Tag 89: Wahrnehmung und deren Folgen

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Heute geht es wieder los! Nach zwei wunderschönen Tagen direkt am Meer in Vale da Telha werde ich nun in Richtung Cabo de São Vicente fahren. Josef hat einen Arzttermin, deshalb verabschieden wir uns schon vorher.

Als ich losfahre merke ich, wie in meinem Kopf noch alles rumschwirrt. Die Umgebung, die an mir vorbeizieht, nehme ich kaum wahr. Es kommt mir vor, als würde ich einen Film bei schlechtem Empfang schauen. Alles ist abgehakt und der Film springt von einer Szene zur nächsten.

Nach einigen Kilometern legt sich das Gefühl, und die Augen und der Kopf haben sich wieder an die stetige Bewegung gewohnt. Jetzt nehme ich die Umgebung wieder flüssig wahr, und die Pinienwälder links und rechts ziehen gleichmäßig an mir vorbei. Meine Aufmerksamkeit gilt nicht mehr dem Stetigen, sondern der Veränderung. Statt einen Baum als statischen Gegenstand wahrzunehmen, nehme ich stärker seine Bewegung durch mein Blickfeld wahr.

Ein Blick auf die Dynamik von Entwicklungen werfen wir im Alltag noch zu selten. Wir richten die Aufmerksamkeit auf statische Zustände, und ignorieren die Richtung der Veränderung. Ein Beispiel wäre, wenn man sagt, dass Afrika medizinisch rückständig ist, weil die Lebenserwartung sehr niedrig ist.

Würde man die Veränderung betrachten, würde man sehen, dass sich die Lebenserwartung in Afrika in den letzten fünf Jahrzehnten um fast 20 Jahre erhöht hat (auf etwa 64 Jahre).

Ja, das ist immer noch die niedrigste Lebenserwartung von allen Kontinenten, aber es zeigt sich: im Großen und Ganzen gab es einen immensen Fortschritt.

Der Fokus auf statische Zustände lässt sich leicht begründen: wir wollen schließlich jeden Abend die Nachrichten sehen. Mithilfe von Livetickern und sozialen Medien wurde die Nachrichtendichte nochmals gesteigert bis ins Sekündliche. Über Entwicklungen ließe sich allerdings höchstens einmal in der Woche berichten, oder gar nur alle paar Jahre bei langfristigen Veränderungen. Das würde aber unseren aufgeblähten Ansprüchen als Nachrichtenkonsumenten nicht gerecht. Und weil es zu jeder Entwicklung unendlich viele statische Zustände gibt, wird eben über diese berichtet – mit Konsequenzen.

Der statische Blick verkennt die Richtung eine Entwicklung, sei sie gut oder schlecht. Ohne Richtung fehlt uns aber genau das, was in einer komplexen Welt mit am wichtigsten ist: die Orientierung.

Um 13:00 Uhr mache ich eine Pause im Schatten einer Pinie. Die Strecke ist zunehmend sandiger geworden, und mittlerweile sinken meine Reifen so tief ein, dass ich einen Schlingerkurs fahre und ständig davon bedroht bin, in die eine oder andere Richtung wegzurutschen.

20:00

Um 20:00 Uhr schlage ich mein Zelt auf einem abgeernteten Feld auf. Hier ist es sehr ruhig. Während ich mein Abendessen genieße, erscheinen langsam die Sterne am Himmel. Sie sind die funkelnden Zuhörer der Grillen, die ein mächtiges Konzert geben.

Ich telefoniere noch ein bisschen herum, und lege mich dann schlafen. Gute Nacht!

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