Tag 25: Sonne, Pässe und Träume

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8:45

Es war eine frische Nacht auf etwa 800 Metern Höhe. Jetzt treffen die ersten Sonnenstrahlen auf mein Zelt.

Ich habe die Nacht lebendig geträumt. Von Feuer. Ich befand mich in einem Haus, auf das eine riesige Feuerwalze zurollte, erbarmungslos und unaufhaltbar. Doch ich wollte mein Haus retten, koste es was es wolle. Sogar mein Leben setzte ich dafür aufs Spiel. Mit dem Gartenschlauch bespritzte ich verzweifelt alle Wände von außen und befeuchtete den Rasen. Ich war von der irren Hoffnung getrieben, dass die kläglichen Wassertropfen, die aus dem Gartenschlauch kamen, in der Lage wären dieses Inferno aufzuhalten.

Warum träume ich in einer kalten Nacht im Zelt von einem Flammenmeer und einem Haus? Offensichtlich habe ich irgendwie das Lagerfeuer verarbeiten müssen – und eine Geschichte, die mir meine Gastgeberin dabei erzählt hat.

Es ist 2003, eine glühende Hitzewelle rollt über Europa. Die Wälder sind trocken wie Stroh, und es kommt, was kommen muss. Ein Waldbrand.

Es gibt nicht weit von hier ein kleines Dorf. Dieses Dorf ist umzingelt von den Bergen, an drei Seiten von bewaldeten Steilhängen umgeben.

 2003 rollen Feuerlawinen die Berge hinab, das Dorf ist kurz davor in Schutt und Asche zu verschwinden. Doch mit einer Herkulesarbeit gelingt es mit Hilfe von Löschflugzeugen und Hubschraubern, die Flammen zurückzudrängen. Der größte Teil des Waldes fehlte nun allerdings, und die gewaltige Hitze des Feuers hatte die Stabilität des Gesteins verändert.

Jahr für Jahr rollten nun Bergstürze und Muren in das Dorf. Freunde meiner Gastgeber lebten in einer besonders betroffenen Straße. Eines Tages waren sie im Garten am Grillen, als sie plötzlich einen riesigen Knall hörten, wie eine Bombenexplosion. Sie rochen feurig, geborstenen Stein, und als sie sich umdrehten, sahen sie, dass ihre Garage nun Platz gemacht hatte für einen gewaltigen Felsbrocken.

Trotzdem: sie wollten nicht wegziehen. Stattdessen wollten sie lieber mit dieser Gefahr Leben. Sie fühlten sich so stark mit ihrem Haus verbunden, dass sie lieber die Gefahr der herabstürzenden Felsen akzeptierten als wegzuziehen.

Dieses Risiko wollte aber die Dorfverwaltung irgendwann nicht mehr tragen und stellte einen Antrag auf Enteignung. Der wurde schließlich auf Ebene des Départements bearbeitet und jetzt, nach einigen Jahren, wird die Straße geräumt. Ein eindrückliches Beispiel, das wir langfristig mit, und nicht gegen, die Natur leben müssen. Es ist klar, wer von uns zweien den längeren Atem hat.

Dieses Beispiel zeigt aber auch eine zweite Eigenschaft von uns Menschen. Nämlich, wie schlecht wir darin sind, veränderten Tatsachen Rechnung zu zollen. Vor allem wir emotional und auch finanziell in eine bestehende Situation investiert sind.

11:30

Tilly und ich machen uns auf den Weg. Von dem alten Bauernhaus geht es direkt eine steile Serpentinenstraße hinunter. Bei der Abfahrt erhascht man immer wieder grandiose Blicke auf die zerklüftete Landschaft des Vercors. Felsplateaus erheben sich hunderte Meter in die Lüfte, dazwischen stürzen eiskalte Bäche in die Tiefe.

Wir schauen uns unten in dem Tal zuerst Pont-en-Royans an, eine kleine Stadt deren Häuser direkt auf den Felsen stehen. Es ist hier, wo die Waldbrände im Jahre 2003 so verheerend gewütet hatten. Da es Ostermontag ist, sind viele Menschen unterwegs: Wanderer, Radfahrer und natürlich auch Autos, Wohnwagen und Motorradfahrer. Die Straßen in dem Gebiet sind wahre Traumpisten für jegliche Form des Zweirads.

Von Pont-en-Royans aus fahren wir die Schlucht hoch, und befinden uns bald mitten in der Gorges de la Bourne. Die Straße führt wieder direkt am Fels entlang, der links und rechts bis auf 1200 m hochragt. Wir fahren bestimmt 2 Stunden bergauf und fragen einmal bei Einwohnern nach, ob sie uns etwas Wasser nachfüllen können. Natürlich ist das kein Problem, die Leute helfen gerne und plaudern dabei auch ein paar Sätze. In diesem Fall haben wir erfahren, wie belästigend der Lärm durch die ständigen Motorradfahrer ist. Auch die schönste Gegend kann da ihren Charme verlieren.

Ich stellte auch Tilly die Frage, ob diese Region denn jemals ihre Schönheit einbüße. Tilly meint, im Winter bei Regen und tiefhängenden Wolken sei es hier echt depressiv. Dann habe man das Gefühl, als wären die zackigen Felsen die Zähne eines Riesen, der seinen Mund immer enger um dich schließe. Man lebt in der Dunkelheit, das Leben erstickt für einige Zeit. Die Winter dauern länger in den Bergen und es ist immer ein langes Warten, bis sich der Frühling wie eine Raupe die Berge langsam hinaufgearbeitet hat.

Hinter der Gorge geht es noch einmal einen steilen Berg hoch, dann haben wir aber auch den höchsten Punkt erreicht. Hier setzen wir uns in die Sonne und machen Picknick: selbstgebackenes Brot, Honig und Käse, den wir uns bei einem kleinen Laden besorgt haben. Tilly erzählt mir dabei, dass sie in Australien geboren sei. Ihr Vater ist Engländer, ihre Mutter Dänin. Als sie vier Jahre alt war, zogen sie zurück nach England. Ihr Vater, der fünf Sprachen fließend spricht, legte großen Wert auf die Fremdsprachenbilding. Deshalb besuchte sie eine französische Schule und wuchs zweisprachig auf.

Von der Picknickstelle aus geht es mit Blick auf ein weitläufiges Tal nur noch bergab. Nach 35 km verabschiede ich mich von Tilly, die noch eine Freundin in einem anderen Dorf besuchen möchte.

Ich fahre weiter zum Col de Rousset, wo ich auf 1254 Metern Höhe durch einen Tunnel auf die andere Seite fahre. Von hier geht eine absolut zauberhafte Straße 13 km ins Tal hinab, wo die Drôme entlang fließt. Ich sehe Schilder, dass hier an den Felswänden auch Geier leben sollen, doch obwohl ich Ausschau halte, sehe ich keine am blauen Himmel.

Nach einigen Kilometern am Fluss, überquere ich eine Brücke und fahre in das kleine Dorf Sainte-Croix hinauf. Dort frage ich bei einem älteren Ehepaar mit großem Garten nach, ob ich dort mein Zelt aufschlagen kann. Wie bisher immer auf meiner Tour, ist das auch gar kein Problem. Die Menschen sind generell offen und hilfsbereit, was das Reisen zu einer wahren Freude macht.

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