Tag 66: Auf dem Land und ein scheues Gewitter

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Ich schaue einer Ameise zu, die scheinbar orientierungslos an meiner Zeltdecke umherkrabbelt. Was sich die Ameise gerade wohl denkt? Denkt die Ameise überhaupt? Oder handelt sie nur nach einem angeborenen Instinkt? Wenn das der Fall ist, was sagt der Instinkt gerade der Ameise in meinem Zelt?

Ameisen sind für mich das Sinnbild der kollektiven Intelligenz. Alleine aufgeschmissen und nicht sonderlich wirkmächtig, werden sie zusammen zu einer Supermacht des Tierreichs.

Ihre Kolonien sind komplex organisiert, es gibt unterschiedliche „Spezialisten“ und manche Ameisenspezies kultivieren sogar Pilze als Nahrungsquelle.

Nahrungsquelle ist das richtige Stichwort, auch für mich. Es ist 9:00. Ich muss langsam zusammenpacken und eine Bäckerei suchen. Nach der Champions League Nacht bin ich irgendwie noch ein bisschen müde. Erst um 10 Uhr habe ich alle Sachen so weit fertig, dass ich losfahren kann. Jetzt besteht meine erste Aufgabe darin, ein Frühstück zu finden.

Ich spreche zwei unabhängige Spaziergänger an, die mir die Hiobsbotschaft übermitteln: alle Bäckereien sind geschlossen. „Tut uns leid Junge, aber du bist hier auf dem Dorf.“

Nur eine Institution scheint auf den verlassenen Dörfern noch zu florieren, und zwar die Kneipe. Hier werde ich auch schließlich fündig, und kann ein großzügiges Stück Tortilla und ein belegtes Brötchen ergattern. Zusammen mit meiner Prinzenrolle und den Müsliriegeln müsste ich also ganz gut durchkommen.

12:00

Die Sonne ist unerbittlich und die Gegend gottverlassen. Alle 10 Kilometer kommt ein winziges Dorf, wo meist ein oder zwei hochbetagte in ihren kleinen Gemüsegärten arbeiten. Ansonsten bin ich umgeben von einer kargen Heide. Von einer Anhöhe kann ich beobachten, wie zwei Imker Bienenstöcke aufstellen. Hier entsteht also mein Heidehonig.

Kurze Zeit später stehe ich an einem riesigen Staudamm. Leider auf der falschen Seite. Mein GPS-Gerät möchte mich einmal über die Staumauer führen. Diese ist allerdings abgesperrt und nur für Personal zu betreten. Also muss ich den ganzen Weg hinab ins Tal fahren und auf der anderen Seite den Anstieg in der prallen Sonne fahren.

Ein Blick auf die Staumauer.

Als ich endlich oben ankomme habe ich so viel geschwitzt, dass mein Schweiß eigenhändig den Stausee hätte auffüllen können. Dieser ist zu meiner Überraschung nämlich ziemlich leer. Offensichtlich hat die Dürre schon im Mai eingesetzt.

Gegen 13:30 Uhr passiere ich wieder eines dieser kleinen, verlassenen Dörfer, wo ich eine Hitzepause einlege. Im Schatten einer Robinie setze ich mich hin, während ich diese Zeilen schreibe. Dann genieße ich mein Mittagessen: Kekse und eine alte Karotte. Lecker! Außerdem mache ich meine Dehnübungen und ein paar Handstände, als Abwechslung zum Pedalieren.

In der Ferne sehe ich, wie sich große Wolkensäulen auftürmen. Die Hitze und dazu noch feuchtere Luft lassen Gewitter erwarten. Ein Wetterumschwung bahnt sich an.

17:00

Meine Beute beim Café. Eine gute Zeit für ein bisschen Mittagessen.

Der Wind nimmt zu und über mir ist eine dicke Gewitterwolke. Schnell flüchte ich in ein Café, wo ich eine weitere Tortilla und ein Küchenstück genieße, während draußen der Wind durch die Straßen peitscht. Plötzlich werden zwei Stühle mitgerissen und fliegen auf die Straße. Nach einer kleinen Rettungsaktion sind sie wieder fest verankert.

Zum Glück bleibt es beim Wind und die Wolke verzieht sich. Ich mache Tempo in Richtung Süden und versuche den bedrohlichen Wolken davon zu fahren. Um 20 Uhr haben mich die Gewitterzellen aber eingeholt. Es hat bereits einige Male bedrohlich gebrummt, also bin ich auf der Suche nach einem geschützten Platz.

Ein Zelt ist nicht wie ein Auto, es funktioniert also nicht nach dem Prinzip eines faradayschen Käfigs, der den Strom um dich herumleitet. Wer im Gewitter zelten muss, sucht sich am besten einen tief gelegenen, aber nicht überflutungsgefährdeten Platz. Den Zeltboden sollte man möglichst gut isolieren, etwa indem man Handtücher ausbreitet und die Isomatte doppelt faltet. Dann ist es empfehlenswert, in der Hocke zu verharren mit den Füßen nebeneinander. So kann die Schrittspannung reduziert werden. Je größer die Fläche des Bodenkontaktes und je weiter auseinander zwei Punkte sind, die den Boden berühren, umso größer ist die Spannung die durch den Körper fließt, wenn ein Blitz in der Nähe einschlägt.

Also, im Gewitter nicht hinlegen oder hinsetzen!

Zum Glück muss ich nicht die Erfahrung machen, im Gewitter zu zelten. Beim Auskundschaften einer möglichen Übernachtungsstelle, treffe ich ein Ehepaar mit einer Gartenhütte, wo ich übernachten kann.

Der Mann stellt sich als Carlos vor und redet Englisch wie ein Amerikaner. Das macht mich neugierig, also frage ich, ob er denn aus Amerika kommt.

Eigentlich bin ich Portugiese, sagt Carlos, aber ich habe 50 Jahre in New York auf Long Island gelebt. Carlos zeigt mir das Gartenhaus. Es ist ein bisschen dreckig sagt er, aber wenn das dir nichts ausmacht… Hier ist auch ein Besen.

Im Boden ist eine Luke eingebracht. Carlos hebt sie hoch und erklärt: „Hier unten stand früher das Bier, das hier ist nämlich eine alte Bar.“

Tatsächlich sieht man auf dem Boden noch den Abdruck, wo die Theke stand. Carlos lässt mich dann in Ruhe und kommt später noch einmal mit einer Flasche Wasser vorbei. „Ich dachte mir, vielleicht hast du ja etwas Wasser nötig.“

Ansonsten sind Carlos und seine Frau sehr zurückhaltend. Das ist aber nicht schlimm, jeder hat einen anderen Komfortbereich gegenüber Fremden und ich weiß zu schätzen, dass mich die beiden überhaupt in ihrer Gartenhütte schlafen lassen.

Mein Schlafplatz in der Gartenhütte.

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