Tag 87: Ausschlafen und den Tag genießen

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Ich habe bis 10:30 ausgeschlafen! Draußen gurrt eine Taube rhythmisch vor sich hin. Gleich gibt es Frühstück – mein Magen knurrt auch schon!

Zum Frühstück läuft eine meditative Musik mit Bildern von Meerestieren. Doch bevor wir noch einschlafen, steigen wir auf die Räder, um zu einem Aussichtspunkt zu fahren. Das wird allerdings etwas schwieriger als erwartet, denn Alexa ist noch nie richtig Fahrrad gefahren.

Wir machen draußen vor dem Haus eine Übungsstunde. Es hilft nicht, dass Alexa auf einem von Josefs viel zu großen E-Bikes fahren muss. Schließlich klappt es aber doch mit dem Aufsteigen und Losfahren – nur das Bremsen und Absteigen bleibt heikel. Aber wir haben schon eine Stunde geübt und entscheiden uns einfach mal den Sprung ins kalte Wasser zu wagen.

Alexa hat Mut, das muss ich sagen. Auf dem Weg zum Aussichtspunkt stürzt sie mindestens zehnmal, doch jedes Mal rappelt sie sich wieder auf und fährt weiter. Als wir ankommen ist ihre Hose zerrissen, doch auf dem Gesicht thront ein breites Grinsen.

Wir schauen uns lange das Schauspiel an, wie die Wellen wuchtig gegen die dunklen Felsen schmettern. Dort, wo das Wasser aufgewirbelt ist, hat es eine leuchtend blaue Farbe. Schaum tanzt auf der Oberfläche wie Flocken von Schnee. Die Brecher vom Atlantik rollen mit einer hypnotischen Regelmäßigkeit heran, und stur trotzen ihnen die Felsen. Die unermessliche Weite des Meeres spiegelt sich in uns selbst wider und die Gedanken fangen an zu fliegen.

Auf einem der Gesteinsbrocken im Meer sitzen vier Fischer. Über einen steilen Trampelpfad sind sie hinabgeklettert, aber jetzt kommt die Flut und droht Ihnen, die letzte Landbrücke wegzunehmen. Die Fischer packen ihr Angelzeug und ihre Beute zusammen und machen sich auf. Wenige Minuten später wird der Fels auf dem sie saßen von einer mächtigen Welle überspült.

Als wir uns wieder aufmachen sagt Alexa, wie dankbar sie sich fühlt, so einen Moment zu erleben. „Wir sollten öfter Dankbarkeit zeigen“, meint sie. „Unser Leben und unsere Lebensumstände sind nicht selbstverständlich.“

„Wir nehmen uns zu selten die Zeit, einfach nur dankbar zu sein. Wir halten nie inne, Zeitmangel ist bei vielen, die ich kenne, der Dauerzustand. Wenn ich merke, dass ich gehetzt bin, muss ich immer an ein Zitat aus einer Oscar-Verleihung denken, wo der Schauspieler sagte: ‚The slow way is the fast way to be where you want to be.‘“

„Das ist ein schönes Zitat“, sage ich.

„Ja, das finde ich auch. Ich dachte schon, es würde dir gefallen. Es passt ja gut zu deiner Reise“, erwidert Alexa.

Bei einem der Stürze, ist der Motor von Alexas E-Bike kaputt gegangen. Deshalb fährt Josef jetzt schnell nach Hause, um seinen Bulli zu holen und uns mitzunehmen. Alexa und ich spazieren ihm entgegen. Dabei erzählt mir Alexa ein bisschen über Angola, wo der Großteil ihrer Familie lebt.

„Für mich ist es immer eine große Umstellung, wenn ich nach Angola gehe“, sagt sie. „Meine Verwandten sagen oft, dass ich frech und unhöflich bin, weil ich meine Meinung auch direkt sage. Auch wenn die Leute älter sind als ich.“

„Und das finden die nicht so gut“, sage ich.

„Ja richtig, die älteren Leute in Angola haben die Vorstellung, dass sie alles wissen und ihnen ein junger Mensch wie ich nichts sagen kann. Sie fassen es dann als Beleidigung auf, wenn ich Ihnen etwas erklären will.“

„Offensichtlich hat Alter in Angola einen höheren Stellenwert als hier“, sage ich.

