Meknès nach Lissabon (Teil 1)

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Marokko (Tag 1)

Die Reise nach Marokko beginnt. Es ist der 7. August und ich sitze im Zug zum Düsseldorfer Flughafen. Regen fließt in silbrigen Fäden an der Zugscheibe hinunter. Kurze Zeit später ist es schon wieder trocken und die Sonne scheint. In den letzten Wochen war das Wetter wechselhaft und es hat immer wieder geregnet. Und auch jetzt trage ich wieder eine Regenjacke. Es ist frisch. Ich freue mich auf die Wärme, auf Marokko. 

Auf dem Weg nach Marokko habe ich einen kurzen Zwischenstopp im trockenen Malaga.  Das Wasser am Flughafen schmeckt wieder voll nach Chlor, was ich seit meinem letzten Besuch in Spanien komplett vergessen hatte.

Als mein Flug mit einer Stunde Verspätung in Fez in Marokko landet, bin ich einer der ersten, die an der Grenzkontrolle ankommen. Am Schalter fragt mich ein gelangweilt aussehender Beamter, was denn meine Adresse in Marokko sei. Ich verstehe ihn erst nicht, denn er redet auf Arabisch mit mir, doch sein Kollege kann mit Englisch helfen. Ich gebe ihm die Adresse meines Freunds Matthew. Das stellt den Beamten zufrieden. Er will nur noch wissen, wie lange ich in Marokko bleibe und schon ist der Einreisestempel in meinem Pass.

Zuerst muss ich für mein Handy eine neue SIM-Karte besorgen. Mit meiner deutschen Karte kann ich in Marokko nicht telefonieren und auch keine Nachricht an Matthew schicken, dass ich gut angekommen bin. Direkt hinter der Grenzkontrolle laufen auch schon drei Verkäufer auf mich zu mit den Worten „SIM-Karte, SIM-Karte, wollen Sie SIM-Karte kaufen?“

Ich frage einen der drei, ob ich auch in Euro bezahlen kann. „Kein Problem“, versichert mir der junge Mann, der wie ein Student aussieht. Ich habe zu diesem Zeitpunkt noch keine Dirham – die Landeswährung von Marokko. Als ich den großen Batz Scheine in der Hand des Verkäufers sehe, kommt mir aber schnell eine Idee. Ich schlage vor: „Ich gebe dir 110 € und du gibst mir das Wechselgeld in Dirham“. Das heißt: 10 Euro für die SIM-Karte und 100 Euro in Dirham umgetauscht.

Der Verkäufer nimmt meine Euros an, und gibt mir das Wechselgeld in Dirham. Ich erkenne, dass es ein sehr, sehr vorteilhafter Wechsel ist. Ich glaube, ich habe den Verkäufer so verwirrt mit meinen dummen Fragen zur SIM-Karte, dass er nicht mehr rechnen konnte. Und so stehe ich da und halte doppelt so viel Dirham in den Händen wie erwartet. Ich bin überrascht und halte einen Schein gegen das Licht. Sieht ziemlich echt aus. So schnell macht man also aus 100 Euro 200… Aber vielleicht habe ich mich auch im Wechselkurs vertan, denke ich im nächsten Moment. Naja, man soll sein Glück packen, wenn es kommt.  Jedenfalls hatte ich mehr als genug Geld für meine Taxifahrt zu Matthew, ins 60 Kilometer entfernte Meknès. Ich hoffe nur, dass der Verkäufer nicht aus eigener Tasche für den Schaden aufkommen musste – denn 100 Euro sind für ihn wahrscheinlich ein Wochengehalt.

Es ist schon Mitternacht, als ich endlich aus dem Flughafen in die laue marokkanische Nacht hinaustrete. Gleich drei Taxifahrer verwickeln mich in ein Gespräch. 

