Geschichten aus der argentinischen Pampa (Teil 3)

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Heute bin ich viele Kilometer gefahren, mindestens 100, und habe eine Geschichte gehört, wie sie mir in dieser Form noch nie begegnet ist.

Es ist die Geschichte von Chichito.

Chichito treffe ich am Straßenrand in Cavanagh, einem kleinen Dorf, wo er wohnt und an diesem Abend mit seiner Familie und einem befreundeten Ehepaar am Straßenrand sitzt und Mate trinkt.

Chichito ist ein bulliger Mann, trägt ein rotes T-Shirt und hat ein freundliches Lächeln. Wir unterhalten uns eine gute Stunde und machen uns schließlich auf den Weg zu einen örtlichen Verein, auf dessen Wiese ich mein Zelt sicher aufstellen kann.

Auf dem Weg zu meinem Zeltplatz kommen wir an Chichitos Elternhaus vorbei und ich treffe sogar kurz Chichitos 87-jährigen Vater.

Am Zeltplatz unterhalten wir uns noch kurz über den Tag, wobei Chichito einen grübelnden Eindruck macht. Plötzlich scheint er Mut zu fassen und beginnt zu erzählen:

„Du weißt, der Mann, den du gerade getroffen hast, ist mein Adoptivvater, nicht mein richtiger Papa. Ich habe 2015 zum ersten Mal meine Mama, also meine wirkliche Mama, getroffen. Vorher kannte ich sie nicht.“

Als er kurz innehält, frage ich, „Und was war das für ein Gefühl? Das muss ja ungeheuerlich emotional gewesen sein.“

Chichito fasst sich mit der Hand ans Herz. „Mir war, als würde mein Herz explodieren. Ich dachte, ich würde sterben, aber Gott hatte wohl anderes mit mir vor. Es war unfassbar.“

„Wie kam es denn dazu, dass du nach so langer Zeit deine Mama gesucht hast?“, frage ich.

„Es war meine Nena, meine Tochter“, erzählte Chichito, „die alles ins Rollen gebracht hat. Sie hatte Probleme mit der Psyche, war unkonzentriert und hatte plötzliche emotionale Ausbrüche. Ich bin mit ihr zum Psychologen gegangen – der hat gesagt, sie müsse Tabletten nehmen. Das fand ich natürlich gar nicht gut. Er hat sie nicht mal richtig untersucht.

Dann bin ich zu einem anderen Arzt gegangen. Und er meinte das gleiche. Da bin ich so ausgerastet, dass ich den Arzt verprügeln wollte. Und da wurde mir klar, da fragte ich mich: „Mann, was stimmt nicht mit dir?“ Ich meinte dann zum Arzt, „Ich glaube, ich brauche den Termin und nicht meine Tochter.“

Der Arzt unterhielt sich ein bisschen mit mir und ich erzählte, dass ich ein Adoptivkind bin, dass ich meine Mutter nicht kenne. Daraufhin sagte der Arzt, dass ich meine Probleme nur dann lösen kann, wenn ich meine Mutter finde. Wenn ich mit ihr rede und eine Verbindung zu meinen Wurzeln wiederherstelle.

Ich war wie ein Besessener. Meine Adoptivmutter half mir, denn sie hatte noch eine alte Adresse von meiner richtigen Mutter. Ich ging dorthin, doch es öffnete eine andere Frau die Tür. Da brach meine Welt wieder zusammen. Ich kam frühs nicht mehr aus dem Bett, ich war am Abgrund. Meine Mutter war umgezogen und ich dachte, ich würde sie nie finden.

Doch dann machte meine Mutter eine Verwandte ausfindig, eine Anwältin, und die konnte in das Wohnregister der Region einsehen. Dort fanden wir dann auch nach langem Suchen meine Mama.

Chichito zeigt mir auf seinem Handy ein Foto von seiner Mutter, auf dem sie am Strand liegt und in die Kamera lächelt. „Das ist sie“, meint er zu mir. „Meine Mama.“

„Sie war Landarbeiterin“, erzählt Chichito.

Als sie mit mir schwanger wurde, stellte sie ihr Patron, ihr Chef, vor die Wahl. Ihre Arbeit oder ihr Baby. Arbeit mit Baby, das ginge nicht. Und so kam ich mit nur einem Tag zu meinen Adoptiveltern. Das waren noch andere Zeiten.

Ich werde den Moment nie vergessen, wo ich meine Mutter wieder getroffen habe. Für sie war es genauso intensiv. Ich habe meine Wurzeln gefunden, ich habe meine Familie gefunden und es geht mir wieder gut.

Und weißt du was? Meine Tochter ist auch wieder gesund und das ganz ohne Tabletten zu schlucken. Der Mensch braucht seine Wurzeln.

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