Meknès nach Lissabon (Teil 2)

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Tag 3: Meknès bis Ouezzane

Es ist 5:00 Uhr und unser Wecker klingelt. Die Radtour beginnt, obwohl Matthew noch immer nicht voll bei Kräften ist. Viereinhalb Stunden Schlaf müssen heute genügen. Um 5 Uhr erschallt auch das erste Gebet aus den Minaretten der Moscheen. Das erste Gebet beginnt mit dem Hellwerden am Horizont. Wie eine Welle verbreiten sich die Rufe von Osten nach Westen durch die ganze Arabische Welt.

Um 6 sind wir auf der Piste. Es ist noch ziemlich dunkel. An der Straße laufen trotzdem schon Menschen in Richtung Meknès, teils von Kilometerweit außerhalb der Stadtgrenze. Mir kam die Stadt gar nicht so groß vor, aber es wohnen dort über eine halbe Million Menschen.

Es ist auch für Marokko eine Hitzewelle und die 46 Grad machen uns, vor allem aber Matthew zu schaffen. Mittags sitzen wir in einem Café in Jorf El Melha und trinken frisch gepressten Orangensaft. Es ist unmöglich abzukühlen, wir schwitzen einfach weiter und Matthew hat immer noch ziemliche Magen-Darm-Beschwerden und verliert auch dadurch viel Wasser. Ich muss groß und stelle fest, dass es in der Toilette, ein einfaches Loch im Boden, kein Klopapier gibt und aus dem Wasserschlauch kaum Wasser kommt. Also muss die linke Hand herhalten, so machen es schließlich mehrere Milliarden Menschen auch.

Zum Glück gibt es im Nebenzimmer ein Waschbecken mit Seife.

Es ist uns zu heiß zum Weiterfahren, also suchen wir im Ortskern nach einem schattigen Flecken Erde. Dann breiten wir unsere Isomatten auf dem Boden aus und dösen wie zwei faule Löwen neben einem abgesperrten Park im Schatten. Immer wieder kommen kleine Kinder vorbei und wollen mit uns reden. Wir ignorieren sie, aber als sie anfangen, kleine Steinchen nach uns zu werfen, brüllt Matthew die Knirpse auf Arabisch an.

Im Moment der Auseinandersetzung kommen zwei Jugendliche vorbei und sagen, dass sie die Kinder verprügeln werden, wenn sie weiter mit Steine nach uns werfen. Dann bieten uns die beiden an, uns etwas zu essen zu holen. Wir lehnen dankend ab doch schon kurze Zeit später kommen noch einmal zwei Jungs zu uns, und laden uns zu sich nach Hause ein, direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Wir sind in einer ärmlichen Gegend und ich kann sehen, dass unsere Gastgeber nicht viel Geld haben. Die Schuhe von den Kindern haben riesige Löcher, aus denen vorne alle Zehen rausstecken. Aber bei unseren Gastgebern werden wir dennoch sehr nett empfangen und bekommen einen süßen grünen Tee, Brot mit Honig(-ersatz) und Butter serviert. Es spricht immer der älteste Junge der Familie mit uns, die Mädchen und die Mutter halten sich zurück, von einem Vater fehlt jede Spur. Als wir mit dem Brot fertig sind, bringt die Mutter einen Teller Nudeln zu uns, mit einer weißen Soße, die wahrscheinlich angedicktes Nudelwasser ist. Es sind genau die Kohlenhydrate, die wir für unsere Weiterfahrt brauchen. Nicht jeder Mensch mag viel besitzen, aber ein großes Herz kann jeder haben.

Weiter geht es um 6:00 Uhr, als die bleierne Hitze langsam nachlässt. Überall am Straßenrand gibt es kleine Geschäfte und Stände, in denen man günstig einkaufen kann. Um acht machen wir wieder eine Pause, essen ein Brot und trinken eine Cola. Der letzte Anstieg hat Matthew ziemlich mitgenommen, er sitzt mit gläsernen Augen auf einer Bank und bringt kaum ein Wort raus. Er ist immer noch nicht ganz gesund, aber ich ziehe den Hut vor seinem Kampfgeist.

Angeblich gibt es in der Nähe ein Hotel. Um 20:30 Uhr wird es dunkel, und wir haben das Hotel noch lange nicht gefunden. Matthew ruft eine Handynummer an, die auf Google angegeben wird. Er telefoniert mit einem Mann, der sagt, dass das Hotel in einem Dorf abseits der Straße sei. Wir schieben unsere Fahrräder einen steilen Schotterweg hinauf zu dem Dorf.

Dort treffen wir den Mann, mit dem wir telefoniert haben, doch dieser erzählt uns, dass das Hotel einige Kilometer entfernt gelegen sei. Inzwischen ist es stockfinster. Ein Jugendlicher führt uns über einen Hirtenpfad durch die Dunkelheit zurück zur Straße. Er sagt uns, wir sollen noch anderthalb Kilometer der Straße folgen, dann fänden wir auf der linken Seite das Hotel. Doch auch nach zweieinhalb Kilometern, ist keine Spur von dem Hotel zu sehen. Und dann ertönt aus der Dunkelheit ein wildes Gebell, und ein Hund prescht auf uns zu, jagt uns zähnefletschend die Straße weiter hinunter. Wo ist das Hotel? Nach einem wilden Sprint entscheiden sich Matthew und ich doch noch einmal umzudrehen, fahren wieder ein Stück die Straße zurück, reden mit drei alten Männern, die uns aber wieder in die entgegengesetzte Richtung zum Hotel schicken.

