Tag 40: Was eine Nacht!

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6:40

Was für eine Nacht! Ich habe vielleicht vier Stunden geschlafen. Das ständige Rauschen der Autobahn war nur das kleinste Übel. Immer wieder fuhren Autos auf den Parkplatz, und die Scheinwerfer machten in meinem Zelt die Nacht zum Tag. Gegen 23 Uhr fährt ein Auto gerade als ich endlich am Wegdösen war ganz nahe an das Zelt und hupt vier Mal. Da habe ich mich erschrocken! Um Mitternacht kommt es dann noch besser. Irgendein Irrer läuft vorbei und schreit alle 20 Sekunden wie bescheuert irgendein Wort. Um 1:30 kommt eine Gruppe Jugendlicher, die eine Nachtwanderung machen und denen nichts Besseres einfällt, als mit ihrer Taschenlampe ausgiebig das Zelt abzuleuchten. Schließlich, um 2:30 kommt der Irre wieder vorbei. Man hört ihn schon von Weitem kommen. Hoffentlich sieht er nicht das Zelt….

Dann ist Ruhe – jedenfalls bin ich danach endlich eingeschlafen. Viel mehr Spannung – und ich bin ehrlich, auch Angst – möchte ich nicht haben. Eine Erfahrung, aber keine zum Wiederholen.

…Oh ja, das Schlimmste habe ich beinahe vergessen. Eine Mücke hatte ich auch noch im Zelt!

10:00

Frühstück! Die ersten 20 km bin ich auf leerem Magen gefahren, deshalb freue ich mich jetzt umso mehr etwas zu essen. Neben meiner Bank streicht ein Mann eine Hauswand und hört dabei Radio. Das interessante dabei ist: Er hört deutsches Radio!

„Sprechen Sie Deutsch?“, frage ich den Mann.

„Nein“, antwortet er und lacht. „Ich dachte es wäre Holländisch!“

„Ja, das kann man schonmal verwechseln“, pflichte ich bei.

Der Moderator erzählt, dass Deutschland ein Ölembargo gegen Russland unterstützen würde.  Dann wird wieder Musik gespielt.

„Ich höre diesen Sender immer, weil da die Musik einfach besser ist“, erzählt mir der Mann.

„Von wo kommst du“, fragt er mich.

„Aus Deutschland. Deshalb habe ich auch die Sprache vom Radio erkannt.“

„Ah, das erklärt’s“, der Mann nickt und fragt dann: „Bist du alles mit dem Fahrrad gefahren?“

„Ja, alles nur Muskelkraft!“

„Unglaublich!“, staunt er, „Wohin soll es noch gehen?“

„Mein nächster Zwischenstopp ist bei meiner Tante in Barcelona“, erzähle ich. „Aber ich möchte auch noch Verwandte in Lissabon besuchen.“

„Wow! Tolle Sache“, sagt den Mann, und wünscht mir eine gute Weiterfahrt.

14:00

Ich sitze auf einer Bank sechs Kilometer hinter Girona. Dort hatte ich nämlich die letzten zwei Stunden verbracht. Zuerst fand ich gar nicht die Innenstadt. Ich fuhr durch einen endlosen Kleiderflohmarkt. Jetzt weiß ich, wo die Klamotten aus unseren Altkleidersammlungen landen. Für 3€ konnte man sich jedes erdenkliche Kleidungsstück, von der Jeans bis zur Jacke kaufen.

Nach dem Kleiderflohmarkt fuhr ich durch lange Schluchten aus Wohnblocks. Überall in der Stadt hängen Fahnen auf denen “Freiheit für Katalonien” und andere Separatisten-Sprüche stehen. Auch sonst sind an den Häusern auffallend viele katalonische Flaggen zu sehen; spanische Flaggen tauchen hingegen fast nie auf. Eindeutig lodert die Separatistenbewegung nach wie vor in Katalonien.

Schließlich finde ich in Girona die Altstadt, und damit auch das Café von Jan Frodeno – ein Athlet, der mich ziemlich beeindruckt. Im Café esse ich einen Zitronenkuchen und mache ein Foto vor dem Fahrrad, auf dem Frodeno den Ironman auf Hawaii 2019 gewonnen hat. Dann steige ich auf den eigenen Drahtesel und mache mich auf die Weiterfahrt.

20:30

Mein Schlafplatz für die heutige Nacht ist genau das Gegenteil zum Gestrigen. Ruhig, abgelegen und gemütlich – ich weiß jetzt schon, dass diese Nacht besser wird! Der Boden aus Kiefernnadeln ist weich und nachgiebig. Ich werde schlafen wie ein König!

Heute bin ich etwa 110 km gefahren, was auf den Strecken um Girona auch ein Vergnügen war. Ich verstehe, warum es Radfahrer aus der ganzen Welt in diese Stadt zieht. Die Straßen sind relativ breit, der Asphalt hat kaum rollwiderstand und man hat eine Auswahl an Nationalparks, die man entdecken kann. Ziemlich viele Gründe, warum Zweirad-Freaks diese Stadt lieben.

Allerdings hat sich durch die vielen internationalen Gäste auch der Charakter des Ortes verändert. Die Preise sind angestiegen und die normale Mittelschicht wird zunehmend aus dem Kerngebiet der Stadt verdrängt – Gentrifizierung aus dem Bilderbuch. Sowieso lebt die typische spanische Mittelklassen-Familie nicht in einem Einfamilienhaus, sondern in großen Wohnblocks, wo ganze Familien oft nur sehr kleine Appartements haben. Davon gibt es auch in Girona eine ganze Menge.

Ich muss mir allerdings keine Sorgen um teure Mieten machen, denn ich schlafe heute Nacht kostenlos. Mein Abendessen habe ich auch schon genossen, nun fehlt nur noch ein guter und erholsamer(!) Schlaf. Gute Nacht und bis morgen!

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