Die drei Tage in Bad Kreuznach vergehen wie im Flug. Die Abende waren heiter und vollgepackt mit lustigen Spielen und Unterhaltungen. Auf dem Frühstückstisch stand immer ein köstlicher Honig. Doch nicht nur ich, sondern auch die Wespen fanden den Honig sehr verlockend.
Die Lösung sieht so aus: Ein kleiner Teller mit Weißtannenhonig nur für die Wespen. Das Verhalten der Wespen auf dem Honigteller ist faszinierend. Mal speisen bis zu sechs Wespen harmonisch nebeneinander, dann kommt plötzlich ein Rüpel dazu und Chaos bricht aus. Alle Wespen schwirren wutentbrannt und hektisch durch die Luft.
Teils wälzen sich zwei der stechenden Insekten in einem augenscheinlichen Todeskampf. Setzt man den Teller an eine andere Stelle, summen alle Wespen erregt und konfus umher.
Ich bin mir sicher, würde ein Außerirdischer uns Menschen betrachten, würde er ähnliche Verhaltensmuster feststellen. Bei unvorhergesehenen Veränderungen rennen wir wie geköpfte Hühner durch die Gegend. Zustände der Stabilität können auch bei uns durch kleinste Veränderungen zerbrechen.
Doch nicht nur Wespen, sondern auch Rehe bieten ein gutes Schauspiel. Einmal überspringen zwei Rehe sogar keck den Gartenzaun. Dass wir gerade beim Frühstück sind, scheint den Rehbock und das junge Reh nicht zu stören. Sie schauen uns aus etwa 5 m Entfernung neugierig an. „Langweilig!“, scheinen sie sich zu denken. Mit einem federnden Satz katapultieren sich der Rehbock und seine Gefährten in den Nachbargarten.
Als ich Montagmorgen wieder auf das Fahrrad steige, fühlen sich meine Beine spritzig und energiegeladen an. Es ist beeindruckend, was eine Pause für die Regeneration bewirken kann.
Zu meinen Großeltern nach Usingen sind es etwa 110 km. Ausgestattet mit Apfelringen, Knusperkeksen und belegten Broten fahre ich unter einem bedeckten Himmel los.
Zunächst durchkreuze ich die Weinberge der umliegenden Dörfer. Im Örtchen Welgesheim lese ich auf einem Schild von einer lustigen Geschichte.
„Die Geschichte von Napoleons Schnupftabakdose“, steht auf dem Kunststoffschild geschrieben.
„Was sich dahinter wohl verbirgt?“, frage ich mich. Ich fange an zu lesen:
Als Napoleons Tross raubend und plündernd durch das Rheinland zog, blieb der Karren des französischen Kaisers im Schlamm stecken. Keiner schaffte es, ihn zu befreien.
Die Einwohner der umliegenden Dörfer verschanzten sich aus Angst vor Napoleon in ihren Häusern. Nur ein Bewohner brachte den Mut auf, dem französischen Kaiser gegenüberzutreten. Mit seiner Hilfe wurde schließlich Napoleons Karren aus dem Dreck gezogen. Zum Dank gab Napoleon den mutigen Mann eine seiner Schnupftabakdosen. Bis heute befindet sie sich im Besitz der Familie.
Eine schöne Geschichte, nicht wahr?
Weiter geht es über den Rhein mit der Fähre bei Ingelheim. Hier beobachte ich zwei Kameraleute vom Fernsehen, die einen Film von der Fähre beim niedrigen Wasserstand drehen.
Auf der anderen Seite des Rheins fahre ich auf die Höhe. Hier treffe ich auf den Rhein-Taunus Höhenweg. Die Strecke führt mich auf Schotter und Waldpisten fast bis Königstein.
Von hier fahre ich auf altbekannten Waldwegen zum Roten Kreuz, eine Gaststätte in der Nähe vom großen Feldberg. Zu meinen Großeltern sind es jetzt nur noch 20 km. Sie vergehen wie im Zeitraffer. Schon fahre ich am Hattsteinweiher vorbei.
5 Minuten später lehne ich mein Fahrrad an den schattenspendenden Nussbaum im Garten. Nach etwa 20 Wochen im Sattel bin ich wieder in Usingen bei meinen Großeltern. Was für ein schönes Gefühl!