Wenn ich nichts von den Nachrichten, der Geschichte oder Sendungen wie Aktenzeichen XY wüsste, würde ich nach meiner Radtour sagen: „Der Mensch ist gut.“
Ich habe in fünf Monaten keinen einzigen Menschen getroffen, der mir schlecht gesinnt war.
Natürlich ist glasklar, dass eine so absolute Aussage wie „der Mensch ist gut“ nicht haltbar ist. Die meisten Menschen sind gut, aber eben nicht alle.
Trotzdem wird gerne generalisiert, und das aus gutem Grund. Man kann ohne Verallgemeinerungen nicht vernünftig reden. Ohne sie verliert die Sprache ihre Fähigkeit, effiziente Kommunikation zu ermöglichen.
Manchmal wird es aber problematisch mit dem Verallgemeinern. Schöne Beispiele sind Sätze, die beginnen mit: die Menschen, die Generation XYZ, die Jugend, Wir.
Dann ist die logische Frage: Wer ist gemeint mit „den Menschen, der Generation XYZ, der Jugend, wir“? Das ist nicht immer schnell getan – und wird oft bewusst vage gelassen.
Es wurden schon etliche Kriege geführt, um die Definition eines „wir“ zu klären.
Es gibt jugendhafte Rentner und greisenhafte Teenager.
Immer wenn von bestimmten Generationen und deren vermeintlichen Merkmalen die Rede ist, muss ich schmunzeln. Ich gehöre zur „Generation Z“, aber kann man aus diesem Wissen heraus meinen Charakter oder Werdegang vorhersagen? Eher nicht.
Man kann über die jeweiligen Einstellungen, Erlebnisse, Fähigkeiten und Freizeitaktivitäten viel mehr über jemanden erfahren, als über das Alter oder die Generation. Aber das erfordert Differenzierung, Zeit und Fingerspitzengefühl.
Allgemeine Aussagen sind leichter verdaulich und bleiben besser im Kopf haften – was allerdings zu Lasten der Präzision geht. Es ist die Frage nach dem Mähdrescher oder der Nagelschere.
Beim Schreiben über meine Erlebnisse ist die Nagelschere und nicht der Mähdrescher gefragt. Das muss ich mir immer wieder bewusst machen. Es passiert viel zu schnell, in eine verallgemeinernde Schreibweise abzugleiten. Doch damit könnte ich der Vielfalt, die ich erlebte, nicht annähernd gerecht werden.
Auf meiner Radtour habe ich viele Beobachtungen über mich und andere Menschen gemacht. Es gibt bestimmte Trends und Tendenzen, ja, aber auch gänzlich Unerwartetes.
Ich kann wiedergeben, was ich auf meiner Radtour über mich und andere gelernt habe. Doch daraus leiten sich noch keine allgemeinen Ratschläge ab. Was mir hilft, muss nicht zwangsläufig einem anderen helfen. Nicht jeder verträgt die gleichen Medikamente.
Nur einen Anstoß kann ich geben. Es geht darum, das Bewusstsein für bestimmte Fragen erst zu wecken.
Bei Friedrich Nietzsche heißt es: „Dem guten Frager ist schon halb geantwortet“.
Wie die andere Hälfte der Antwort aussieht, muss ein jeder selbst finden – auf welche Weise auch immer.