Endlich finden wir das Hotel „La Gare“, bei dem wir vom Sohn des Mannes begrüßt werden, mit dem Matthew telefoniert hatte. Ihm gehört das Hotel, das eine eigene Schlachterei, ein Restaurant und ein großes Schwimmbad besitzt. Alle Zimmer sind belegt, aber der Eigentümer sagt uns, dass wir unsere Matten neben dem Schwimmbad ausbreiten können und dort die Nacht kostenlos schlafen können. Gesagt, getan! Um 10:00 Uhr nachts lassen wir uns nochmal klammheimlich in den Pool gleiten und waschen uns den Staub von Haupt und Haaren. Gut gereinigt und erfrischt, nach einem Tag mit 45°, der uns einiges an Schweiß abgefordert hat, sind wir jetzt bereit bis zum nächsten Morgen um 6:00 Uhr zu schlafen. Gute Nacht!

Dafür, dass sich Matthew gestern Morgen noch die Seele aus dem Leib gekotzt hat, schlägt er sich heute richtig gut. Klar, auf den Anstiegen tut er sich noch etwas schwer, aber das könnte auch am Gewicht des Gepäcks und einer etwas ungünstigen Sattelposition liegen. Wenn wir uns mit Menschen unterhalten, übernimmt Matthew meistens die Führung, weil ich leider kein Arabisch kann. Ich kann deshalb auch nicht einschätzen, wie gut Matthew spricht, aber es scheint sehr flüssig zu sein, auch wenn immer mal wieder Missverständnisse auftreten. Dazu sollte gesagt werden, dass jedes Land seine eigene Variante des Arabischen hat, sodass sich Menschen von unterschiedlichen Ländern teils kaum oder gar nicht verstehen. Jedenfalls wird deutlich, dass Sprachen wirklich ein Türöffner sind, um ein Land und seine Leute wirklich kennenzulernen. Dadurch, dass Matthew Arabisch kann, wurden wir eingeladen und haben unseren Schlafplatz für die Nacht gefunden. Abgesehen davon sind die Menschen, denen wir begegnen, ganz aus dem Häuschen, dass Matthew Arabisch kann.

Tag 4: Ouezzane – Chefchaouen

Unser Tagesziel ist Chefchaouen, eine Stadt, die für blauen Häuser und Gassen bekannt ist. Blau soll dem Aberglauben nach vor Unglück und dem „bösen Auge“ schützen, darum hat man hier sämtliche Häuser und sogar den Boden in strahlendem Blau angemalt.

Heute sind wir erst ziemlich spät losgefahren, um kurz nach neun. Die Nacht neben dem Pool war sehr erholsam. Unter freiem Himmel schläft es sich einfach am besten! Bevor wir losfahren, essen wir noch ein reichhaltiges Frühstück mit Brot, Honig, Olivenöl, Mandelpaste, einem frisch gepressten Orangensaft, einem Kaffee, eine Flasche Wasser und eine Käseplatte für nur 2,50€ pro Person. Marokkanische Preise sind wirklich etwas anderes! Wie es in den touristischen Gegenden aussieht, weiß ich natürlich nicht.

Wir fahren weiter auf einer Nationalroute, was in etwa das Äquivalent einer Deutschen Bundesstraße ist. Die Autofahrer sind meistens ziemlich rücksichtsvoll und überholen in einem großen Bogen. Heute geht es in das Rifgebirge, das bis auf fast 2500 m ansteigt. Es wird wieder ein brütend heißer Tag, aber da wir immer näher ans Mittelmeer kommen und nun auch in den Bergen unterwegs sind, sind die Temperaturen etwas erträglicher als gestern. Das Quecksilber soll nur noch auf etwa 42° steigen, allerdings macht uns ein Rückenwind auf den Strecken bergauf ziemlich zu schaffen, da uns dann jegliche Abkühlung verloren geht.

In einem Geschäft am Straßenrand möchte ich Honig kaufen, ein 250 g Glas aus der Region. Der Verkäufer will dafür fünf Euro haben, was mir angesichts der marokkanischen Preise doch ziemlich überhöht erscheint. Ich will verhandeln, und biete für das Glas die Hälfte. Heute Morgen habe ich für diesen Preis schließlich ein großes und reichhaltiges Frühstück bekommen. Aber der Verkäufer will sich auf keinen Handel einlassen und wird sogar richtig wütend, dass ich verhandeln möchte. Also gehe ich ohne meinen Honig. Ich weiß nicht, ob in Marokko wirklich immer verhandelt wird, oder ob das Verhandeln auch eine Art Schauspiel geworden ist, um das Erlebnis der Touristen zu verbessern. Man fühlt sich natürlich besonders gut über seinen Kauf, wenn man einen vermeintlich vorteilhaften Preis ausgehandelt hat.