Ich versuche es auf Französisch und biete 400 Dirham, umgerechnet etwa 40€. Das sei ein fairer Preis, hatte mir der SIM-Karten Verkäufer eben noch versichert. Zwei der Taxifahrer wollen nicht bis nach Meknès fahren, aber der dritte schlägt mir die Fahrt zu 500 Dirham vor. Verhandeln will er nicht und entgegnet auf meinen Versuch nur „guter Preis!“. Ich habe ohnehin keine Wahl, Züge fahren zu dieser Uhrzeit nicht mehr, ich bin müde und ich muss zu Matthew. Ein Handschlag und schon fahren wir los.

Ich staune nicht schlecht als wir ins Stadtzentrum von Fès fahren, über breite Straßen mit rot-weiß bestrichenen Bordsteinen. Wie viele Menschen draußen auf der Straße sind, obwohl es schon nach Mitternacht ist!  Mütter mit kleinen Kindern, Großeltern, ganze Familien, Jugendliche, die Fußball spielen, alles ist auf und lebendig. An den Straßen stehen überall Autos, deren Fahrer aus dem Kofferraum heraus Essen verkaufen. Auf den Bürgersteigen sind kleine Basare aufgebaut. Alles pulsiert vor Leben und jede freie Grünfläche in der Stadt ist voll mit Menschen, die Picknick machen. 

Auf der Hauptstraße ist in der Mitte ein Grünstreifen, wo alle 50 Meter eine marokkanische Flagge – Rot mit einem grünen Stern – in die Höhe ragt. Und auch dort auf dem Grünstreifen sitzen Familien und essen gemeinsam.

Plötzlich biegt mein Taxifahrer scharf links auf eine Seitenstraße ab und fährt in ein heruntergekommen aussehendes Industriegebiet hinein. Wir sind jetzt auf einer holprigen Schotterpiste mit großen Schlaglöchern. Es geht nur noch im Schritttempo voran. Links und rechts sind große beleuchtete Lagerhallen. Ich frage meinen Taxifahrer, was hier produziert werde. „Olivenöl“, erzählt er mir, und biegt in eine noch schmalere Schottergasse rechts ab. Links türmen sich Müllberge, neben denen Männer in abgetragener Kleidung stehen und rauchen. Es gibt keine Straßenbeleuchtung mehr. Mein Taxifahrer biegt noch einmal rechts ab. Jetzt bekomme ich ein sehr mulmiges Gefühl in der Magengegend. Ich frage, warum wir denn im Kreis fahren. Ich weiß nicht, ob mein Fahrer mich versteht, denn er lächelt nichtssagend und murmelt mit steifem Grinsen „ja, ja“.

Dem Grinsen des Taxifahrers haftet in meinen Augen plötzlich etwas Diabolisches an. Mein Herz pocht in meinen Ohren. So habe ich mir meine Taxifahrt nicht vorgestellt. Führt mein Fahrer etwas im Schilde? Trifft er sich hier mit ein paar Kumpels, um mich vielleicht sogar auszurauben?

Abrupt hält der Taxifahrer an, legt den Rückwärtsgang ein, und rollt in eine dunkle Gasse. „Jetzt muss ich zur Polizei gehen“, sagt der Fahrer und erklärt: „Ich muss eine Bescheinigung holen“. Ich sage dem Taxifahrer, dass ich nicht verstehe, was er meint. Ich wiederhole den Satz dreimal. Der Taxifahrer sagt immer nur „Polizeibescheinigung“ und wedelt ein vergilbtes, handbeschriebenes Zettelchen unter meine Nase. Dann steigt er aus dem Taxi aus und läuft in Richtung der vermeintlichen Polizeistation. Kurzerhand entscheide ich mich, ebenfalls auszusteigen, und laufe mit meinem Rucksack in die entgegengesetzte Richtung.

Ich habe Angst. Doch etwa 100 Meter entfernt, sehe ich ein kleines Café, wo eine Handvoll Männer sitzen und würfeln. Ich laufe zu ihnen hin und frage, ob dort, wo mein Taxi parkt, tatsächlich eine Polizeiwache ist. In gebrochenem Französisch antwortet einer der Männer nickend. Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich atme erleichtert auf. Der Mann begleitet mich sogar zurück zum Taxi, um zu schauen, ob wirklich alles in Ordnung ist.