„Ich finde, das ist ein großes Problem“, meint Alexa. „Denn wenn das Wissen nur von den Eltern kommt, dann werden die Kinder genauso wie die Eltern. Sie lernen nie, die althergebrachten Bräuche und Verhaltensmuster zu hinterfragen. Und letztlich machen sie genau dieselben Fehler wie ihre Eltern.“

„Ja, das stimmt, das ist ein Risiko. Deshalb braucht es auch gute Bildung, um kritisches Denken zu fördern“, erkläre ich.

„Was du machst, ist genau die richtige Erfahrung, um eigenständig zu werden. Die meisten jungen Leute haben Angst so etwas zu tun. Sie brechen nie aus, sie sind abgekapselt. Alles spielt sich virtuell ab, und sie sind depressiv!“

Alexa redet sich richtig in Fahrt.

„Ich weiß nicht, ob man das alles so schwarzsehen kann“, beschwichtige ich, und versuche zu erklären: „Wenn junge Leute Angst haben Risiken einzugehen, dann glaube ich ist es, weil die Fallhöhe so groß ist. Es gibt sehr viel zu verlieren, wenn man Mist baut: Wohlstand, Freiheit, Ansehen. Das macht einem natürlich auch jeder klar.“

„Vielleicht könnte man sagen, meine Generation ist ein Fall von starker Höhenangst. Und weil es an einer gefährlichen Stelle immer am besten ist, einen bereits erprobten Pfad zu nehmen, wagen sich weniger Jugendliche, von den Wunschvorstellungen ihres Umfeldes abzuweichen. Weniger Abenteuer ist schlichtweg der Preis für mehr Sicherheit.“

Ich glaube aber nicht, dass sich die grundlegende menschliche Natur in den letzten 70 Jahren verändert hat. Vielmehr habe sich äußere Umstände verschoben.

„Meine These ist, dass auch früher nicht so viele Leute freiwillig über ihre Komfortzone hinausgegangen sind. Sie wurden aber dazu gezwungen, entweder weil sie in den Krieg geschickt wurden, oder weil die wirtschaftliche Lage so schlecht war. Die, die davon lebendig zurückgekommen sind, hatten natürlich eine Grenzerfahrung gemacht, die sie prägte. Im Guten wie im Schlechten, wohlgemerkt. Dazu kommt auch, dass man lieber von den interessanten Erlebnissen – den Abenteuern – erzählt. Dadurch werden natürlich nur bestimmte Aspekte der Vergangenheit weitergegeben.“

„Meine Eltern und meine Großeltern haben im angolanischen Bürgerkrieg gekämpft“, erzählt Alexa. „Einerseits war es eine Zeit, wovon sie sagen, dass sie dort den größten Zusammenhalt und Kameradschaft in ihrem Leben erlebt haben. Andererseits sind viele ehemalige Kameraden jetzt für immer verkrüppelt, körperlich, geistig, beides.“

„Einen solchen Preis fände ich viel zu hoch – Da bevorzuge ich immer eine Risikovermeidungsgesellschaft. Diejenigen, die einen zusätzlichen Reiz brauchen, werden ihn auch finden und können verrückte Reisen machen oder einen Extremsport verfolgen.“

In der Ferne taucht eine rote Staubwolke auf. Schon rollt Josefs grüner Bulli heran. Wir hieven das schwere E-Bike auf die Ladefläche, und steigen ein.

20:00

In der Abendsonne möchte ich noch eine Runde joggen gehen. Bei Wind und goldenem Sonnenschein renne ich 10 km auf dem sandigen Fischerpfad am Rande der Klippen. Es ist herrlich! Der Wind reißt gierig an meiner Haarpracht und pustet salzige Meeresluft in mein Gesicht. Mit jedem Schritt habe ich das Gefühl ich fliege, obwohl das Gegenteil der Fall ist, und meine Füße immer wieder im Sand versinken. Über mir kreischen die Möwen, unter mir tost das Meer.

Einen schöneren Ausklang zu einem ohnehin schon herrlichen Tag kann ich mir kaum vorstellen. Bis Morgen!

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