Tag 56: Pamplona, Reisen und die Linguistik

  • 16 mins read
  • Published

Abends habe ich mich noch spontan entschieden meine Route zu verändern und Pamplona anzufahren. Das wurde mir von mehreren Menschen sehr ans Herz gelegt, und den „Locals“ (Einheimischen) sollte man vertrauen.

Also baue ich gegen 8:30 Uhr das Zelt ab und schwinge mich auf den Drahtesel. Ich fahre durch eine Hügellandschaft, wo die Anstiege zwar nicht lang sind, dafür aber bestialisch steil. 15% ist die Norm und nicht die Ausnahme. Dazu verlaufen die Wege oft auf Schotter, was die Herausforderung noch einmal steigert.

In der Hitze schwitze ich ziemlich, doch ich denke den Pilgern, die mir in Scharen entgegenkommen, ergeht es schlechter. Schließlich dauert es für sie viel länger, um von einem rettenden Trinkbrunnen zum nächsten zu kommen.

Einen etwas längeren Anstieg auf einer Bundesstraße muss ich noch bewältigen, dann fällt mein Blick auf Pamplona. Pamplona ist umgeben von Bergen, die bis zu 1300m hoch sind. Mir fällt schon von oben auf, wie grün die Stadt wirkt. Und tatsächlich, in der Stadt finde ich schnell einen großen, schattigen Park bei der Zitadelle.

Dort setze ich mich auf eine Bank im Schatten und mache Picknick. Zu meinem Baguette gibt es Hummus und Iberico Schinken. Mir ist schon im Supermarkt aufgefallen, das ist dort Serrano Schinken und Iberico Schinken zu kaufen gibt. Erstmal fällt mir nur der Unterschied in der Farbe und im Preis auf: der Iberico ist wesentlich dunkler und etwa zwei bis viermal so teuer wie der Serrano Schinken.

Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Sorten liegt in der Schweinsrasse, von der das Fleisch stammt. Während das normale, weiße Hausschwein für den Serrano Schinken herhalten muss, darf Iberico nur aus iberischen Schweinen hergestellt werden. Dabei muss das Schwein zu mindestens 75% dieser Rasse angehören, die gekennzeichnet ist durch ein dunkleres Fell, dunkleres Fleisch und deutlich seltener ist als das herkömmliche Schwein.

Bis zu drei Jahre wird der Schinken gereift – zunächst drei Monate an der freien Luft, dann in den Kellern der herstellenden Bodegas. Das kräftige, nussige Aroma des Ibericus stammt hauptsächlich aus der Nahrung der Schweine und wird durch die Reifezeit noch einmal verstärkt.

Drei Klassen von Iberico Schinken gibt es: die höchste, wo der Schinken von freilaufenden Schweinen, die sich hauptsächlich von Eicheln ernähren, stammt. Dann eine Klasse, wo die Schweine zwar Auslauf bekommen, aber ihre Nahrung hauptsächlich aus Tiermast besteht, wo Eicheln hinzugefügt werden. Und schließlich eine Qualitätsstufe, wo sich die Schweine ausschließlich von der herkömmlichen Mast ernähren und dazu auch im Stall gehalten werden.

Ich genieße das köstliche Mittagessen. Darüber hinaus ist Schinken auch ein guter Salzlieferant – was bei den erzeugten Schweißmengen sicherlich nicht verkehrt ist!

Im Laufe des Nachmittags, wird der Wind kräftiger. Nach dem Picknick breite ich ein Handtuch auf der Wiese aus und mache einen Mittagsschlaf.

An dieser Stelle, wo ich jetzt so friedlich schlafe, marschierten in früheren Jahrhunderten Armeen und wurden Schlachten gefochten. Gegründet wurde Pamplona 74 v.Chr. durch den römischen General Gnaius Pompeius. Der ursprüngliche Name Pompeiopolis wurde allerdings schnell durch den etwas markigeren Namen Pompaelo ersetzt. Hieraus entstand später der heute geltende Name Pamplona.

Als Tor zu den Pyrenäen und befestigte Stadt, war Pamplona über Jahrhunderte ein strategisch wichtiger Ort für militärische Feldzüge. Entsprechend ist die Stadt auch mehrfach Eroberungen zum Opfer gefallen. Mit dem Bruch des römischen Reiches, übernahmen um etwa 400 n.Chr. die Westgoten. Diese wurden schon 150 Jahre später von den Franken geschlagen.

Die Franken (=die Kühnen/Mutigen) waren um das Jahr 500 von dem Merowinger Chlodwig vereint worden zu einem Großreich, mit der Hauptstadt Paris. Zuvor waren sie verschiedene Stämme, die in der Gegend um den Rhein herum gelebt haben und ihr östlichstes Gebiet im Raum des heutigen Franken hatten.

