Tag 97: Ein Buch und ein Ausblick in die Landwirtschaft der Zukunft

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Heute ist ein Lesetag. Ich liege faul im Garten herum und verliere mich in einem fantastisch geschriebenen Buch von Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler. 

Das ist vielleicht nicht die Kost, die man auf einer entspannten Radreise erwartet, doch als Deutscher bin ich schon öfter angesprochen worden, wie das Verhältnis von meinem Land und mir persönlich zu Hitler ist.

Will man die Frage tiefgründig beantworten, lohnt es sich etwas mehr über die Person zu wissen, die Architekt des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte war. Nur so kann man einen Schimmer davon bekommen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Aktuell sind die Lehren allemal.

Schaut man sich in der Welt um, ist die Manipulation von Wissen zu Gunsten kruder Ideologie weit verbreitet. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber zurzeit kommt es mir so vor, als ob Willkür, Kompromisslosigkeit und Unrecht besser gedeihen als noch vor einigen Jahren. Ich denke nicht nur an Russland, China und die diversen anderen Diktaturen, sondern auch die USA.

Immer, wenn es mir beim Lesen zu warm wird (es sind immerhin 35°) springe ich in den Pool und schwimme 20 Minuten. Ich schätze den Pool auf etwa 12 m, und solange man nicht zu viele Rollwenden hintereinander macht, wird einem beim Bahnen schwimmen auch nicht schwindlig.

Abends erzählt mir Hugo von seinem Unternehmen, „Vertical Green“. Mit seiner Firma möchte Hugo zwei große Menschheitsfragen angehen. Wie kann man 10 Milliarden Menschen zuverlässig ernähren? Und, wie kann die Landwirtschaft angesichts des Klimawandels nachhaltig werden?

Die Welt steht vor der Herausforderung, in wenigen Jahren 10 Milliarden oder mehr Menschen  ernähren zu müssen. Gleichzeitig wirkt der Klimawandel diesem Ziel entgegen. Die Landwirtschaft ist zwar der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen weltweit, und somit ein Hauptverursacher des Klimawandels, doch sie ist auch eines seiner größten Opfer.

Mit seinem Unternehmen möchte Hugo Gemüse unter kontrollierten Bedingungen anbauen, in hochtechnologisierten Containern. „Mit Nährstoffen und Wasser wird das Gemüse nicht mehr über die Erde versorgt, sondern über eine Nährstofflösung. So kann 95 % weniger Wasser benutzt werden als auf herkömmlichen Wege“, erzählt Hugo.

„Alles ist verknüpft. Intelligente Sensoren bestimmen den Bedarf der Pflanzen an Licht, Wasser und Mineralien. Der Wachstumsprozess ist fast vollständig automatisiert: der Landwirt sitzt nicht mehr in einem Traktor, sondern kann sich um andere Aspekte seines Betriebes kümmern.“

„Der große Vorteil diese Anbauweise“, erklärt Hugo, „ist mindestens vierfach: Erstens, es wird viel weniger Wasser verbraucht. Zweitens, die Container können in der Nähe vom Endverbraucher aufgebaut werden. Das erspart lange Transportwege. Drittens, wir brauchen keine Pestizide mehr. Denn in einem kontrollierten Ökosystemen finden sich auch keine Schädlinge mehr. Viertens, die Effizienz ist um ein Vielfaches größer und somit der Flächenbedarf um ein vielfaches kleiner. Das entlastet die sowieso schon ausgelaugten Böden.“

Doch nicht alles spricht für eine Landwirtschaft der Zukunft in kontrollierten Lagerhallen und Containern. Es gibt mindestens drei berechtigte Einwände.

Der Energiebedarf für die künstliche Beleuchtung ist enorm, und um diese Energie auf erneuerbare Art und Weise herzustellen wird wiederum Landflächen in Anspruch nehmen.