Gerade ist es ungefähr 16:00 Uhr, und die Temperaturkurve zeigt allmählich wieder nach unten, wenn auch nur ganz leicht. Auf der Straße wird es sicher noch etwas länger warm bleiben, denn der Asphalt strahlt die Hitze des Tages auf uns zurück. Immerhin lässt jetzt schon mit jeder Minute die Sonnenintensität nach. Unser größtes Problem ist, dass wir so viele Mineralien über das Schwitzen verlieren. Da unsere Nahrung bisher nicht besonders Salz, obst- und gemüsehaltig war, fehlen uns also mittlerweile bestimmt so einige Mineralstoffe. Wir leiden beide, aber was wir machen ist Teamsport und das heißt eben auch Rücksicht nehmen auf den jeweils anderen.

Der letzte Anstieg nach Chefchaouen ist hammerhart. Mit Gepäck und einer schlechten Übersetzung sind wir als Rennradfahrer echt im Nachteil. Später wird mir Matthew erzählen, dass er sich noch nie dem Tod so nahe gefühlt hat, wie nach diesem Berg. Und das Abenteuer beginnt erst. In Chefchaouen wimmelt es vor Touristen, wir kommen mit unseren bepackten Fahrrädern kaum durch die engen Gassen. Die Stadt platzt aus allen Nähten. Auch an unserem anvisierten Hostel sagt man uns erst „Tut uns leid Jungs, wir sind komplett ausgebucht“. Dann aber kommt zufällig der Boss vorbei, ein Engländer, der auch radverrückt ist. Und im Nu ist ein Ersatzzimmer für uns beide gefunden! Das Glück ist wirklich auf der Seite des Radfahrers. Spätabends haben wir uns wieder berappelt (jeder von uns hat eine 1,5 Liter Wasserflasche in einer Sitzung leergetrunken) und gehen ins Restaurant. Als ich auf der Speisekarte ein Gericht mit Hirn sehe, weiß ich sofort, dass ich heute etwas Neues probieren werde. Wie ich feststellen muss, ist Hirn selbst relativ geschmacksfrei, doch durch die Gewürze gibt es dann doch etwas Geschmack.

Tag 5: Chefchaouen – Oued Laou

Morgens schauen wir zu, wie die Sonne langsam über den Gipfeln des Rifgebirges emporschwebt.

In einem Hostel bekommt man viele Gespräche mit und es ist immer interessant zu hören, worüber sich Menschen so unterhalten. Ein dänischer Gast, etwa so alt wie wir, beschwert sich zum Beispiel lautstark über „dieses bescheuerte Moscheegebrüll“, das jeden mitten in der Nacht aufwecke. Ich frage mich, warum so jemand überhaupt nach Marokko kommt. Wie ignorant kann man denn sein?

Wir fahren weiter durch das Rifgebirge in Richtung Küste. An den Hängen wachsen endlose Olivenplantagen, ein warmer Wind pustet uns ins Gesicht – jeder Schweiß verdunstet sofort. Was für ein toller Tag!

Die Strecke nach Oued Laou (unser Ziel am Mittelmeer) zieht sich hin und die Stadt ist, als wir sie am frühen Abend erreichen, total überfüllt, heruntergekommen und nicht wirklich einladend. Wo Chefchaouen nach frischer Farbe roch und alles blitzeblank war, ist Oued Laou das komplette Gegenteil. Hier tummeln sich auch kaum ausländische Touristen. Wir radeln weiter, erstaunt durch den verblüffenden Kontrast der beiden Städte und überlegen an der Strandpromenade, wie wir weiter vorgehen können. Wir entscheiden uns, dass wir erst etwas essen sollten und dann alles weitere beschließen. Bei gegrilltem Fisch reden wir mit den Gästen und Angestellten und fragen nach, wie und wo man hier am besten die Nacht verbringen kann. Und wie immer, ist bald eine Lösung gefunden.

22:40

Und zwar werden wir die Nacht am Strand verbringen, direkt neben dem Restaurant, in dem wir gegessen haben. Und es wird feucht! Vom Meer trägt der Wind einen Sprühnebel ans Land. Ich habe meine Windjacke an, aber trotzdem glaube ich, dass es nachts vielleicht ziemlich frisch werden könnte. Doch wieder retten uns die Einheimischen: Sie bringen zwei warme Decken und so können wir eine bequeme Nacht am Strand verbringen. Nur wenige Meter von unserem Schlafplatz wird ein Geburtstag gefeiert, doch ab 3 Uhr nachts kehrt Ruhe ein.

Wir schlafen bis zum nächsten Morgen durch, als uns das Knurren und Jaulen von einer Gruppe kämpfender Straßenhunde aufweckt. Zum Glück sind sie zu beschäftigt miteinander, um uns zu bemerken, doch wir beschließen uns trotzdem schnell aufzubrechen.

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