Unter Karl dem Großen erreichte das Frankenreich seine größte Ausdehnung. 778 unternahm Karl der Große einen Feldzug über die Pyrenäen um seinen Einflussbereich in Nordspanien auszudehnen. Zu diesem Angriff wurde er förmlich eingeladen von den abtrünnigen arabischen Stadthaltern der nördlichen Provinzen, die sich Unterstützung gegen den Emir von Córdoba erhofften.

Die arabischen Fürsten hatten allerdings bald bedenken, als sie bemerkten, dass Karl der Große in den eroberten Städten christliche Stadthalter einsetzte. Sie stellten sich nun gegen Karl den Großen, der, nicht vorbereitet auf eine Stadtbelagerung, den Rückzug antreten musste. Um zu verhindern, dass eine Stadtfestung ihn im Rücken liegt, ließ er die Mauern von Pamplona zerstören. Allerdings würden die Basken diese Entscheidung noch rächen.

Beim Überqueren der Pyrenäen bei Roncesvalles überfiel ein baskisches Heer die Nachhut Karl des Großen in einer engen Schlucht. Abgeschnitten vom Hauptteil der Armee, wurde die Nachhut bis auf den letzten Mann niedergemetzelt. Im kollektiven Gedächtnis des Frankenreichs wurde die Schlacht zu einem entscheidenden Ereignis.  Der getötete Graf von der Bretonischen Mark, Roland, wurde zum Märtyrer im Kampf gegen die Heiden hochstilisiert und im Rolandslied verewigt. Die Schlacht von Roncesvalles wurde später als vorgezogener Kreuzzug gedeutet, das Rolandslied entwickelte sich zu einem wichtigen Stimmungsmacher der Kreuzzüge – und trug als Art Nationalepos in der Zeit um 1900 zur Schaffung eines starken Nationalgefühls in Frankreich bei.

Viele Fäden der europäischen Geschichte laufen also nahe Pamplona zusammen.  Seit dem 11. Jahrhundert laufen auch viele Pilger durch Pamplona, die der Stadt einen großen Wohlstand bescheren. Auch heute noch durchquert der Jakobsweg Pamplona.

Unter anderem treffe ich in Pamplona ein Ehepaar aus Eindhoven und eine Frau aus Appeldorn, die mit dem Rad den pilgerradweg von den Niederlanden aus gefahren ist. Wie ich ist sie am 15 März aufgebrochen, doch sie befand sich bereits auf dem Rückweg.

Von Pamplona fahre ich noch 20 km, bis zu einem kleinen Dorf, wo Zian wohnt. Bei Zian werde ich übernachten.

Zian ist Bergsteiger und Radfahrer, hauptberuflich allerdings Lehrer in der Vorschule.

Gleich zu Beginn erzählt er mir eine Geschichte von seinem Arbeitstag. „Heute war ich mit meiner Klasse in der Stadt spazieren. Doch zwei von meinem Schülern, Lea und Marco, fanden das nicht so interessant und sind weggerannt. Ich dachte die Warten an der nächsten Ecke auf uns, doch als wir dort ankamen waren sie weit und breit nicht zu sehen!“

„Oje!“

„Ja das dachte ich mir auch, also ließ ich meine Klasse mit einem anderen Lehrer weiterlaufen und fing an den ganzen Ort nach Lea und Marco abzusuchen. Nach zwei oder drei Kilometern finde ich sie endlich, kann die kleinen Schlitzohren packen und sie zurück zur Schule bringen.“

Dann ging Zian zurück zum Rest der Klasse, der gerade im Park spielte. Dort kommt zufälligerweise die Mutter von Lea vorbei und sagt: „Wie schön die Kinder spielen! Ich komme gerade von der Arbeit und wollte meine Tochter abholen. Wo ist sie denn?“

„Das war unangenehm, dann zu erklären, dass ihre Tochter abgehauen sei und jetzt in der Schule sitzt“, erzählt Zian. „Aber so sieht mein Alltag aus. Ich schlag dir was vor. Ich fahre morgen auf deinem Fahrrad weiter, und du gehst in die Schule als Lehrer! Abgemacht?“

Haha, muss ich lachen. Zian ist echt ein lustiger Kerl. Und richtige Abenteuer hat er auch schon unternommen. Er ist 6 Monate mit dem Fahrrad durch Osteuropa gefahren und ebenso sechs Monate durch das Himalaya.