Drei Tage nachdem ich diesen Text verfasst habe, spreche ich Hugo genau auf dieses Problem an, und erfahre, dass Hugo über moderne Solarpanelen auf jedem Container sogar doppelt so viel Energie erzeugen kann, wie dieser verbraucht. Was früher also ein Hauptargument gegen den Anbau in Lagern oder Containern gewesen wäre, wird mit Hilfe neueste Innovationen sogar in sein Gegenteil verkehrt. Allerdings haben diese Innovationen ihren Preis, und damit kommen wir direkt zum zweiten kritischen Punkt.

Die derzeitigen Systeme sind, bis auf wenige Ausnahmen, nicht ökonomisch rentabel, um die Cash-Crops herzustellen, die den größten Flächenbedarf und Umwelteinfluss haben: Soja, Weizen oder Mais etwa. Größeres Potenzial scheint in besonderen Nischenprodukten zu stecken, was allerdings das Argument des geringeren Flächenverbrauchs und der Wasserersparnis deutlich relativiert. Die Wirtschaftsgeschichte lehrt uns aber, dass mit der Zeit die Kosten von einer neuen technischen Lösung fallen. Somit ist es durchaus denkbar, dass in einigen Jahren auch Weizen und Co. in kontrollierten Systemen angebaut werden.

Es gibt aber auch ein Argument, dass durch keine technische Lösung aus der Welt geschafft werden kann. Es ist ein ästhetisches, „romantisches“ Argument gegen Obst, und Gemüse, das unter vollkommen kontrollierten Bedingungen wächst.

In der Schule lernen wir, dass Pflanzen Boden und Sonnenlicht brauchen, um zu wachsen. Insofern ist der Anbau im Container, unter künstlicher Beleuchtung und in einer Nährstofflösung, die vollständige Entfremdung von den natürlichen Wachstumsumständen. Das mutet irgendwie komisch an, und nicht nur das: Die Entfernung einer variablen Umwelt aus der Gleichung hat ganz praktische Konsequenzen: Jede Tomate, Karotte oder Zucchini wird gleich schmecken.

Die Geschmacksnuancen und Aromenvielfalt – das Ergebnis unterschiedlicher Böden, Wetterbedingungen und schlichtweg zufälliger Ereignisse – verschwinden. Das Verwenden unterschiedlicher Nährstofflösungen wird die natürliche Vielfalt nur unzureichend abbilden können.

Freilich, dieses Argument betrifft nur Feinschmecker und Essensliebhaber – aber man sollte es nennen.

Die Lebensrealität ist größtenteils eine andere.

Eine Gewächshaus Tomate, die unter Plastikfolien auf einem Chemieboden wächst, ist ebenso weit von einer Gartentomate entfernt, wie eine Tomate aus dem Container. Insofern dürfte für die meisten Konsumenten, die sowieso schon Einheitsgemüse bevorzugen, der Sprung nicht so groß sein.

Sie nehmen einen gestutzten Geschmack in Kauf, und haben die quasi-Garantie, dass dieser dafür immer gleich ist. Der typische Mensch ist risikoavers, und ist für eine Minderung seines (Enttäuschungs-)Risikos bereit ein mitunter großes Maß an (Geschmacks-)Potenzial zu bezahlen. Nichts ist so schlimm wie enttäuschte Erwartungen – und das haben die Supermärkte schon lange erkannt.

Ich kann mir deshalb insgesamt gut vorstellen, dass Landwirtschaft in der Lagerhalle in Zukunft einen größeren Stellenwert einnehmen wird. Es wird allerdings auf die Ökonomie ankommen, ob sich das Modell flächendeckend durchsetzt. Werden die technischen Modelle skaliert, könnte es in Zukunft auch möglich sein, dass Getreidearten wie Weizen ökonomisch sinnvoll auf diese Art und Weise angebaut werden können.

An das Ende des Ackers glaube ich trotzdem noch nicht. Die Bearbeitung von Land und Boden ist kulturell tief verankert und erklärt vielleicht den Erfolg vieler Bücher und Sendungen über das Themen Land und Gärtnern.

Am besten bleibt letztendlich der eigene Gemüsegarten. Davon hat Hugo übrigens einen ziemlich großen, und ich kann bestätigen: die Tomaten sind herrlich!

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