Tag 90 und 91: Steigungen, Flieger, Schafe und mehr

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Tag 90

8:00

Ich wache auf zu einem Geräusch, dass ich schon lange nicht mehr gehört habe. Regen, der auf mein Zelt plätschert. Es sind immer nur kurze Schauer, die schnell wieder vorbeiziehen, aber es ist eindeutig Regen. Ich baue trotz Regen (der verdunstet sowieso sofort) mein Zelt zusammen und mache mich startklar.

Es weht ein leichter Wind. Immer, wenn sich das trockene Gras darin bewegt, entsteht ein Rascheln, als würde sich eine Schlange bewegen.

14:00 – Im Monchique Gebirge

Der Anstieg zum Mount Fóia hoch ist einer der schwierigsten der Tour gewesen, obwohl der Berg nur 900 m misst. Aber die Eigenart der Portugiesen, die Straßen ohne Serpentinen einfach den Berg hoch zu bauen, machte den Anstieg ziemlich strapaziös!

In einer geraden Linie war es oft nicht möglich, die Straßen hochzufahren. Mir ist schon ganz schwindelig geworden im Kopf, von den vielen Schlangenlinien, die ich gefahren bin, um die Steigung etwas abzumildern.

Das Endergebnis ist aber: Ich hab’s geschafft und die Abfahrt (ohne Schwindel) war dafür umso süßer!

Die letzten 20 km der Tour fahre ich durch eine Badlands-ähnliche Landschaft (aride, von Erosion zerfurchte Landschaften). Die Hänge sind karg und steinig, das was wächst, sind Eukalyptusbäume. Die werden hier für die Holzzucht angebaut, und dort wo sie letztens erst gefällt wurden, beten die kahlen Berge die unerbittliche Sonne an.

Irgendwie wurschtel ich mich durch diese Landschaft, wo ist nur zwei Wegtypen zu geben scheint: viel zu steil berghoch oder viel zu steil bergab. Teilweise muss ich absteigen und schieben, was auf dem losen Geröll nur unwesentlich leichter ist als das Fahrradfahren. Ich könnte ganze Eimer mit meinem Schweiß füllen.

Als ich durch ein kleines Dorf komme, entschließe ich mich, dass ich hier Halt mache und mein Zelt aufbaue. Es ist 17:45 Uhr, und Sonne und Wind lassen es zu, dass ich schon jetzt mein Zelt aufstelle, ohne nachher in einem Ofen bei lebendigem Leib gekocht zu werden. Ich frage bei einem Landwirt nach, ob ich auf seiner Wiese das Zelt aufstellen kann. Kein Problem!

Erst setze ich mich allerdings unter einem Baum hin, an dem lauter Bohnen-Früchte hängen. Später erfahre ich, dass es sich dabei um eine Alfarrobeira, oder Johannisbrotbaum, handelt.

Nach wenigen Minuten bellt ein Hund, und kommt immer näher. Es ist ein Schäferhund, der direkt über mir von der Steinmauer auf mich hinabschaut. Als ich aufstehe, um das Schauspiel besser zu beobachten, erschrecke ich einen Jungen, der sichtlich zusammenzuckt. Hier hat er offensichtlich nicht erwartet, dass plötzlich ein wildfremder Mann hinter der Steinmauer hochschießt. Eine ältere Frau mit kurzen braunen Haaren ist auch da, und ruft den Hund zu sich.

So mache ich Bekanntschaft mit Annabell und Daniel. Die beiden haben hier eine Schafsherde, die auf der Wiese neben mir weidet. Der Hund hatte mich natürlich gleich als Eindringling festgemacht, und das gebührend gemeldet.

Wir unterhalten uns so gut es geht und ich schaffe es den beiden zu erklären, was für eine Tour ich unternehmen. Annabell erklärt mir, dass man aus den Bohnen, die an den Johannisbrotbaum wachsen, viele Dinge machen kann: Suppen, Mehl und sogar unterschiedliche Medizin gegen Diabetes, Cholesterol und Herzprobleme. Sehr interessant!