„Unglaublich“, sage ich. „Wie hoch bist du dort gefahren?“

„Der höchste Pass war 5300 m.“

„Und hat man da keine Probleme mit der Luft?“

„Nein, ich hatte überhaupt keine Probleme. Ich bin ja über zwei Wochen auf die Höhe hinauf gefahren, und der Körper hatte Zeit sich zu akklimatisieren. Außerdem schläft man ja auch nicht auf 5300!“

„Das ist echt beeindruckend, da kann ich mit meinem 1500m nicht mithalten!“

„Auf dem Rückweg kannst du ja durch die Pyrenäen fahren und dort zumindest die 2000 knacken“, schlägt Zian vor.

„Ja. Wie war es denn mit dem Essen in Indien?“, frage ich.

„Ich hatte nie Probleme. In den Städten muss man vorsichtig sein, aber auf dem Land habe ich alles gegessen und das Essen war lecker und günstig. Ja, ich habe gut gegessen! Viel Reis und Gemüse.“

„Und wärst du weiter gefahren nach den 6 Monaten?“, frage ich.

„Ja sehr gerne! Aber ich kann mir immer nur sechs Monate frei nehmen, und dann muss ich wieder mindestens ein halbes Jahr arbeiten.”

„Das sind ja trotzdem relativ großzügige Bedingungen“, sage ich. Das könnte ich mir auch vorstellen!

Wir essen bei unserem Gespräch einen Salat mit roter Beete, dazu eine traditionelle Tortilla. Köstlich!

„Hast du einen Kocher dabei?“, fragt Zian mich.

“Nein, ich bin auf dieser Reise tatsächlich ohne unterwegs. Ich wollte leicht unterwegs sein und hatte keine Lust alle zwei Wochen nach einem Geschäft zu suchen, wo ich Gas nachkaufen kann. Außerdem hatte ich in der Vergangenheit Probleme, dass das Gas ausgelaufen ist und dann alle meine Klamotten nach Gas gestunken haben… Und ehrlich gesagt will ich bei Regen und Schnee auch nicht noch länger draußen sitzen müssen, um mir schlechte Nudeln zu kochen.“

„Verstehe. Aber was isst du denn? Du musst ja auch etwas richtiges warmes Essen, Reis, Nudeln oder so etwas. Also für mich gehört ein Kocher absolut zum Essenziellen!“

„Zum Frühstück gibt es Müsli mit Joghurt und Nüssen, tagsüber esse ich Obst, Müsliriegel, Kekse oder Schokolade und abends gibt es Brotzeit mit Käse, Schinken und Hummus. Klar, das Gemüse kommt etwas zu kurz aber mit meiner Energie habe ich noch nie Probleme gehabt!“

Zian kann es immer noch nicht ganz glauben, dass ich ohne Kocher unterwegs bin. Aber er gibt sich geschlagen: „Na ja, du bist jung. Da verträgt das der Körper noch.“

„Aber wenn du in Zukunft doch wieder mit Kocher unterwegs bist: Couscous ist mein Geheimtipp! Man muss nur Wasser warm machen und dann den Couscous reinschmeißen, das geht viel schneller als Nudeln oder Reis und braucht deshalb auch weniger Gas“, sagt Zian.

Später kommt noch Paula vorbei, eine Freundin von Zian. Als Paula hört, dass ich aus Deutschland komme, sagt sie: „Ich habe auch einige Zeit in Deutschland gelebt. Dort habe ich über Erasmus studiert.“

„Was hast du für ein Fach studiert?“, frage ich.

„Ich habe erst eine Ausbildung zur Übersetzerin gemacht. Aber später habe ich noch ein Studium der Soziolinguistik gemacht. Dort habe ich vor einigen Jahren auch eine Doktorarbeit geschrieben.“

„Klingt spannend! Womit beschäftigt man sich denn in der Soziologistik?“

„Also einfach gesagt schaut man, wie Sprache die Gesellschaft beeinflusst und wie die Gesellschaft Sprache beeinflusst. Es gibt da Überschneidungsbereiche mit der Anthropologie, der Psychologie, der Bildungswissenschaft und der historischen Linguistik.“

„Spannend, spannend! Und du kommst sogar aus der richtigen Ecke in Europa. Das Baskenland muss ja ein wahres Eldorado sein für Sprachforscher!“

„Haha ja! Aber Baskisch ist als Sprache ziemlich schwer zu knacken. Es gilt ja als älteste Sprache in Europa, aber keiner weiß wirklich, woher unsere Sprache kommt! Baskisch ist ein sogenanntes sprachliches Isolat: Das heißt, man kann es keiner größeren Sprachfamilie zuordnen.“

„Interessant. Wie macht man denn fest, zu welcher Sprachfamilie eine Sprache gehört?“

