Der Morgen beginnt mit Gartenarbeit. Die Hühner und Schafe müssen gefüttert werden. Der Obstgarten braucht Wasser. Das Unkraut muss gejätet werden.
Patricio kümmert sich um die Tiere und hängt die Wäsche auf, die im Wind flattert. Ich kümmere mich währenddessen um die Pflanzen.
Ich habe vorher ein Frühstück zur Stärkung gegessen, doch Patricio macht alles auf nüchternem Magen. „In meinem Alter braucht man nicht mehr so viel essen“, sagt er, als ich ihn frage.
Bis 12:00 Uhr hackt er im Garten rum und jätet Unkraut. Dann schmeißt Patricio den Grill an, und legt drei dicke Iberico Steaks drauf.
Zum Schweinesteak essen wir Süßkartoffeln, in allen Farbvarianten: Orange, Lila und Weiß. „Wie auf Okinawa“, sagt Patricio. „Dort werden die Menschen auch überdurchschnittlich alt.“ Ich nicke. „Warte noch ab“, meint Patricio zu mir, „ich werde auch 100!“
Mit 70 ist Patricio auf jeden Fall noch gut dabei. Er könnte zwar schon längst seinen Ruhestand genießen, doch er arbeitet immer noch Vollzeit als Arzt und hat auch sonst mit dem Haus alle Hände voll zu tun.
Patricio erzählt mir, wie er früher in der Kardiologie gearbeitet hat. „Dort habe ich das erste Mal bemerkt, wie entmenschlicht die moderne Medizin ist“, erzählt er mir. „Wir reden von der Humanmedizin, doch was ich sah war alles andere als human.“
„Ich sagte zu meinen Kollegen oft, als wir wieder einmal einen Patienten hatten, wo eine Behandlung aussichtslos war: ‚Lasst sie doch friedlich sterben.‘ Aber es wurde immer nur an den Patienten herumgedoktert, zu keinem Zweck, außer mehr Geld zu verdienen.“
Geld ist aber das falsche Steuerungsinstrument, wenn es um die Gesundheit geht. Davon ist Patricio überzeugt. Er erzählt mir, wie er sich von der Schulmedizin abwandte, und Chinesische Medizin, Natur Medizin und Homöopathie studierte. „Man kann so viel mit Homöopathie und dem eigenen Lebensstil erreichen“, sagt er. „80-90% der Leiden kann man so ohne Intervention und OP heilen oder zumindest lindern.“
„Wir brauchen Liebe und nicht Gewalt in der Medizin. Mit der Schulmedizin tun wir den Patienten aber viel zu oft Letzteres an. Empathie und Respekt, das ist der Schlüssel“, sagt Patricio nachdrücklich.
Gegen halb vier verabschiede ich mich wohlgenährt und mit einer Umarmung von Patricio und fahre weiter zu Josef. Josef ist ein weiterer Freund von Mário und Rita, der etwa 40 km von Patricio entfernt wohnt, in der Nähe von Aljezur. Auf Schotterpisten geht es durch endlose Eukalyptusplantagen.
19:00
Ich klopfe an Josefs Haustür. Nach ein paar Sekunden öffnet mir ein großer Mann, mit strahlend blauen Augen und zerzausten weißen Haaren. Josef hat eine ruhige Stimme, mit der er mich freundlich begrüßt.
„Ich muss gleich noch eine Freundin abholen“, sagt er zu mir. Für ein Kaffee ist trotzdem Zeit.
„Mach es dir hier bequem, ich habe sogar deutsches Fernsehen“, verabschiedet sich Josef.
Mit „bequem“ ist aber erst mal nichts, denn ich bemerke eine große Pfütze in der Küche. Der Übeltäter ist schnell ausgemacht: Die Waschmaschine. Sie ist offenbar etwas altersschwach und inkontinent – Jetzt läuft ihr Wasser aus, und die ganze Küche riecht nach Waschmittel.
Um 20:00 rollt Josefs alter, grüner VW Bulli wieder in die Einfahrt. Josef hat Alexa abgeholt, eine Bekannte, die ursprünglich aus Angola stammt.
Ich habe die Überschwemmung in den Griff bekommen, also springen wir sofort wieder in den Bulli, um noch den Sonnenuntergang an der Küste zu erwischen.
Wir laufen zu den Klippen. Es riecht süßlich. „Der Geruch kommt von den Steviapflanzen“, sagt Josef. „Nicht auf die Klamotten bekommen. Macht üble Flecken. Das klebt wie Harz.“
Ich reiße ein Blatt ab und begutachte es. Auf der Oberfläche ist eine sirupartige Flüssigkeit, die den süßen Duft verströmt.
„Das soll man nicht machen, das ist überhaupt nicht gut“, sagt Alexa scharf.
„Warum?“, frage ich.
„Du zerstörst damit Leben“, antwortet sie.
„Ok, aber die Pflanze lebt doch noch. Wir schneiden uns ja auch die Haare und sterben deshalb nicht“, erwidere ich.
„Vielleicht. Ich würde es trotzdem nicht machen!“
„Du isst doch bestimmt Salat, oder?“, frage ich Alexa.
„Ja… das ist aber was anderes.“
Ich belasse es dabei und genieße die Aussicht.
Es weht ein frischer Wind über die schroffe Küste. Auf einem der dunklen Felsen hat eine Storchenfamilie ihr Nest gebaut, in das wir von oben hineinschauen können.
Die Sonne versinkt feurig in einer Wolke, und ihre letzten Strahlen tasten weich über unsere Gesichter. Zum Abend hin ermüdet auch hier die Sonne, und die Strahlen verlieren an Intensität.
Zuhause essen wir eine Hühnersuppe und trinken einen Ingwertee mit Apfelsaft. Als Abschluss gibt es noch einen Portwein.
Alexa holt ihre Tasche und zeigt uns Maniok und eine riesige Papaya, die sie aus Angola mitgenommen hat. „Ich war vor Kurzem zwei Wochen dort und habe meine Familie besucht.“
„Die konntest du einfach mitnehmen?“, fragt Josef.
„Ich habe es einfach eingepackt. Niemand hat mich kontrolliert. Wen kümmert‘s, ist ja nur Obst!“
Sie hält mir eine Maniokwurzel hin. „Riech mal. Die Erde! Das ist der Duft von Leben.“
„Die bereiten wir morgen zu“, schlägt Josef vor.
Wir reden über Desmond Tutu, und die afrikanische Ubuntu-Weisheit „Ich bin, weil du bist“, die das menschlich-soziale Wesen viel besser trifft als die europäische, egozentrischere Philosophie „Ich denke, also bin ich“ (René Descartes, 1641).
Alexa erzählt, dass sie gerne nach Asien reisen würde, am liebsten nach Ecuador.
Josef lacht: „Dann musst du aber lange suchen in Asien!“
„Was, Ecuador liegt nicht in Asien?“
„Nein, in Südamerika“, sage ich. „aber in Asien könntest du dir zum Beispiel den Himalaya anschauen.“
„Das ist doch eine Insel, oder?“, versucht es Alexa. Als Josef und ich sie fassungslos anstarren, bemerkt sie ihren Irrtum. „Tut mir leid“, entschuldigt sich Alexa und lacht über sich selbst. „Erdkunde war nie meine Stärke. Ich glaube ich verwechsle gerade Himalaya und Malediven… Oje“
Josef klärt Alexa auf, dass es sich beim Himalaya um das höchste Gebirge der Welt handelt. Da es schon recht spät ist, belassen wir die Erdkunde Nachhilfestunde dabei und sagen gute Nacht!
Sehr unterhaltsam, dieser Abend!