Tag 126: Spitzkehren und Berufswünsche

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Auf dem Fußballplatz hat mich niemand gestört, und so fahre ich gut gelaunt um 8:00 Uhr los. In einer Bäckerei esse ich zum Frühstück ein Croissant und ein Stück Flan.

Direkt hinter Aurillac fangen absolut traumhafte Bergstraßen an. Schmal und glatt geteert, winden sich die Straßen gemächlich den Berg hinauf. Die Sonne scheint, der Wind weht, und die Temperatur ist perfekt. Es ist frisch, wenn man stehen bleibt, aber umso angenehmer bei Anstrengung.

An einem Bauernhofsladen kaufe ich ein Stück Käse und einen Honig. Eine Kundin, die vor mir denselben Käse kauft, fragt, ob er scharf sei. Der Bauer – ein großer Mann mit einem Hals wie ein Bulle – erklärt, dass es ein Zeichen von schlechter Qualität sei, wenn ein Käse scharf schmeckt. „Wenn man es richtig macht, bilden die Bakterienkulturen nur wohlschmeckende Aromen“, erzählt er.

Vom Hof aus windet sich die Straße über eine Strecke von 11 km bis auf 1589 m hoch. Am Fuße des Berges überholt mich ein Schwertransporter. „Was will der denn auf der Passstraße?“, frage ich mich.

Wenige Kilometer später, steht der LKW vor einer engen Spitzkehre am Straßenrand. Mit dem riesigen Metallträger im Schlepptau kommt er nicht um die Kurve.

Der Fahrer telefoniert aufgeregt auf der anderen Straßenseite, und fuchtelt dabei wild mit den Händen. Ich verstehe nicht, was er sagt, aber bestimmt regt er sich über sein Navi auf. Auf der Straße kann er nirgends wenden. Er wird wohl im Rückwärtsgang runterfahren müssen. Ob das gut geht? Bei dem Verkehr bestimmt nicht. Wahrscheinlich muss er bis zur Nacht warten…

Am Gipfel ist recht viel los, doch alles hält sich in Grenzen. Es ist eine typische Bergalm. Natürlich sind dort meine Federn wieder die Hauptattraktion. „Guck mal Mama! Guck mal Mama!“, schreit ein kleiner Junge ganz aufgeregt: „Die Federn!“. Das hätte auch ein kleiner Lukas sein können!

Das Zentralmassiv ist wie eine große Krake aufgebaut. In der Mitte gibt es die höchsten Berge, und von diesem Mittelpunkt erstrecken sich in alle Richtungen Bergkämme wie Tentakeln. Man merkt, dass das Zentralmassiv ein ehemaliger Vulkan ist, der durch Erosion langsam in eine Landschaft aus Tälern und Bergen verwandelt wurde.

Da Vulkangestein ist hart und scharfkantig, doch es ist nicht der Grund für meinen zweiten Platten der Tour. Den bekomme ich auf eine steilen, rollsplitbedeckten Abfahrt. Die Felge wird so heiß, dass mein altersschwacher Schlauch an einer anfälligen Stelle ein Loch bekommt.

Die Geschichte hat auch ihre gute Seite, denn während ich den Schlauch flicke, lerne ich Madame Victor kennen. Madame Victor ist eine elegante Dame höheren Alters, die normalerweise in Paris wohnt. Im August und September bewohnt sie allerdings immer das efeubewachsene Haus ihrer Großeltern. Sie wird meine Gastgeberin für die Nacht werden.

Über die Frage, was ich studiere, kommen wir auf den Mangel an bestimmten Fachkräften zu sprechen. „Es hapert am Ansehen und der Wertschätzung“, meint Frau Victor überzeugt. „Stell dir mal vor, du würdest Klempner werden. Da würde doch erst mal deine Verwandtschaft schlucken, oder?“

„Vermutlich schon“, sage ich. „Das würde sie zumindest total überrumpeln. Ich denke, von der Gesellschaft gibt es einfach die Erwartung, dass man studiert, wenn man die Möglichkeit dazu hat.“

„Ich habe in der Verwandtschaft ein gutes Beispiel“, erzählt Madame Victor. „Meine Großnichte war Jahrgangsbeste auf ihrem Pariser Gymnasium, aber sie will Kindergärtnerin werden. Ihre Familie ist davon überhaupt nicht begeistert. Indirekt wird immer so getan, als ob sie etwas macht, was unter ihrer Würde ist.“

„Dann hat sie aber einen starken Willen, dass sie es trotzdem durchzieht. Sie muss es wirklich wollen.“, sage ich.

„Ja, so ist es“, stimmt Madame Victor zu. „Wir arbeiten so viele Jahre, dass es doch töricht wäre, etwas zu tun, was vielleicht die Familie zufriedenstellt, aber einem selbst keine Freude macht!“

Während wir uns unterhalten, serviert mir Madame Victor frische Gartentomaten, einen Schafskäse von einem Bauernhof und selbstgemachte Vollkorncrêpes.

„Auf die Crêpes kannst du den Honig dort schmieren“, schlägt mir Madame Victor vor. „Es ist ein Waldhonig von einem Imker, der hier oben auf dem Berg wohnt. Ich habe ihn heute gekauft.“

„Oh, das ist aber gefährlich“, warne ich. „Mein Magen ist ein schwarzes Loch, was den Honig betrifft!“

„Ach, das macht nichts! Ich freue mich, wenn es dir schmeckt!“

Mir schmeckt es tatsächlich ausgezeichnet. Später schauen wir noch eine Sendung über das französische Jura. Müde und wohl genährt plumpse ich gegen 23:00 in mein Zelt. Dieses steht auf einer kleinen Wiese direkt neben der Pferdekoppel, die das Haus von drei Seiten umgibt. Ohne jeden Zweifel werde ich schlafen wie ein Stein. Bis Morgen!

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