Geschichten aus der argentinischen Pampa (Teil 1)

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Meinen ersten Asado (argentinischer Grill) habe ich am zweiten Tag meiner Reise gegessen, auf einem Zeltplatz in San Antonio de Areco. Ich baute gerade mein Zelt ab und plötzlich war da Jose, ein 60-jähriger fahrradbegeisterter Mann aus Tigre in Buenos Aires. Zusammen mit Jose und seiner Familie erlebte ich zum ersten Mal die wundervolle Solidarität und Gastfreundschaft der Argentinier gegenüber einem vollkommen fremden Reisenden. Ich könnte sagen, es war der Ausgangspunkt einer Welle der Gastfreundschaft, die mich durch das gesamte argentinische Flachland getragen hat.

Ich schreibe diesen Text einen „Tagesritt“ entfernt von den Bergen, am 11. Dezember. Ich sitze dabei auf dem Sofa von Eduardo, der mich letzte Nacht in seinem Haus aufgenommen hat. Zumindest geographisch und topographisch leiten die Berge ein neues Kapitel in meiner Tour ein.

Ich trage gerade einige Geschichten zusammen, die mir meine Gastgeber erzählt haben. Fangen wir an mit Oscar und Andrea, meine Gastgeber der zweiten Nacht in einem kleinen Dorf namens Gahan.

Den ganzen Tag war ich auf staubigen Feldwegen unterwegs gewesen, als ich müde, aber glücklich zu dem 500-Seelen-Dorf kam. Ich fragte nach bei der Freiwilligen Feuerwehr, ob sie mich für die Nacht aufnehmen könnte. In Argentinien sind die Freiwilligen Feuerwehren, die Bomberos, stets eine gute Adresse. Dort schickte man mich zur örtlichen Kapelle, wo gerade eine Messe stattfand. Ich schlüpfe hinein, möglichst lautlos, und hörte bei den letzten 10 Minuten einer Kommunion zu. Natürlich bemerkten mich die Anwesenden, begrüßten mich mit einem Kopfnicken und musterten mich neugierig.

Nach der Messe lernte ich die Anwesenden kennen und zusammen überlegten wir, was wir denn mit dem „pobrecito“ (dem Bedürftigen/Armen, also mir) machen konnten. Der Pfarrer, Padre Carlitos, konnte kaum glauben, dass sich ein junger Bursche allein mit dem Fahrrad in das weite Argentinien stürzt. Er nannte mich immer wieder „pobrecito“ und fragte, fast mit einem Hauch von Verzweiflung, wie man denn mich, den armen Reisenden, unterbringen konnten.

Und da kamen Oscar und Andrea ins Spiel. Die beiden nahmen mich mit zu ihnen nach Hause. „Es ist ein armes Haus“, sagte mir Oscar beim Hereingehen. Tatsächlich glaube ich aber, dass es ein sehr reiches Haus war, was Großzügigkeit und Menschlichkeit anbelangt. Andere wohlhabendere Häuser sind da viel ärmer.

Oscar ist ein großer, stämmiger Mann, der gerne enthusiastisch und mit lauter Stimme redet. Andrea ist hingegen eine zierliche Frau mit einem freundlichen Lächeln und funkelnden Augen, die mit ruhiger Stimme spricht.

Beruflich ist Oscar mit Leib und Seele Lastwagenfahrer und zeigte mir sofort am Fernsehen Videos von den schönsten Straßen in Argentinien. Er erzählte mir von einem Tunnel unter dem Rio Paraná und zeigte mir ganz begeistert Aufnahmen von einer Autobahnbrücke, auf der gleichzeitig auch Güterzüge fahren.

Dabei erzählte mir Oscar auch von der harten Zeit, die seine Familie in den letzten drei Jahren durchgemacht hatte. Gerade zu Beginn der Pandemie, hatte Andrea eine Brustkrebsdiagnose erhalten. Die Behandlung war teuer und kostete mehr als die Familie hatte,

Für seine Frau verkaufte Oscar seinen geliebten Lastwagen, damit er die Operation bezahlen konnte. Andrea wurde erfolgreich operiert und hatte in den letzten drei Jahren zum Glück kein Rückfall. Und Oscar ist heute wieder stolzer Besitzer eines Lastwagens.

In diesem Lastwagen nimmt mich Oscar am nächsten Tag mit zum benachbarten Dorf. Das Fahrrad kommt in den Laderaum, und ich verabschiede mich von Andrea.

Kurz bevor wir das Dorf verlassen, müssen wir aber noch schnell eine Kehrtwende machen. Andrea rennt uns hinterher und ruft laut: „Oscar! Du hast deinen Mate vergessen!“

In ihren Händen hält sie ein Tablett mit einer Kanne mit heißem Wasser. Ohne Mate läuft in Argentinien nichts! Doch jetzt ist Oscar gut ausgestattet und die Fahrt kann losgehen! Im nächsten Dorf besuchen wir Padre Carlitos, den Pfarrer, und Oscar stellt mich enthusiastisch als seinen „jungen Milei“ vor. „Padre Carlitos, der junge Mann ist Ökonom! Unser eigener Milei!“

Padre Carlitos erwidert nur „Ich hoffe ja nicht.“

Später erzählt mir Carlitos, wie er sich Sorgen um die Armen, die Bedürftigen und die Kranken macht, die seiner Ansicht nach unter der neuen Regierung am meisten leiden werden.

Einige Tage später rufen mich Oscar und Andrea spontan an und fragen, wie es mir geht. Was für wunderbare Menschen es doch gibt. Ich konnte nach ihrem Anruf gar nicht aufhören zu lächeln.

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