Als ich den Baum selbst recherchiere, lerne ich auch, dass das Wort „Karat“ als Gewichtseinheit für Diamanten, von dem arabischen Namen für die Frucht des Baumes abstammt. Die Samen, die darin enthalten sind, wurden nämlich von den Arabern als Gewichtseinheit genommen, aufgrund ihres sehr konstanten Gewichtes von etwa 200 mg je Stück. Vermutlich führten die arabischen Mauren den Baum auf der iberischen Halbinsel ein.

Plötzlich schlägt der Hund Alarm. Die Schafe sind ausgebüxt! Über die Steinmauer sind sie hinweggesprungen und machen sich jetzt daran, dass Feld vom Nachbarn Karl zu Grasen. Der Schäferhund hat wohl gepennt! Doch mit vereinten Kräften schaffen wir es die Schafe zurück auf die Weide zu treiben. Immer was los hier!

Sonst ist der Abend ruhig und ereignislos. Bis morgen, gute Nacht!

Tag 91

Der Tag heute ist langsam. Er fing schon langsam an, und er ging langsam weiter. Nach sieben Stunden sind gerade einmal 57 km geschafft. Um fair zu sein, muss ich aber auch sagen, dass ich viel Zeit für die Blog Texte genommen habe und auch eine Dreiviertelstunde mit Pascal telefoniert habe.

Die meiste Zeit bin ich auf wenig befahrenen Straßen durch das portugiesische Hinterland geradelt.

Jedes Haus hat hier seinen eigenen Obst- und Gemüsegarten: die meisten Leute scheinen Selbstversorger zu sein. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen, die Selbstversorgung erledigt sich nicht von selbst. Überall ackern die alten Omas und Opas, vorne rüber gebeugt mit dem Rücken zur Sonne und dem Gesicht zum Boden. Meine Generation wird das bestimmt nicht mehr machen.

Von den wilden, ursprünglichen Bergen bin ich an die entwickelte Küste geradelt. Nun, gegen 18:00 Uhr, sitze ich auf einer Bank in Faro und lausche melancholischer portugiesischer Musik. Später treffe ich mich mit zwei Mädels aus Frankreich, die hier ein Praktikum machen.

Um kurz vor acht treffe ich mich mit Julie direkt am Hafen. Wir spazieren bis ans Ende von einem Steg, und setzen uns auf die warmen Holzplanken, um den Sonnenuntergang anzuschauen. Wenig später stößt Anastasia dazu, eine Freundin von Julie.

Direkt über uns ist die Einflugschneise für die Flugzeuge, und alle paar Minuten kündigt ein stetig anschwellendes dröhnen den nächsten voll beladenen Touristen-Jet an. Ich genieße es den Fliegern zuzuschauen, doch ich kann verstehen, dass der ständige Lärm für die Anwohner eine Plage ist.

Mit Einbruch der Dunkelheit besorgen wir uns in der Stadt etwas zu essen, und besuche noch die WG von einigen Bekannten. Dort gibt es eine tolle Dachterrasse, auf der wir essen und uns unterhalten. Die Piloten haben noch nicht Feierabend, denn auch jetzt zu später Stunde kommen immer noch Flugzeuge an: rechts am Flügel leuchtet es grün, links rot. Der Bauch der Flugzeuge wird vom gelben Licht der Stadt gespenstisch angestrahlt.

Es ist mein erster Abend der Radtour auf einer Dachterrasse, und es macht Spaß sich mit fünf lustigen Studenten zu unterhalten. Alle arbeiten an Projekten zum Thema nachhaltige Energie und Wassergewinnung, doch heute Abend dreht es sich nicht ums Studium, sondern um Bier, gutes Essen und eine lebhafte Unterhaltung. Gute Nacht!

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