Geschichten aus der argentinischen Pampa (Teil 4)

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La palta – die Avocado

Pascanas (Tag 8)

Diese Geschichte hat mir Fabiana, meine Gastgeberin in Pascanas, erzählt, während wir einen Salat mit Avocado zubereiteten.

Es geht um ihren Vater, der während der Pandemie verstorben ist.

„Mein Vater hatte immer einen grünen Daumen. Wenn er etwas gepflanzt hat, dann ist es gewachsen. Kennt ihr in Deutschland auch Avocados? Hier sind sie sehr teuer. Kaum jemand kann sich noch Avocados leisten, sie kosten einen Euro das Stück.“

„Mein Vater hat auch Avocados gezüchtet. Bei ihm sind sie gewachsen. Eines Tages pflanzte er einen Kern mitten in unserem Garten. Als mein Vater den Kern eingrub, sagte er: ,Der Tag, an dem dieser Baum seine erste Avocado trägt, ist der Tag, an dem ich sterben werde.‘“

„Im nächsten Jahr hatten wir ein zartes Bäumchen. Die Jahre vergingen und der Baum wuchs immer größer. Avocados hat er in all den Jahren nie getragen.“

„Eines Tages, kurz vor Neujahr, wurde mein Vaters plötzlich sehr krank und kurz darauf starb er.“

„Meine Schwester und ich standen zwei Tage später auf dem Balkon in unserem Elternhaus und schauten trauernd in die Äste des Avocadobaums, der uns an Papa erinnerte.“

„Plötzlich stieß meine Schwester einen lauten Schrei aus, sodass ich zusammenzuckte: ,Fabiana, da, siehst du! Eine Avocado!‘ Ich schaute in die Äste des Baumes und dort sah ich sie, eine Avocado, grün und plump.“

„Vater hatte recht. An dem Tag, an dem er starb, trug sein Avocadobaum seine ersten Früchte.“

„Es gibt Dinge im Leben, die können wir uns nicht erklären. Ich weiß nicht, wie es mein Vater wusste, oder woher seine Vorahnung kam. Aber wenn ich heute eine Avocado in der Hand halte, dann weiß ich, ich halte ein Stück von meinem Papa in meiner Hand. In der einen oder anderen Form leben wir weiter. Der Tod ist nicht das Ende.“

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