Der Taxifahrer ist sehr überrascht, dass ich mir so Sorgen gemacht habe. „Marokkaner sind sehr nette Menschen“, sagt er und betont „Wir lieben Ausländer.“ Aber ich musste auf Nummer sichergehen und auf mein Bauchgefühl hören. Da haben einige Dinge einfach nicht gepasst – erst bekomme ich vermutlich 100 Euro zu viel Wechselgeld am Flughafen, dann fahren wir im Kreis durch ein dunkles Industriegebiet, wobei der Fahrer meinen Fragen ausweicht und eine (für mich) fadenscheinige Erklärung gibt, warum wir im Kreis fahren. Dazu kommt, dass es Mitternacht ist und ich in einem fremden Land bin und spreche kein Arabisch. Ich finde, das sind gute Gründe skeptisch zu sein.

Am Flughafen habe ich meinem Taxifahrer vertraut, denn er hat einen netten Eindruck gemacht, hilfsbereit und auskunftsfreudig. Aber diese Gegend, mit den Müllbergen, der Schotterstraße, der Dunkelheit und Abgelegenheit, dazu die Tatsache, dass wir in einem Kreis gefahren sind, haben mich alle einfach sehr, sehr stutzig gemacht. Warum ist die Polizeiwache überhaupt in einer vollkommen vermüllten Gegend, wenn sie doch für Ordnung sorgen soll? Jedenfalls kam mir in dieser Nacht alles wie der Schauplatz eines Krimis vor.

Aber da sich alles zum Guten hin aufgelöst hat, fahre ich weiter nach Meknès. Im Nachhinein erfahre ich, dass ein Taxifahrer in Marokko nur ein bestimmtes Revier befahren darf und bei größeren Strecken darüber hinaus zuerst eine polizeiliche Erlaubnis einholen muss.

Wir sind auf der Autobahn unterwegs, als plötzlich ein großer Straßenhund von links angeschossen kommt und vor das Auto springt. Der Taxifahrer weicht blitzschnell nach links aus und der Hund kommt noch knapp mit dem Leben davon. Die verbleibenden 50 km auf der Autobahn sind ruhig. Gegen ein Uhr komme ich in Meknès an, wo der Taxifahrer zweimal bei Passanten fragen muss, wo die Straße von Matthew ist. Er ist noch ohne Navi und Handy unterwegs.

Noch eine abschließende Bemerkung zum Verkehr. Um Mitternacht war auf der Autobahn ein Fahrradfahrer (ohne Lichter) unterwegs, Verkehrszeichen scheinen optional zu sein, jedenfalls für Motorräder, und man muss immer auf der Hut sein vor Menschen, die einfach über die Hauptstraße laufen, ohne nach links oder rechts zu schauen. Der Verkehr fließt wie es gerade die Umstände erlauben und nicht, wie es die Verkehrsregeln diktieren. Aber ich habe es sicher zu meinem Freund geschafft, und zu zweit sitzen wir noch lange gemeinsam auf dem Balkon, essen Pasta mit Pesto und unterhalten uns bis tief in die Nacht hinein. Marokko heißt Abenteuer, soviel weiß ich schon jetzt!

Tag 2: Meknès

Nachts kühlt es auf noch gerade so erträgliche Temperaturen ab, sodass noch um drei Uhr nachts von draußen Stimmen hochgeschwebt kommen zu uns in den dritten Stock. Marokko ist in der Hinsicht wie Spanien, nur noch extremer. Auch nachts bin ich immer von einem leichten Schweißfilm bedeckt. Aber ich wache immerhin auf, mit dem Gefühl einigermaßen erholt zu sein. Leider ist das bei Matthew an diesem Tag nicht der Fall. Er musste sich mehrmals erbrechen und fühlt sich gerade gar nicht gut – ausgerechnet am Tag vor unserer Abfahrt!