„Es gibt in der Wissenschaft bestimmte Kriterien, die erfüllt sein müssen. Eine Sprachfamilie ist eine Gruppe von Sprachen, die sich viele Merkmale teilen und auf eine gemeinsame Ursprache zurückzuführen sind. Die westeuropäischen Sprachen und Englisch gehören alle zur Indoeuropäischen Sprachfamilie.“

„Und wie viele solcher Familien gibt es so?“

„Im Moment geht man von 7000 Sprachen und 180 Sprachfamilien aus, aber mit der Tendenz weniger zu werden.“

„Weil immer wieder Familien zusammengefasst werden?“

„Genau, mit besseren Analysemethoden kann man manchmal neue Gemeinsamkeiten aufdecken. Lange nicht jede Sprachfamilie ist so gut erforscht, wie die Indoeuropäische – dort kann man den Stammbaum 5000 Jahre zurückverfolgen und hat aus alten Texten sogar das Proto-Indogermanisch rekonstruieren können. 120 Sprachen gelten aber noch als isoliert, die größte wohl ist das Koreanische, mit knapp 80 Millionen Sprechern. Baskisch ist das einzige sprachliche Isolat in Europa.“

„Das heißt also, ich kann mir Sprachen wie einen Stammbaum vorstellen? Und um eine Sprachfamilie zu machen, versuche ich sozusagen den gemeinsamen Vorfahre zu finden.“

„So ist es! Das machen vor allem historische Linguisten.“

Wie eine solche Zuordnung aussehen kann, ist relativ leicht an dem Verhältnis zwischen den westeuropäischen Sprachen und Sanskrit (aus Indien) ersichtlich, die die indoeuropäische Sprachfamilie bilden. Der Grundwortschatz (sowie Ortsnamen) wie eins, zwei, drei oder der/die/das ist relativ zeitbeständig und verändert sich nicht viel. Tatsächlich sind diese Wörter in sehr vielen westeuropäische Sprachen und auch dem Sanskrit ähnlich.  Es lässt sich nachvollziehen, welche Evolution die Sprachen vollzogen haben – und man kann darüber zu der gemeinsamen Ursprache kommen. Diese Arbeit ist allerdings nur möglich, wenn umfangreiches Schriftmaterial vorliegt.

Die romanischen Sprachen (Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Englisch etc.) lassen sich auf das Latein zurückführen. Dieses wiederum lässt sich auf eine noch weiter zurückliegende Sprache zurückführen, dem Ur-indogermanischen, dass sich bis auf eine Zeit vor 5000 Jahren rekonstruieren lässt und (nach heutigem Stand) den Ausgangspunkt von den Sprachen der indoeuropäischen Sprachfamilie darstellt.

Auch diese ur-indogermanische Sprache ist natürlich wie jede Sprache aus anderen Vorgängersprachen hervorgegangen. Echte Isolate gibt es nicht – keine Sprache entsteht aus dem nichts. Wenn allerdings die anderen Sprachen in der Sprachgruppe ausgestorben und nicht dokumentiert sind, wird eine Sprache zum Isolat.

„Das Fehlen von Schriftzeugnissen ist beim Baskischen leider ein großes Problem“, erzählt Paula. „Wir haben praktisch nur einige lateinische Inschriften von den Römern, die baskische Orts- und Personennamen festhalten. Ortsnamen sind relativ zeitstabil, doch sie reichen nicht aus, um das Baskisch, das vor vielen Jahrhunderten und Jahrtausenden gesprochen wurde zu rekonstruieren. Je weiter wir in die Vergangenheit zurückdringen können, umso wahrscheinlicher wird es, dass wir Gemeinsamkeiten zwischen Baskisch und einer anderen Sprache finden. Das heutige baskisch hat sich vermutlich so weit von seinen ehemaligen Verwandten entfernt, dass wir einfach keine Ähnlichkeiten mehr erkennen können. Möglicherweise sind alle anderen verwandten Sprachen auch ausgestorben – das ist sogar recht wahrscheinlich. Diese Entwicklung müssen wir sozusagen zurückdrehen, und das geht nur über historische Quellen. Wie gesagt, die fehlen vor 1500 größtenteils. Erst 1545 wurde das erste Buch auf Baskisch veröffentlicht.“

„Das ist also richtige Detektivarbeit!“

„Ja, genau. Ich habe in meiner Doktorarbeit die Sprache von Ureinwohnern in Kanada untersucht auf Ähnlichkeiten mit dem Baskischen. Dafür habe ich acht Jahre in Kanada gewohnt, mit den Ureinwohnern zusammen. Tatsächlich gibt es einige Wörter, die ähnlich oder gar identisch sind. Aber die Beweise, die ich finden konnte, waren nicht ausreichend, um auf eine Sprachfamilie zu schließen. Es bleibt also bei den Theorien.“

