Tag 98 und 99: Motorradmarken, Gentechnik und Ethik

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Tag 98

Heute ist ein weiterer Tag, der nur aus Schwimmen und Lesen besteht. Abends habe ich mich mit Hugo zusammengesetzt und wir haben zusammen meine Route bis nach an die Grenze des französischen Baskenlandes geplant. Dort wohnt ein guter Freund von Hugo; ein Deutscher, der mit ihm viele seiner Reisen auf dem Fahrrad gemacht hat.

Beim Abendessen erzählt Hugo eine lustige Anekdote aus den USA. Als er dort mit dem Motorrad gereist ist, das war 2018, wollte er in South Dakota in eine Kneipe. Dort verweigerte man ihm aber standhaft den Eintritt.

„Willst du wissen, warum?“, fragt mich Hugo.

„Ja klar.“

„Weil ich eine Yamaha fahre, und kein amerikanisches Motorrad. Schon den ganzen Tag vorher hatte ich erlebt, wie die Leute meine Yamaha sahen, mir den Mittelfinger entgegenstreckten und laut brüllten „Fuck you!“. Jetzt war ich aber wild entschlossen, nicht klein beizugeben.“

„Es ging so weit, dass ich um 1:00 Uhr nachts den Bürgermeister des Ortes angerufen hab, und ihm erklärt habe, was Sache ist. Als er erfahren hat von meiner Weltreise, ist er plötzlich dahingeschmolzen und hat erwirkt, dass ich doch noch mein Bier bekam. Nach außen ein Stachelschwein, nach innen aber ein lieber Teddybär.“

„Wenn die Menschen hören, dass man reist, dann fallen die Stacheln plötzlich ab. Aber solange du nur der Depp auf dem japanischen Motorrad bist, gute Nacht!“

Tag 99

Heute genieße ich mein Frühstück erst um 11:30 Uhr.

Danach geht es, was habt ihr anderes erwartet, im Pool eine Runde schwimmen. Dann nehme ich die letzten Seiten von Anmerkungen zu Hitler in Angriff (Wobei „Angriff“ hier im pazifistischen Sinne verstanden werden soll: Ich bin ein friedlicher Leser unter einer Palme im Garten). In meiner Nähe ist der fette Hahn und betrachtet mich argwöhnisch.

Um zwei kommt Elenas jüngster Sohn aus Madrid zu Besuch. Pedro ist 16 Jahre alt und erzählt mir stolz, dass er im nächsten Jahr nach Kanada geht, wo er ein Jahr in der Nähe von Vancouver bleiben wird. Er hat eine spanische Fahne dabei, die alle seine Freunde unterschrieben haben als Erinnerung.

Zusammen essen wir ein gegrilltes Hähnchen und wie es bei Hugo üblich ist, dreht sich die Diskussion schnell um Technologien, die die Zukunft verändern werden.

Ich frage Hugo, in welchem Bereich er die größten Fortschritte in den nächsten Jahrzehnten erwartet, Fortschritte von einem Ausmaß, dass wir in 100 Jahren nur noch Kopfschütteln können über die Welt die Welt, in der die Menschen heute leben.

„Ich kann mir vorstellen, dass neue Möglichkeiten im Kampf gegen das Altern geben wird“, sagt Hugo. Er erzählt von einem Experiment in der Nähe von Madrid, wo das Genom von Ratten so verändert wurde, dass sie eine Lebenserwartung erreichten, die bei Menschen etwa 120 Jahre entspricht.

„Die Telomere*“, sagt Hugo, „sind entscheidend für den Alterungsprozess. Sie werden kürzer mit dem Alter und die Zellen werden anfälliger für Fehler und Schäden bei der Teilung. Wenn wir bei den Telomeren eingreifen, könnte es sein, dass in Zukunft viele Menschen weit über 100 Jahre alt werden.“

*Endteil. Telomere sind wie Schutzkappen an den Enden des Chromosoms, worin sich unser Erbgut befindet. Telomere sind also wichtig für die Stabilität des Erbguts: Ohne sie zerfranst und verhedderte sich das Erbgut, die Zelle kann sich nicht mehr teilen und stirbt.

„Die Forschung geht schon jetzt in Richtung biologische Optimierung, ganz klar. In den USA hat einer meiner Bekannten ein Unternehmen, das aus dem Blut einer werdenden Mutter die genetischen Risikofaktoren des Kindes ermitteln kann. Das war früher nur mit einer gefährlichen Rückenmarksprobe des Fötus zu machen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auch auf genetischer Ebene in den Alterungsprozess eingreifen.“

„Aber ist das alles überhaupt wünschenswert?“, fragt Elena. „Dann ist ja klar, wir müssen bis 100 arbeiten. Außerdem, diese Behandlung wird bestimmt nicht ganz billig sein. Wer bekommt sie, rutschen wir damit nicht in eine biologisch begründete zwei Klassen Gesellschaft ab?“

Elena hat Recht. Ganz abgesehen von den vielen beachtlichen biologischen Hürden, die es noch zu überwinden gibt, sind die ethischen Fragen brisant und unbeantwortet.


Und ohnehin: Für sich selbst ist jeder unsterblich. Er mag wissen, dass er sterben muss, aber er kann nie wissen, dass er tot ist.

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