Tag 83: Diese Reise geht weiter!

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Nach neun wunderschönen, erlebnisreichen Tagen in Lissabon ist es nun an der Zeit das zivilisierte Leben wieder einzutauschen gegen das Dasein als Höhlenmensch. Der Sprung ins kalte Wasser ist hart, deshalb zögere ich die Abfahrt bis halb vier hinaus.

Ein letztes köstliches Mittagessen muss ja noch sein und vormittags waren noch ein einige Besorgungen zu erledigen. So ist nach 4000 km der Gummizug, mit dem ich Zelt, Schlafsack und Rucksack auf dem Gepäckträger befestige, vollkommen zerlumpt und ausgeleiert gewesen. Jetzt habe ich zwei neue Gummizüge, in glänzendem blau.

Ich bringe mit Rita noch einige Klamotten, die ich nicht mehr brauche, zur Post und schicke sie nach Deutschland. Ich will aber auch nicht so viel Luft in den Radtaschen mitschleppen, deshalb packe ich gleich drei Bücher ein, um den Kopf während der Radtour auch ein wenig zu beschäftigen.

Mir ist erst in Lissabon wieder richtig bewusst geworden, wie sehr mir das Lesen gefehlt hat. Ja, Glück ist nicht nur eine gute Verdauung und ein schlechtes Gedächtnis, sondern auch ein leckeres Essen, ein kurzweiliges Gespräch UND ein spannendes Buch.

Irgendwann ist es aber so weit, und ich sitze mit gepackten Taschen auf dem guten alten Drahtesel. Ich brauche ein paar hundert Meter, um mich wieder an das Fahrgefühl zu gewöhnen.

Waren meine Bremsen wirklich so schlecht? Halten die neuen Gummizüge? Aber alles gut, schon sehr bald fühle ich mich wieder zu Hause auf meinem Kettler Alu-Rad.

Ich werde immer an der Küste entlang nach Süden fahren, doch erst muss ich in Lissabon eine Fähre auf die andere Seite vom Fluss nehmen. Das geht ohne Probleme, doch auf der anderen Seite komme ich voll in den Berufsverkehr. 20 km schlängele ich mich zwischen den Autos durch und fühle mich eher an den Verkehr in Süd-Ost Asien erinnert als an Europa. Rechts und links überholen; einmal quer über die Fahrbahn zwischen den Autos durchzwängen, um die Seite zu wechseln. Alles ist erlaubt, oder besser gesagt: Es wird von jedem einfach gemacht. So darf letztlich jeder sein eigenes kleines Stückchen zum Verkehrschaos beitragen!

Als Radfahrer passe ich auch durch die kleineren Lücken zwischen den Autos, sodass ich viel schneller vorankomme als die Pendler in ihren übergroßen Sardinenbüchsen. Im Stadtverkehr ist weniger mehr.

Gegen 17:30 Uhr ist endlich wieder „Pendlerebbe“. Um 19:00 Uhr stehe ich vor der zweiten Fähre des Tages, die mir ganze 6 km pedalieren erspart. Dafür muss ich aber auch fünf Euro zahlen. Würde ich als Radfahrer einen Euro pro Kilometer verdienen, ich wäre gar nicht so schlecht bezahlt!

Auf der Fähre treffe ich Émanuel, ein 37-jähriger Radreisender aus Marseille. Émanuel ist leicht unterwegs, mit Rennrad und kleinen Taschen am Lenker sowie hinter dem Sattel. Er fährt am Tag meistens zwischen 150 und 200 km, und das muss er auch. Schließlich will Emanuel eine Strecke von fast 6000 km in vier Wochen schaffen.

Wir unterhalten uns auf der Fähre und fahren die ersten 5 km danach noch zusammen weiter. Wir haben einen günstigen Rückenwind, worüber wir uns beide freuen. Gegenwind ist nämlich das Schlimmste. „Das ist psychologischer Krieg“, erzählt Emanuel. Dieser Analyse schließe ich mich an. Der Rückenwind darf gerne bleiben.

Die Stadt und die Menschenmassen liegen dann doch schnell wieder hinter einem.

Insgesamt lege ich heute 84 km zurück, wovon 76 mit Muskelkraft erstrampelt wurden.

Um 21:00 Uhr – es dämmert schon – schlage ich mein Zelt auf dem sandigen Boden in einem Kiefernwald auf. Die Sonne, wie ein Tropfen geschmolzenes Gold, ist bereits im Atlantik versunken.

Dieses Mal gebe ich besonders acht mein Fahrrad nicht an einen harztriefenden Baum anzulehnen, wie es in Nazaré geschah.

Die Routine des Zeltaufbaus habe ich noch nicht vergessen und so steht meine Nylonhöhle in wenigen Minuten einladend da. Fehlt nur noch das Abendessen.

Heute genieße ich ein belegtes Brot mit Gelbwurst aus Usingen. Herrlich!

Ein Hauch Heimweh kommt bei dem vertrauten Essen auf.

Zum Zirpen von tausenden Grillen lege ich mich hin und warte auf den Schlaf. Bald klopft er an der Tür. Gute Nacht!

Gute Nacht von meinem Zeltplatz aus!

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