„Welche sind das denn, ganz grob?“

„Manche Sprachforscher gehen davon aus dass die Urform der Baskensprache über den Kaukasus nach Europa getragen wurde. Dort gibt es einige sprachen, die mit dem Baskischen verwandt sein könnten. Andere Forscher vermuten, dass Baskisch von Berberstemmen nach Spanien getragen wurde. Wieder eine andere Theorie geht davon aus, dass Baskisch mit dem im Mittelalter ausgestorbenen Aquitanisch verwandt ist, und sozusagen eine letzte Bastion dieser Sprachgruppe in Europa ist. Und zu guter Letzt gibt es die Verbindungen nach Nordamerika zu den Ureinwohnern. Für keine dieser Ansätze gibt es allerdings genügend Beweise. Und deshalb hängt es oft von der Ideologie der Forscher ab, welche Theorie sie vertreten.“

„Inwiefern sind die Theorien denn ideologisch belastet?“

„Naja, in der Vergangenheit hat man über Sprachfamilien höher oder minderwertige Kulturen festgemacht. Menschen, die eine Sprache hatten, die nicht aus dem Lateinischen hervorging, wurden etwa als minderwertig angesehen. Die römische Kultur und Staatsordnung galt ja bei vielen in Westeuropa als der Gipfel der Vollkommenheit – wer eine Sprache beherrschte, die auf das Latein zurückgeht, war kultiviert. Etwas Besseres eben. So wurde Ungleichbehandlung begründet, etwa in der Zeit des Kolonialismus.“

„Ja, davon habe ich auch schon gehört. Australien oder Amerika sind ja Beispiele dafür, wo eine solche Denkweise umgesetzt wurde und die Kinder von Ureinwohnern in ‚Umerziehungsschulen‘ geschickt wurden, um ihre Sprache auszumerzen.“

„Mit verheerenden Konsequenzen – obwohl tatsächlich viele damalige Verfechter des Systems tatsächlich überzeugt waren, etwas Gutes zu tun, die ‚Wilden‘ zu ‚zivilisieren‘ und ‚gute Bürger‘ aus ihnen zu machen! Aber was sie nicht berücksichtigten war, dass Sprache eben auch Identität ist – “

„ – und Zugehörigkeit schafft, eine Heimat bietet“, werfe ich ein. Als Reisender muss ich das wissen!

„Genau, und die eigene Identität, die Zugehörigkeit, die Heimat zu verlieren, das bedeutet Orientierungslosigkeit und oft der Sturz in ein unglückliches Leben. Deswegen ist es auch gut, dass viel Aufwand betrieben wird die baskische Sprache zu erhalten.“

Wie auch in Katalonien, wurde die baskische Sprache in der Franco Diktatur unterdrückt und unter Strafe gestellt. Doch seit dem Ende der Diktatur 1975, wurden große Wiederbelebungsaktionen ausgeführt. Unteranderem gibt es auch baskisch-sprachige Schulen, so dass heute etwa 800.000 Menschen baskisch sprechen.

„Was ich aber auch noch besonders interessant finde“, erzählt Paula bevor sie geht, „ist wie Sprachen unsere Wahrnehmung beeinflussen. So haben die Inuit zahlreiche unterschiedliche Wörter für Schnee, je nachdem wie seine Eigenschaften sind.1 Wir müssen hingegen Adjektive benutzen, um den Schnee zu beschreiben. Sprache beeinflusst, wie wir die Welt sehen, was wir unterscheiden können, wie wir Dinge gewichten und welche mentalen Kategorien wir bilden. Unsere Sprache bestimmt, mehr als wir ahnen, wer wir sind, wie wir denken und wie wir handeln.“

1 Interessanterweise ergibt sich diese Aussage bei der Recherche als Irrtum. Die Inuit haben nicht mehr Wörter für Schnee als andere Sprachen. Auch im deutschen umfasst das Wortfeld “Schnee” zahlreiche Begriffe, wie Neuschnee, Pulverschnee oder Sulzschnee. Der Irrglaube, dass die Inuit mehr Wörter für Schnee hätten als andere Sprachen ruht daher, dass das Adjektiv mit dem Substantiv Schnee zu einem Wort zusammengefügt wird in der Sprache der Inuit. Tatsächlich ist es das Schottische, das mit 421 Begriffen für Schnee unanfechtbar an der Spitze liegt!

Author

Leave a Reply