14:30

Inzwischen geht es Matthew etwas besser. Ich bin vormittags 3 Stunden durch Meknès spaziert und habe mich mit vielen Handwerkern unterhalten (oder auch nur zugeschaut, wenn sie kein Französisch konnten). Ich habe mich mit Mosaiklegern, Holzschnitzern und Schmuckschmieden unterhalten. In den Gassen der Altstadt, der Medina, gibt es auch Eisenarbeiter, Gewürzhändler und Metzger, die lebendige Hühner vor meinen Augen schlachten und rupfen. Und vieles mehr – es ist überall ein Hubel und Trubel, bunte Farben, neue Düfte und enge Gassen, in denen die Handwerker im Schatten sitzend oder in der Hocke ihrer Arbeit nachgehen. Meknès ist eine Stadt des Handwerks und noch weitestgehend unberührt vom Massentourismus, bestätigt mir später auch Matthew, der hier insgesamt über ein halbes Jahr gelebt hat.

An einem Stand, der Datteln in etlichen Varianten verkauft, spricht mich ein Mann auf sehr gutem Französisch an und gibt mir eine Dattel zum Probieren. Er nimmt mich mit und führt mich zu einem angeblich einzigartigen Kunstschmied, der aber, wie ich später erfahre, möglicherweise gar nicht so einzigartig ist. Hinten in der Ecke der Schmuckwerkstatt sitzt ein alter Mann und feilt an etwas Metall herum. Das sei der Vater des Besitzers, meint mein Fremdenführer. Vor einigen Jahren sei das Geschäft tragischerweise niedergebrannt und musste wieder aufgebaut werden.

Ob diese Erzählung der Wahrheit entspricht, bezweifle ich heute. Eher war es eine Geschichte, um mein Mitleid zu erwecken und mich zu einem größeren Kauf anzuregen. Ich vermute auch, dass mein selbsternannter Fremdenführer (der übrigens kein Geld wollte) am Verkauf in dem Schmuckladen mitverdient hat.  Jedenfalls verlasse ich die Werkstatt mit zwei kleinen Schmuckstücken. Ob die als Silber angepriesenen Ohrringe wirklich echt sind…? Es tut der Sache letztlich nichts.

Nachmittags bin ich mit Matthew zum Fahrradbasar gefahren, wo ich für umgerechnet 180 Euro ein Rennrad kaufen konnte. Ein Gepäckträger und zwei Ledertaschen haben noch einmal 40 Euro gekostet, sodass ich für 220 Euro ein voll ausgestattetes Fahrrad für unsere Reise nach Lissabon hatte.

Abends saß ich dann wieder mit Matthew auf dem Balkon, zusammen mit einem weiteren Amerikaner namens Stuart, der auch Arabisch studiert. Zusammen haben wir Kamillentee aus einer silbernen Teekanne getrunken, Gitarre gespielt und über den Islam sowie Matthew und Stuarts Erfahrungen mit der Strömung des Sufismus geredet. Matthew und Stuart berichteten von Moscheebesuchen, bei denen sie rauschhafte Feste, Mystik und Musik mit kollektiver Trance erlebten. „Und was sagen die Einheimischen, wenn einfach so zwei Amerikaner in der Moschee auftauchen?“, frage ich. „Meistens werden wir ignoriert, aber Arabisch hilft, um Eintritt zu bekommen. Dafür muss man das muslimische Glaubensbekenntnis sagen können.“

„Und was meinen eure amerikanischen Freunde, wenn sie erfahren, dass ihr zum Islam konvertiert seid?“, frage ich noch. Manche seien überrascht, andere sehr neugierig, aber die meisten wüssten es nicht. Stuart meint, „Die Entscheidung ist schwierig zu verstehen für jemanden, der sich noch nie mit dem Islam auseinandergesetzt hat und nur die Nachrichtenberichte kennt. Da ist es manchmal besser, man erwähnt es gar nicht.“

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