Tag 104: Ein Tag zum Wiederholen

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Wie mittlerweile üblich: Um 6:30 heißt es losradeln. Während der Nacht hat es sich etwas abgekühlt, weshalb ich wirklich gut geschlafen habe. Es entbehrt sich nicht einer gewissen Ironie, dass ich mich vor eineinhalb Monaten über die Pilger lustig machte, die so früh aufstehen. Nun habe ich selbst einen solchen Tagesrhythmus, dass ich vor Sonnenaufgang losfahre.

Es lohnt sich, kann ich nun sagen, denn die Morgenstimmung ist spektakulär. Der Dunst der Nacht schwebt noch über allem, und die Farben, von lila bis zartem orange gehören in ein Gemälde.

Die ersten 50 km fahre ich auf Single-Trails (schmale Mountainbikepfade), die so schön sind, dass ich vor Freude „Yippie Yay!“ schreie wie ein Cowboy. Ich passiere Cáceres, welches einen wunderschönen historischen Stadtkern hat.

Doch wenige Kilometer hinter Cáceres knallt es plötzlich laut und mein Fahrrad bremst selbstständig von 50 km/h auf null ab. „Scheiße, das ist was ernstes“, denke ich.

Doch als ich mein Fahrrad inspiziere, sehe ich schnell, was passiert ist. Mein hinteres Schutzblech ist in zwei Teile gebrochen und die eine Hälfte hat sich unter die andere Hälfte verschoben und das Rad blockiert.

Ich ziehe und zerre, drücke und biege bis mir der Schweiß nur so aus den Poren quillt. Endlich schaffe ich es, das abgebrochene Stück zu entfernen und mein Rad dreht sich wieder frei. Weitere Schäden kann ich nicht feststellen. Die Radtour geht weiter!

13:30

Es ist der wärmste Tag bis jetzt, und deshalb nutze ich die Gelegenheit, eine Pause im Schatten zu machen. Über mir kreisen die Geier in der vergeblichen Hoffnung, dass ich als Nahrung herhalten werde.

Ich gammel rum, höre einige Radiosendungen und beobachte erstaunt am Horizont einen riesigen Staubwirbel – fast wie ein Tornado. Bei der Hitze bilden sich manchmal Luftwirbel, die Staub 100 m hoch in die Luft saugen. Ein sehr beeindruckendes Phänomen!

22:00

Ich werde jetzt noch meine Nachrichten in die Gruppe schreiben und dann schlafe ich – heute wieder unter freiem Himmel. Ich bin heute 100 km gefahren, wovon 80 auf atemberaubenden Single-Trails waren. Ich kann, ohne zu lügen, behaupten, dass heute der schönste Tag der ganzen Tour war.

Mehrfach war ich von den nicht enden wollenden Mountainbikepisten so überwältigt, dass ich vor lauter Glück fast meinte zu platzen. Das verleitet mich nun auch dazu, einmal ein paar bescheidene Gedanken zum Glück niederzuschreiben.

Glück muss man, wie ich es sehe, in mindestens zwei Komponenten unterteilen.

Eine kurzfristige, wie das, was ich heute erlebt habe. Das ist ein Hormonrausch, man ist im „Flow“ –der Zustand, wo man sich selbst vergisst. Wo es einfacher ist, weiterzumachen als aufzuhören.

Und in eine zweite langanhaltende Komponente, wo der Begriff Glück am ehesten mit den Worten Zufriedenheit oder Wohlbefinden gleichgesetzt werden kann.

Der erstgenannte Aspekt von Glück ist vergleichbar mit dem Glücksgefühl, das beim Lottogewinn entsteht, also die plötzliche Ausschüttung von Glückshormonen im Gehirn.

Diese Phasen können aber nur eine begrenzte Zeit währen, da die Rezeptoren im Gehirn für die Glücksbotenstoffe nach einer Weile abstumpfen. Das ist genauso, wie wenn die Ohren taub werden, wenn sie die ganze Zeit mit lauter Musik beschallt werden.

Der zweite Begriff von Glück ist in vielerlei Hinsicht interessanter. Das ist, was Studien erforschen, die untersuchen, in welchen Ländern die Leute am glücklichsten sind. Man könnte genauso gut fragen, wo das Wohlbefinden am höchsten ist.

Das subjektive Wohlbefinden, oder das eigene Grundniveau an Zufriedenheit ist schwieriger zu beeinflussen und variiert genetisch und lebenssituationsabhängig.

Einfluss kann man dennoch nehmen, wovon Methoden wie zum Beispiel das autogene Training Gebrauch machen. Das Grundprinzip ist die Selbstkonditionierung.

Wenn man oft genug wiederholt, dass man zufrieden ist und es einem gut geht, fängt man irgendwann an, dieses Narrativ zu verinnerlichen. Es ist verblüffend, aber wahr: der innere Dialog ist eine entscheidende Stellschraube für das subjektive und sogar physische Befinden.

Denn: Was im Körper passiert, wirkt sich auf die Psyche ebenso aus, wie sich die Psyche auf den Körper auswirkt.

Das nennt man den psychosomatischen Kreislauf. Goethes Erlkönig ist eines der besten Beispiele hierfür: Die Angst (Psyche) des Sohnes vor dem Erlkönig führt zur Verschlimmerung seiner Symptome (Somatisch, also der reellen körperlichen Symptome) und schließlich zum Endergebnis:

„Der Vater erreicht den Hof mit Mühe und Not.

In seinen Armen das Kind war tot.“

Genug philosophiert! Mein heutiger Tag hatte nichts mit Mühe und Not zu tun, sondern war einfach wunderschön. Hasta mañana!

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