ausführlicher geschrieben werden muss. Erst 1974 wurde Portugal zu einer Demokratie nach Vorbild anderer Länder in Europa.

Heute lebt die portugiesische Königsfamilie im Norden von Portugal. Politische Macht hat sie keine mehr.

Das Schloss von Sintra verbindet unterschiedlichste architektonischer Stile. Ursprünglich ein Kloster, wurde das Bauprojekt immer wieder erweitert und ergänzt. Es entstand ein Hof im Stile einer orientalischen Moschee, mit verzierten Sälen und Elementen, die an Meerestiere, Fabelwesen und Korallen erinnern.

Somit reflektiert das Schloss auch die in der Romantik (um 1800) aufgeflammte Sehnsucht zur Natur als Kontrast zu Fabrikschloten und Stadtleben.

Insgesamt fällt die Schlichtheit im Schloss auf. Prunk und Opulenz findet man in anderen Schlössern.

Das Kronjuwel der Residenz ist meiner Ansicht nach aber nicht das Schloss selbst, sondern der toll angelegte Landschaftspark, der das Schloss umgibt. Mammutbäume, Berg-Ahorn, Linden und Pinien sind nur einige der Bäume, die den Park schmücken und ihm eine kühle, feuchte Atmosphäre geben. Es ist das bekannte Mikroklima von Sintra. Wenn es in Lissabon über 30° sind, misst das Thermometer in Sintra nur 25.

In der Nähe des Meeres gelegen, auf einer Erhebung von etwa 500 m, ist das Schloss die perfekte Sommerresidenz. Die grüne Gegend erinnert an englische Gärten und so ist es nicht überraschend, dass auch große englische Dichter und Denker durch diese Gegend Portugals inspiriert worden .

Lord Byron, der berühmte englische Dichter, der wie Mozart im Alter von 35 Jahren starb, war von Sintra hingerissen und fand dort viele Inspirationen für seine Werke.

Nachdem wir in Sintra ein Picknick gemacht haben, besuchen wir noch ein altes Kloster, dass jahrhundertelang von einer kleinen Gemeinschaft von acht Mönchen bewohnt wurde. Dort lebten sie als Selbstversorger, bauten ihr eigenes Getreide für Brot, Gemüse und Obst an. Fleisch gab es nur zweimal im Jahr, an Weihnachten und an Ostern.

Wir sind die einzigen Besucher in dem Kloster, und ein Mann, der die Anlage beaufsichtigt, gibt uns eine private Tour. Das Kloster ist direkt in den Felsen eingearbeitet. Die Räume sind schlicht, doch begehbar. Die Decken sind mit Korkeichenrinde überzogen, ebenso wie die Außenseiten von Fenster und Türen und die Sitzfläche bei den Steinbänken. Dadurch entsteht trotz der Schlichtheit ein Gefühl von Wärme und die Atmosphäre wirkt weicher.

Eine Kuriosität ist, dass die Türen zu den einzelnen Schlafzimmern nur etwa 1 m hoch sind und 30 cm im Durchmesser. Diese zwerghaften Proportionen sollten die Mönche an ihre Nichtigkeit angesichts der Größe Gottes erinnern.

Wenn ein neuer Mensch in die Gemeinschaft aufgenommen wurde, musste er durch eine Tür schreiten, über der ein Totenkopf in die Mauer eingearbeitet war. Es war ein symbolischer Schritt. Mit dem Gang durch die Tür, würde das alte Leben der Person sterben und er in einem neuen erwachen.

Auch für den Fall eines Austrittes es aus dem Orden gab es eine bestimmte Tür. Sollte sich ein Mensch nach reiflicher Meditation entschließen, die Gemeinschaft zu verlassen, so musste er durch jene Tür hinausschreiten, sodass er die anderen Brüder nicht bei ihren täglichen Aufgaben stört.

Vor 15 Jahren waren Maria und Rita bereits einmal in dem Kloster. Damals war es in einem desolaten Zustand. Randalierer und Trophäen-Jäger hatten sich viele der Objekte gekrallt und die Räumlichkeiten zerstört.

Außerdem feierten religiöse Kulte in dem Kloster illegale „schwarze“ Messen, bei denen sie Geister beschwörten. Die ganz praktische Konsequenz dieser Versammlungen war, dass dabei immer wieder Teile der Klosteranlage beschädigt worden. In den letzten Jahren habe man über 2 Millionen Euro in die Sanierung der Anlage gesteckt.

Doch nicht nur Mönche, Randalierer und Geisterbeschwörer hausten in dem Kloster, sondern auch der militärische Widerstand gegen Napoleon.

Der Mann erzählt uns, dass eine englische Historikerin in alten Quellen entdeckt hat, dass das Kloster zu Zeiten der napoleonischen Kriege eine strategische Zentrale war, wo sich Engländer und Portugiesen absprachen und ihren Widerstand koordinierten.

In dem kleinen Esszimmer, nicht ausgelegt für mehr als zehn Personen, saßen die Militärs bei ausgebreiteter Landkarte zusammen und beugten sich bei Kerzenlicht über die große Steinplatte, die normalerweise als Esstisch diente. Hier wurde der Widerstand gegen Napoleon geschmiedet, und tatsächlich gelang es dem größten Militärgenie seiner Zeit nicht, ganz Portugal einzunehmen.

Ziemlich spannend! Ein toller Tag!

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